Zum Jahresende noch mal Wunden lecken. Trauerarbeit für die nächste verbliebene Hälfte eines Ermittler-Duos. War ja ein verlustreiches Jahr in den Kommissariaten von „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. In Dortmund, in Rostock, vergangene Woche in Cottbus. Und eben auch in Berlin. Heißt für Robert Karow (Mark Waschke) in der neuen "Tatort"-Episode „Das Opfer“ (Sonntag, 20.15 Uhr/ARD): Zuschauen, wie der Schreibtisch der getöteten Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) ausgeräumt wird; umherirren, weil nicht wissen, wohin mit den Gefühlen; die neue Partnerin Susanne Bonard (Corinna Harfouch) steigt auch erst 2023 ein.
Es fällt auf, dass die durch solche Konstellationen erzwungenen, meist einmaligen Single-Ermittlungen immer wieder in gelungene Krimis münden. Das ist diesmal nicht anders. In einem Waldstück wird ein ermordeter Mann entdeckt. Eine Milieu-Hinrichtung, tippt Karow– der für den Fall gar nicht zuständig ist, sich aber auf eigene Faust an die Arbeit macht. Denn der Tote, ein Kollege, war Karows Jugendfreund.
Die kleinen Schwächen des Drehbuchs sind im neuen "Tatort" zu verschmerzen
Maik Balthasar (Andreas Pietschmann) war als verdeckter Ermittler in den Dunstkreis von Mesut Günes vorgedrungen, einem Nachtclubbesitzer und Clanchef, der in zahlreiche Gewaltverbrechen verwickelt ist, die ihm aber nie nachgewiesen werden konnten. Hat Günes Balthasar auf dem Gewissen? Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) sieht ihre Chance, ihn nun vor Gericht zu bringen.
Ja, das Drehbuch hat kleine Schwächen. So hätte Autor Erol Yesilkaya aus der Figur der Prostituierten Camilla (beeindruckend: Kim Riedle) bedeutend mehr herausholen können. Sie hat für Günes gearbeitet, ist bereit, bei der Polizei auszupacken und wird Karows Verbündete. Und dann wird zum Ende hin auch etwas nervend oft betont, dass es in dem Fall um die Wahrheit gehe, „und nur um die Wahrheit“.
Der neue "Tatort": Ein Blick in Karows Jugend
Dabei hat der Film Pathos überhaupt nicht nötig. Zu stark ist das Psychogramm, das er von dem sich ungewohnt verletzlich zeigenden Kommissar ausbreitet. Es ist ein tiefer Blick in Karows Jugend, auf seine Persönlichkeit, die zärtlichen Gefühle, die er als Teenager für seinen Freund hatte. Seinem Vater offenbart er sogar, dass er „das einzig Gesunde“, was er je für einen Menschen gefühlt habe, in seinem Verhältnis zu Maik spürte.
Hinzu kommt, dass der Krimi erst spät eine überraschende, wenngleich schmerzliche Wende erfährt, mit der nicht unbedingt zu rechnen war. Bis Staatsanwältin Taghavi dem Kommissar in die Augen schaut und sagt: „Sie sind ein seltsamer Mensch, Herr Karow.“ Könnten auch gute Abschiedsworte für einen scheidenden Ermittler sein.