Mühsam hält sich der 87-jährige Papst Franziskus per Stock auf den Beinen, längere Strecken wird er im Rollstuhl geschoben. In den vergangenen Jahren war das Oberhaupt der katholischen Kirche immer wieder im Krankenhaus. Von seinem Pontifikat erwarteten sich einige nicht mehr so viel. Und doch kommt noch einmal Schwung in seine Amtszeit. Im Dezember erlaubte er völlig überraschend die Segnung von Partnerschaften, die nicht dem katholischen Ehe-Ideal entsprechen, beispielsweise im Fall von homosexuellen Partnern. Nun hat ein enger Vertrauter eine Diskussion über den Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit, angezettelt. Seine Abschaffung wäre ein nächster, vor allem im Westen lange erhoffter Reformschritt.
Papst Franziskus selbst hatte gesagt: "Es ist kein Widerspruch, wenn ein Priester heiratet"
"Warum sollten wir einen jungen Mann verlieren, der ein guter Priester geworden wäre, nur weil er heiraten will?", fragte nun also Charles Scicluna in einem Interview mit der Times of Malta. Scicluna, seit 2015 Erzbischof von Malta, ist wahrlich kein Unbekannter. So war der heute 64-Jährige in der vatikanischen Glaubenskongregation hauptverantwortlich für den Umgang mit Missbrauchsfällen. Scicluna forderte eine "ernsthafte Diskussion" über den Zölibat. Franziskus selbst hatte erst im vergangenen März gesagt: "Es ist kein Widerspruch, wenn ein Priester heiratet." In der gesamten katholischen Ostkirche seien Priester meist verheiratet. "Der Zölibat in der Westkirche ist eine zeitlich begrenzte Vorschrift, er ist nicht für immer wie beispielsweise die Priesterweihe. Der Zölibat ist eine Disziplin." Auf die Frage, ob der Pflichtzölibat aufgehoben werden könne, antwortete der Papst: "Ja, ja."
Zwar hatte im Dezember Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, nominell die Nummer zwei im Vatikan, bekräftigt: "Der Priester ist zölibatär – und will es sein –, einfach weil Jesus es war." Dass sich Grundsatzentscheidungen im Vatikan allerdings überraschend und unerwartet ändern können, wurde vor einigen Wochen deutlich, eben beim Thema Segnungen. Dass plötzlich vieles möglich erscheint, hat mit dem von Franziskus im Juli berufenen neuen Chef des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Víctor Manuel Fernández, zu tun. Dieser ist der vielleicht engste Vertraute des Papstes und hat Jorge Bergoglio bereits in dessen Zeit als Erzbischof von Buenos Aires theologisch beraten. Er war später Ghostwriter sowie Mitautor wichtiger päpstlicher Schriften wie "Evangelii gaudium" (2014) und "Amoris laetitia" (2017).
Wie bei der Segnung von Homosexuellen könnte Papst Franziskus in der Zölibat-Frage wieder eigenhändig entscheiden
Mit ihm an seiner Seite erfährt Franziskus' Pontifikat eine neue Dynamik, stellen Beobachter fest. "Er hat zu Beginn seines Pontifikats mit auffälligen Gesten und neuen Worten Tempo gemacht. Er hat gebremst, als er merkte, dass er nichts übers Knie brechen konnte. Jetzt steht er wieder auf dem Gaspedal", urteilte die Zeitung La Repubblica über Franziskus. Die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften war Thema auf allen von Franziskus einberufenen Bischofssynoden seit 2014. Da der Vorschlag aber nie die notwendige Mehrheit der Bischöfe fand, entschied der Papst nun eigenhändig. Das ist auch in der Frage des Zölibats durchaus denkbar.
Vatikankennern zufolge könnte dabei auch der Tod seines Vorgängers Benedikt XVI. vor einem Jahr eine Rolle spielen. Offenkundig ist: Die Berufung des umstrittenen neuen Glaubenspräfekten aus Argentinien, Fernández, dessen Positionen der frühere Glaubenspräfekt Kardinal Gerhard Ludwig Müller als "häretisch" brandmarkte, die offizielle Erlaubnis der Segnung homosexueller Paare, aber auch die Abschaffung des Pflichtzölibats hätten zu Lebzeiten als persönlicher Affront gegen seinen Amtsvorgänger Benedikt interpretiert werden können.