Im Schaufenster von Montevideo ist das ganze Equipment für Freunde von Marihuana und Haschisch fein säuberlich geputzt und aufgereiht: „Alles für Sie und Ihre Ernte“, steht da zu lesen. Damit wirbt das Cannabis-Zubehörgeschäft im historischen Zentrum der Hauptstadt Uruguays um die Kundschaft. Der Fachhandel rund um die Cannabis-Industrie hat es in dem südamerikanischen Land längst raus aus den Schmuddelecken und hinein in die Einkaufszentren geschafft. Nur Cannabis gibt es hier nicht.
Dafür müssen Kunden in eine „Farmacia“, also in eine der Apotheken. Unter „reservarcannabis.com“ können sich Einheimische – Ausländer bleiben außen vor – registrieren, um einen Termin zum Einkauf vom staatlich angebauten Marihuana zu reservieren. Zwischen Deo, Zahnpasta und Halstabletten gibt es hier für Einheimische auch den staatlich produzierten Joint. Rund ein Dutzend Apothekenketten bietet diesen Service an. Cannabis ist nicht freigeben, sondern staatlich reguliert: Zugelassen ist mit dem Einkauf 40 Gramm pro Monat jene Menge, die als gesundheitlich vertretbar gilt.
Auch in Deutschland wird derzeit über die Legalisierung von Cannabis diskutiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dazu im April ein Papier vorgestellt, mit dem die Legalisierung der Droge in einem ersten Schritt möglich gemacht werden soll. Danach sollen Ankauf und Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis ab einem Alter von 18 Jahren künftig grundsätzlich straffrei sein. Auch der Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen wäre dann erlaubt. Hinzu kommt: Die Bundesregierung will den Anbau und die Abgabe der Droge in speziellen Vereinen ermöglichen. Die ursprünglich geplanten Cannabis-Fachgeschäfte, wie es in Uruguay der Fall ist, kommen dagegen erst einmal nicht, weil das auf Widerstand bei der EU in Brüssel gestoßen war. Aus Deutschland waren in den letzten Jahren immer wieder Politiker nach Uruguay gereist, um sich vor Ort über die Erfahrungen zu informieren.
Die Idee: Wenn Cannabis staatlich ist, verlieren die Drogenkartelle ihr Geschäftsmodell
Cannabis ist der Name einer indischen Hanfpflanze, die den psychoaktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) enthält. THC ist verantwortlich für den Rauschzustand, den der Konsum auslöst. Mediziner streiten um die gesundheitlichen Folgen, einige halten Cannabis für eine Einstiegsdroge, die zum Konsum härterer Drogen führen könnte. In Uruguay ging es aber vor allem um die Kriminalitätsbekämpfung.
„Wir müssen der Drogenmafia ihr Geschäftsmodell entreißen. Wir müssen der Mafia das Geschäft kaputtmachen“, sagte Uruguays linksgerichteter Ex-Präsident Pepe Mujica vor über zehn Jahren und war damit Initiator eines weltweit beachteten Modellversuchs. In Uruguay fungiert der Staat gleichermaßen als Produzent, Vertriebsinstanz und Kontrolleur von legal hergestelltem Cannabis. Die Idee dahinter: Wenn der Staat Cannabis herstellt und verkauft, entzieht das den Drogenkartellen das finanzielle Geschäftsmodell. Denn die Kartelle machen vor allem dann Profite, wenn Drogen illegal und schwierig zu bekommen sind. Zudem erhalten Endkunden nicht verunreinigte und damit gefährliche Ware. Cannabis kommt nicht mehr aus einem illegalen Kreislauf mit hohen Gewinnen für kriminelle Banden, sondern unter staatliche Kontrolle.
Das kleine Uruguay ist eines der progressivsten Länder Südamerikas– es hat neben der liberalen Drogenpolitik zugleich eines der weltweit strengsten Rauchergesetze und in dem Kontext einen millionenschweren Musterprozess gegen den US-Tabakriesen Philip Morris gewonnen. Doch es folgten lange Debatten, wie die Gras-Freigabe tatsächlich funktionieren soll. Erst im Juli 2017 startete der Verkauf in den Apotheken. Von einer "Gras-Revolution" war damals die Rede.
2018 zog Kanada nach und erklärte den Anbau, Verkauf und Konsum von Cannabis landesweit für legal, auch Mexiko und Neuseeland planten zeitweise eine Freigabe. Doch zu welchem Preis? In Kanada etwa gaben in einer Studie ein halbes Jahr nach der Legalisierung doppelt so viele Menschen an, erstmals Cannabis probiert zu haben. Auch in Deutschland ist die Sorge davor groß, dass durch eine Freigabe auch der Konsum steigt. So rechnen Sucht- und Drogenexperten allgemein mit einer verstärkten Cannabis-Nutzung und warnen, dass gerade bei Jugendlichen der Konsum langfristig zunehmen dürfte.
