
Der Feind ist eigentlich ganz hübsch. Acht Beine hat er und zwei Scheren vorne. Beim Männchen sind sie strahlend bläulich gefärbt. Blaukrabbe wird das Tier deshalb genannt. Callinectes sapidus lautet der wissenschaftliche Name, was so viel bedeutet wie "schmackhafter schöner Schwimmer". Nur hilft seine Schönheit diesem Krebs derzeit nicht. In Italien scheint es, als habe man das Tier zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Vom "Krieg gegen die Blaukrabbe" ist die Rede.
Es war vergangene Woche, als Luca Zaia, Gouverneur der Region Venetien, zur Pressekonferenz rief, zwei lebendige Blaukrabben in den Händen hielt und von der Gefräßigkeit dieses kleinen Monsters berichtete. "Es öffnet Austern, Miesmuscheln, Venusmuscheln, es verursacht ein Desaster, zerschneidet Fischernetze und ist sehr aggressiv", sagte der Lega-Politiker. Das Problem: Die im Mittelmeer ursprünglich nicht heimische Art verbreitet sich zusehends und bedroht die Muschelproduktion in Norditalien. Der traditionellen Fischfangindustrie ist die Blaukrabbe ein Dorn im Auge. "Killer der Meere" wird sie wegen ihrer Gefräßigkeit in Italien auch genannt.
In Venetien vernichten Blaukrabben die Muschelernte
In Venetien ist der Effekt ihrer Verbreitung besonders evident. 326 Tonnen Blaukrabben wurden in der gesamten Region in diesem Jahr gefangen. Im Po-Delta gibt es eine florierende Muschelproduktion. Seit die Blaukrabbe sich bis in diese für sie besonders angenehmen Gewässer vorgearbeitet hat, stehen die Züchter vor einem Problem. Berichtet wird von mehr als 50 Prozent Verlusten bei der Zucht von Venus- und Miesmuscheln. Dem Verband Agripesca zufolge verursacht die Blaukrabbe in den Regionen Venetien, Emilia-Romagna und Toskana ein Minus in Höhe von 100.000 Euro - am Tag. Das Sauté di Cozze oder der Teller Spaghetti vongole könnte demnächst noch teurer werden.
Die Regierung in Rom hat Anfang August 2,9 Millionen Euro Soforthilfe für die "Bekämpfung der Invasion" bereitgestellt, Fischerei-Konsortien sollen mit den Mitteln besser gegen die Blaukrabbe vorgehen können. Die Region Venetien stellte 80.000 Euro für die bessere Erforschung der Gattung bereit. "Die Blaukrabbe ist erst in den vergangenen Monaten in Italien zum Problem geworden", sagte Tonino Giardini vom Fischereiverband Impresa Pesca der Zeitung La Stampa. "Wir wissen immer noch nicht viel über die Blaukrabbe, wie sie lebt, wie sie sich fortpflanzt, welche Variablen ihre Verbreitung beeinflussen."
Die ursprünglich von der amerikanischen Atlantikküste stammende Art hat sich in den vergangenen Jahren im Mittelmeerraum verbreitet. Während ihr Vorkommen in Spanien, Südfrankreich oder Tunesien bereits bekannt war, ist nun offenbar Italien an der Reihe. Die Blaukrabbe lebt und frisst in der Lagune von Orbetello in der Toskana. Sie wurde in diesem Jahr erstmals an der Tibermündung und in Ostia in der Region Latium entdeckt. In der Adria ist sie bereits länger zu Hause, aber nicht in diesem Ausmaß. Die Blaukrabbe gilt als Allesfresser und hat keine natürlichen Feinde im Mittelmeerraum. Deshalb ihre rasante Vermehrung.
Die Blaukrabbe kam auf Schiffen aus den USA
Versehentlich eingeschleppt wurden ihre Eier vermutlich im Ballastwasser von Handelsschiffen aus den USA, die jenes Wasser im Mittelmeer abließen. Debattiert wird unter Wissenschaftlern und Forscherinnen, welche Rolle der Klimawandel bei ihrer Verbreitung spielt. Einer Theorie zufolge haben die heftigen und ins Meer abgeflossenen Regenfälle im Frühjahr für die Blaukrabbe ideale Wasserbedingungen geschaffen. "Auch die vom Klimawandel verursachte Erwärmung des Mittelmeers könnte eine Ursache sein", meint der Meeresbiologe Antonio Terlizzi. Im Juli wurde eine durchschnittliche Wasseroberflächentemperatur von mehr als 28 Grad gemessen.
Was also tun? "Wir sollten diese Krise in eine Chance verwandeln", sagte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida vor Tagen. In den USA oder China gilt das Tier als Delikatesse. "Blaukrabben haben einen hohen Gehalt von Vitamin B12, das für den Menschen sehr nützlich ist", sagte der Minister. Hiesige Gourmets sind dem Vernehmen nach von ihrem Geschmack überzeugt. Mancherorts steht die so unbeliebte Blaukrabbe bereits auf der Speisekarte und erreicht Preise von zehn Euro pro Kilogramm. Die ruhigen Tage der Blaukrabbe im Mittelmeer sind offenbar gezählt.
Gefährlich für den Menschen ist sie in der Regel übrigens nicht. Doch gerade wenn Blaukrabben in Massen auftreten, können sie aggressiv werden. Daher sollte man ihnen beim Baden im Meer nicht zu nahe kommen.