Als das Unglück geschah, war Boubacar Touré noch im Dienst. Das Gelände der Fincantieri-Werft grenzt an die Schnellstraße, die von Mestre nach Maghera führt. Es war Dienstagabend, etwa 19.45 Uhr. Der Arbeiter hörte einen Knall, dann Schreie. Mit einem Arbeitskollegen, auch dieser aus Gambia und bei Fincantieri beschäftigt, eilte er zur Unfallstelle und wurde Zeuge einer Tragödie. Ein Bus hatte auf einer Überführung die Leitplanke durchbrochen und war 15 Meter in die Tiefe gestürzt.
Busunglück in Venedig: Ein Baby ist unter den Toten
21 Menschen kamen bei dem Unglück nahe Venedig ums Leben, 15 Menschen wurden verletzt. Fünf von ihnen schwer. Bei vielen Opfern und Überlebenden handelt es sich um Touristen, die von einem Tagesausflug nach Venedig zum Campingplatz „Hu“ in Maghera zurückkehrten. Unter den Toten sind auch ein ein Jahre altes Baby sowie ein zwölfjähriges Kind. Nach Angaben der Polizei starben unter anderem fünf Menschen aus der Ukraine und ein deutscher Staatsbürger. Das Auswärtige Amt Berlin bestätigte, dass sich unter den Reisenden deutsche Staatsangehörige befanden. Am Mittwochabend berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa, es seien drei Deutsche getötet worden. Unter den Schwerverletzten ist ein vierjähriges Mädchen aus der Ukraine. Auch ein 13 und sieben Jahre altes Geschwisterpaar aus Österreich wurde verletzt.
„Ein Feuerwehrmann rief mir zu, ich solle ihm helfen“, erzählte Touré noch in der Unglücksnacht einem Reporter der Lokalzeitung Il Gazzettino. „Wir haben den Busfahrer in der Fahrerkabine gesehen, er war tot.“ Der Feuerwehrmann habe ihm gesagt, sie müssten jetzt die Lebenden herausholen. „Dann habe ich vier Menschen herausgezogen. Darunter war auch ein kleines Mädchen. Und ein Hund.“ So berichtete der 27-Jährige über die Schreckensnacht.
Über die Unfallursache herrschte am Mittwoch noch keine Klarheit. So spekulierten italienische Medien über einen Schwächeanfall oder Infarkt des 40-jährigen Busfahrers namens Alberto Rizzotto, der erst 90 Minuten zuvor seinen Dienst aufgenommen hatte und seinen Beruf seit sieben Jahren ausführt. Die Staatsanwaltschaft Venedig hat Ermittlungen aufgenommen und die Autopsie seines Körpers angeordnet. Nun sollen Bilder von Videokameras analysiert werden, die den Unfallhergang aufgezeichnet haben. „Der Bus prallte fünfzig Meter vor dem Sturz von der Überführung gegen die Leitplanke“, sagte Staatsanwalt Bruno Cherchi am Mittwoch. „Es gibt keine Anzeichen für eine Bremsung oder einen Zusammenstoß mit anderen Fahrzeugen“, fügte Cherchi hinzu.
Staatsanwaltschaft will die Sicherheitsvorkehrungen begutachten
Das Fahrzeug leistete im Auftrag des Campingplatzes einen Shuttle-Service nach Venedig und wurde von dem Unternehmen „La Linea“ betrieben. Geschäftsführer Massimo Fiorese sagte nach Angaben der Agentur LaPresse: „Niemand weiß genau, was passiert ist, allerdings gibt es eine Videokamera auf der Überführung. Auf den Bildern habe ich gesehen, wie der Bus mit einer Geschwindigkeit von weniger als 50 Stundenkilometern ankommt, man sieht die Bremslichter, er hat also gebremst. Dann ist zu sehen, wie sich der Bus förmlich an die Leitplanke lehnt und abstürzt.“ Giordano Biserni, Vorsitzender des Vereins der Förderer der Straßenpolizei, wies auf die Beschaffenheit der Leitplanke hin: „Bei der Leitplanke handelt es sich um eine einfache Ausführung, die ein Fahrzeug, das bis zu 18 Tonnen wiegt, niemals halten kann. Dazu wäre eine dreifache Ausführung notwendig.“
Die Staatsanwaltschaft will unter anderem die Leitplanke an der Außenbrüstung der Überführung genauer unter die Lupe nehmen. Sollte die Hypothese zutreffen, dass nicht genügend Sicherheitsvorkehrungen an der Unfallstelle getroffen wurden, könnte sich das Busunglück in Mestre in andere Unglücksfälle in Italien aus jüngerer Zeit einreihen. Zu denken ist etwa an den wohl durch mangelnde Wartung und Kontrollen verursachten Einsturz der Morandi-Brücke in Genua im Jahr 2018, bei dem 43 Menschen starben. In Mestre ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr. Staatsanwalt Cherchi kündigte an, dass auch die Lithium-Batterien des elektrischen Busses untersucht werden sollen, aus denen nach dem Absturz Gas ausgetreten war. Auch eine Verantwortung der Betreibergesellschaft „La Linea“ scheint demnach nicht ausgeschlossen.
Ein vierjähriges Mädchen schwebt in Lebensgefahr
Nach dem Absturz hatte das Buswrack Feuer gefangen. Die Bergungsarbeiten wurden deshalb erschwert. Noch am Mittwochmorgen bargen die Rettungskräfte Menschen aus dem Fahrzeug, das schließlich mit zwei Kränen gehoben und für weitere Untersuchungen in ein Depot gebracht wurde. Die Verletzten wurden in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert. Paolo Rosi, der regionale Verantwortliche für den Rettungsdienst 118, sagte: „Ich habe schon viele Tragödien gesehen, aber so ein schlimmes Unglück mit verbrannten Opfern, darunter Kinder, ist wirklich herzzerreißend. Ein einjähriges Baby ist gestorben, ein vierjähriges Mädchen schwebt in Lebensgefahr. Es ist die reine Apokalypse.“