In Uruguay hat man seit jeher andere Sorgen – die kriminellen Drogenbanden, die Millionen mit dem Schmuggel verdienen. Heute sagt Julia AlvesRocha: „Ich glaube, dass das Ziel, die Macht des Drogenhandels zu verringern, in Teilen erreicht wurde.“ Die 30-jährige Anwältin ist in Uruguay spezialisiert auf das Fachgebiet der medizinischen Nutzung von Cannabis. „Die Regulierung funktioniert auf der Ebene des Freizeitkonsums“, sagt AlvesRocha. „Das Marihuana, das sie in den Apotheken verkaufen, ist von guter Qualität und der Preis ist in Ordnung. Die Leute haben Zugang dazu.“ Ein Problem sei dagegen der Schwarzmarkt für Touristen, denn Ausländer dürfen in Uruguay kein Marihuana kaufen: „Dieser Schwarzmarkt hat sich gebildet, weil bei der Legalisierung nicht an diese Problematik gedacht wurde.“ Die Gesetzgebung habe weder an Patienten gedacht, die Zugang zu Cannabisprodukten wünschen, noch an Ausländer, die Cannabis in einem Land konsumieren möchten, in dem der Konsum legal ist, betont AlvesRocha. So kaufen Uruguayer legal Marihuana in der Apotheke, verkaufen es dann aber zu einem höheren Preis an internationale Touristen.
Die Zahl der registrierten Kunden hat sich verdoppelt
Es ist ein Thema, das auch die Wissenschaftlerin Lorena Repetto bewegt. An der Katholischen Universität in Montevideo spricht Repettoüber ihre Forschungen, darüber, was sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat, seit die Regierung das Projekt des legalisierten und staatlich kontrollierten Anbaus und Vertriebs von Cannabis gestartet hat. Tatsächlich hat es eine Reduzierung des illegalen Cannabis-Marktes in Uruguay gegeben, berichtet Repetto. Die Zahl der bei den Apotheken registrierten Kunden habe sich von Mai 2018 bis Mai 2023 von 23.161 auf 59.680 mehr als verdoppelt. „Das bedeutet: Der Kontakt der Konsumenten mit dem illegalen Markt geht spürbar zurück“, sagt Repetto. Der illegale Cannabis-Markt verliert an Zugkraft und Umsatz, der legale Markt wächst.
Zugleich hätte sich aber das Phänomen des "grauen Marktes" gebildet, also eines Marktes, der irgendwo zwischen Illegalität und Legalität liegt. Einigen Konsumenten ist die offizielle Bestellung bei einer Apotheke zu umständlich, sie blieben lieber bei ihrem alten Dealer. Der öffentliche Konsum in dazu autorisierten, sogenannten Klubs und Vereinen sei nicht jedermanns Sache. Aus Brasilien kämen Händler, die gleich kiloweise Cannabis aufkauften, um es dann viel teurer im eigenen Land – wo es weiterhin verboten ist – zu verkaufen. Repettos Erkenntnis: „Die Cannabis-Regulierung hat einen legalen Markt geschaffen, aber den illegalen Markt nicht beseitigt.“ Ein Ergebnis der Regulierung sei daher ein echter Marktwettbewerb zwischen den illegalen und dem legalen Markt.
Der „graue Markt“ kennzeichne sich dadurch, dass Cannabis zwar legal produziert werde, aber für dessen Vertrieb nicht zwangsläufig legale Mechanismen gewählt werden. Der Erfolg des grauen Marktes speise sich laut einer vom Institut für Regulierung und Kontrolle von Cannabis (IRCCA) durchgeführten Umfrage dadurch, dass zwei Drittel der Befragten mit der Qualität des staatlich produzierten Joints nicht ganz zufrieden seien. Staatliche Joints entfalteten demnach nicht die Wirkung wie jene, die die Konsumenten von früher kannten. Die Selbstkultivierer, die Cannabis offiziell zu einem gewissen Umfang produzieren dürfen, haben in der Szene den Ruf, besseren Stoff auf den Markt zu bringen. Und genau dieser Stoff finde sich in den „grauen Märkten" wieder.
Die Cannabis-Industrie schafft auch legale Arbeitsplätze
Aber Repetto ist überzeugt, dass das wichtigste Ansinnen, das die Regierung mit dem Projekt hatte, erreicht wurde. „Die Verbraucher vom Drogenhandel und der damit verbundenen Gewalt fernzuhalten, war eines der Hauptziele der Verordnung“, heißt es dazu in der Studie von Repetto.
Im Land entwickelt sich seitdem eine eigene Cannabis-Industrie, die auch legale Arbeitsplätze schafft. In Uruguay hat inzwischen auch Südamerikas erstes Cannabis-Wellnessresort "La Tertulia" eröffnet. Das Fünf-Sterne-Haus, knapp drei Autostunden von Montevideo entfernt, ist in eine Felsenlandschaft eingebettet: „Das ikonische Anwesen, zuvor im Besitz der argentinischen Starschauspielerin Susanna Gimenez, ist im Herzen von Garzon verankert“, so steht auf der Website des Betreibers zu lesen. Zielgruppe sind jene, die Frieden, Ruhe und ein höheres Maß an Entspannung suchen. Also Gäste, die sich für die medizinische Nutzung von Cannabis interessieren. Zwischen Asados (Grillabenden), Luxusunterkünften und hervorragendem uruguayischen Wein gibt es auch Zeit, das Cannabis zu konsumieren – im gesetzlichen Rahmen.
Nun soll der legale Markt weiter wachsen, um den illegalen Markt weiter zurückzudrängen. Dazu muss auch an den Tourismus gedacht werden: Vor wenigen Monaten präsentierten Experten vor der Tourismus-Kommission der Abgeordnetenkammer einen Vorstoß, der eine weitere Legalisierung auch für internationale Touristen vorsieht. Nach einem Bericht der Zeitung El Observador könnte Uruguay auf diese Weise 100.000 Touristen im Jahr dazugewinnen.