In Bayern sagt man, Essen und Trinken hält Körper und Seele zusammen. Gibt es in Russland ein ähnliches Sprichwort, Herr Kaminer?
Wladimir Kaminer: Ich glaube, jedes Land hat ein solches Sprichwort. Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer stärker zerbröselt, gibt es kaum noch etwas, was Menschen mit Lust gemeinsam tun. Sie sprechen immer öfter übers Handy oder übers Internet miteinander und immer weniger direkt. Was ist geblieben? Miteinander zu essen.
Für den Sender 3sat und Ihre Reihe "Kaminer Inside" sind Sie durch die Schweiz, Österreich und Deutschland gereist, um zu ergründen, wie dort gegessen wird...
Kaminer: …und getrunken!
Logisch! Was aber hat Ihnen am besten geschmeckt?
Kaminer: Das kann ich gar nicht so genau sagen. Mich fasziniert vor allem die tiefe innere Verbindung zwischen einem Land und seinem Essen. Es ist ja tatsächlich so, dass Menschen jeden Tag essen. Und sie stopfen Zeug in sich hinein, von dem sie oft gar nicht wissen, was es ist. Andere geben sich ganz besondere Mühe, etwas ganz Besonderes zu speisen. Es ist also ein Thema, das viel größer ist, als ich gedacht habe. Es geht nicht nur um kulinarische Künste, ich habe im Essen viele Probleme widergespiegelt gesehen, die unsere Welt bewegen. Die Diskussion über den Klimawandel beispielsweise lässt sich meiner Meinung nach gut anhand der Entwicklung in der Gastronomie erzählen.
In Berlin gab es Currywurst. Worauf gründet sich deren Beliebtheit?
Kaminer: Ich weiß es nicht. Die Idee war, die vielfältige Gastronomie Berlins zu zeigen. Also musste ich auch eine Currywurst unter einer Berliner U-Bahn-Brücke essen. Das war ziemlich früh am Tage. Und dummerweise habe ich mir eine vegane Currywurst bestellt. Die schmeckte so schlimm! Wir mussten das nachdrehen. Später musste ich auch noch in einen Döner beißen.
In Österreich haben Sie Wiener Schnitzel, Marillenknödel und Salzburger Nockerl probiert. Was ist ihr Favorit?
Kaminer: Ich habe keinen. Man kann aber sagen, das Essen schmeckt immer da am besten, wo es auch die Menschen, die dort leben, verspeisen. Ich würde sonst nirgendwo Marillenknödel oder Nockerl zu mir nehmen. Aber die in Österreich waren wirklich sehr gut.
Haben Sie schon mal überlegt, ganz auf Fleisch und Wurst zu verzichten?
Kaminer: Nein, obwohl man eigentlich keine Lebewesen essen sollte. Wir wollen ja selbst auch nicht verspeist werden. Bei meiner Tochter, die keine Vegetarierin ist, sehe ich aber, dass sie sehr klar unterscheidet zwischen der Nahrung, die von gefolterten, toten Tieren kommt und der von glücklich gestorbenen, die eigentlich nur davon geträumt haben, gegessen zu werden. Ich kann das nicht so gut unterscheiden.
Können wir über ein schwer verdauliches Thema sprechen?
Kaminer: Was meinen Sie?
Den Krieg in der Ukraine.
Kaminer: Fragen Sie!
Der Krieg dauert nun schon anderthalb Jahre an. Wie sehen Sie aktuell die Lage?
Kaminer: Die Russen sind durch die Drohnenangriffe sehr verunsichert. Sie haben jetzt zum ersten Mal den Krieg als reale Gefahr kennengelernt. Bis dahin war er für die meisten von ihnen weit weg. Die Drohnen sind das neue Gesicht des Krieges. Da sind keine feindlichen Soldaten, keine Menschen mit Gewehren, sondern Geräte, die herumfliegen und jederzeit, an jedem Ort Menschen abknallen können.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie dieser Krieg enden könnte?
Kaminer: Dieser Krieg kann nur dadurch enden, dass die Russische Föderation eine Exit-Strategie angeboten bekommt. Ziel muss es sein, dass für Russland der Ausstieg aus dem Krieg günstiger ist als die Fortsetzung des sinnlosen Kampfes. Zur Zeit ist die politische Elite Russlands aber der Meinung, es ist besser weiterzukämpfen, als den Krieg zu beenden. Denn das Ende wird aus ihrer Sicht schrecklicher als die aktuelle Situation.
Was sollte geschehen?
Kaminer: Von den Europäern sollten Lösungsvorschläge kommen. Von alleine wird kein Ausstieg passieren. Denn Russlands Regierung schlägt mit diesem Krieg auch viele interne Schlachten. Und die russische Gesellschaft ist sprachlos. Es gibt keine Instrumente, auf sie von außen einzuwirken. Es wird sehr viel über die Ukraine nach dem Krieg gesprochen, von Marschallplan und Wiederaufbau – aber was mit den Russen passieren soll, sagt keiner. Das wäre aber wichtig. Russland wird ja nicht plötzlich von der Landkarte verschwinden.
Ihre Frau und Ihre Tochter sind in der Deutschen Bahn angefeindet worden, weil sie Russisch miteinander gesprochen haben. Ist Ihnen so etwas auch schon passiert?
Kaminer: Ich bekomme eher Mitleid von meinem Publikum. Ich habe ja sehr lange versucht zu erklären, dass die Russen ein ganz normales europäisches Volk sind. Ich verstehe aber die Überhitzung der Diskussion über Russland schon. Aufgrund der Kriegsverbrechen der Russen ist jede Reaktion nachvollziehbar. Meine Frau und meine Tochter wurden in der Regionalbahn von einer Frau angeschrien. Es ist sonst nichts passiert. Aber meine Tochter hat sich für den Auftritt der Frau fremdgeschämt. Doch das sind Peanuts im Vergleich zu dem, was die Ukrainer erleben.