Der jüngste Akt in diesem drehbuchreifen Kriminaldrama spielt sich am vergangenen Mittwoch ab. Da finden Berliner Polizeitaucher mutmaßliches Einbruchswerkzeug in der Spree. Was genau, ist unklar, aber es könnte sich um eine akkubetriebene Hydraulikschere handeln.
Erst am Vortag hat knapp 200 Kilometer entfernt im sächsischen Dresden ein Angeklagter in einem aufsehenerregenden Prozess davon erzählt. Keine 24 Stunden sind also vergangen, bis die Polizei die Geständnisse des 26-Jährigen und zweier Mitangeklagter zumindest in diesem Punkt überprüft hat.
Juwelenraub in Dresden: War der Einbruch nur eine fixe Lausbuben-Idee?
Seit einem Jahr verhandelt das Landgericht Dresden gegen insgesamt sechs Männer im Alter von 23 bis 29 Jahren. Sie sollen für den Diamantendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden im November 2019 verantwortlich sein. Noch immer ist der Ermittlungsdruck hoch. Kein Wunder, der Kriminalfall gehört ja auch zum Spektakulärsten, was das Land in jüngster Zeit erlebt hat. Schon an diesem Freitag dürfte das Gericht Details zum Tauchereinsatz in der Spree mitteilen.
Der Einbruch in die Barock-Schatzkammer, der Diebstahl von 21 Juwelen-Garnituren der einzigartigen Sammlung – die jungen Männer auf der Anklagebank stellen es so dar, als sei das alles auf Leichtsinn und Übermut zurückzuführen. Sie behaupten, auf das Einbruchsziel habe sie ein Freund nach einer Klassenfahrt und dem Besuch des Museums gebracht. Soll heißen: Der „sächsische Staatsschatz“ aus dem 17. und 18. Jahrhundert hat Kriege, Bombardierungen und Diktaturen überdauert, nicht aber die Dreistigkeit einer fixen Lausbuben-Idee?
Ein 23-Jähriger sagte, die Tat sei für ihn „eine Mutprobe“ gewesen, er habe „im Mittelpunkt stehen“ wollen. Ein anderer Angeklagter, der 26-jährige Wissam Remmo, räumte ein, Spezialgerät aus einer Firma in Erlangen gestohlen zu haben. Damit sollten die Gitterstäbe vor dem Fenster durchtrennt werden. Er habe die Akkuschere jedoch vor der Tat aus Angst vor Entdeckung in die Spree geworfen. Rabieh Remmo wiederum sagte, er und ein nicht mitangeklagter Dritter seien die beiden Einbrecher, die im Juwelen-Zimmer gefilmt wurden. „Ich war der mit der Taschenlampe.“ Das „Projekt“ hätten jedoch „andere“ geplant, Monate zuvor.
Der Deal im Juwelendiebstahl-Prozess hat viele überrascht
An diesem Freitag wird die Einlassung eines vierten Angeklagten erwartet, ehe das Gericht alle nach Einzelheiten befragen will. Die Namen weiterer Beteiligter müssen sie nicht nennen, Details zu Vorbereitung und Durchführung ihres Coups dagegen schon. So sieht es die Verfahrensverständigung vor, die Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor gut einer Woche getroffen haben. In der Justiz sagt man auch „Deal“ zu einem solchen Vorgehen. Der sieht in diesem Fall vor, dass die Angeklagten für umfassende Geständnisse zu Freiheitsstrafen von maximal sechs Jahren und neun Monaten verurteilt werden. Die zur Tatzeit noch heranwachsenden Zwillinge können mit Jugendstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen. Wegen ihnen findet die Verhandlung vor einer Jugendkammer statt.
Dass es zu dem Deal kam, hat viele Beobachter überrascht. Dazu muss man wissen: Alle Angeklagten wurden in Berlin geboren und sind Brüder oder Cousins, vielfach einschlägig vorbestraft. Sie gehören zur arabischstämmigen Remmo-Großfamilie, manche sagen auch „Clan“ dazu. Aus der Erfahrung zahlreicher früherer Prozesse in Berlin sei bekannt gewesen, dass Geständnisse, Schadenswiedergutmachung oder andere Kooperationen mit dem Staat eigentlich ausgeschlossen seien, sagt ein Dresdner Staatsanwalt.
Doch dann kam es kurz vor Weihnachten zu der unerwarteten Herausgabe eines Großteils der Beute. 18 der 21 Stücke kehrten zurück, wenn auch zum Teil erheblich beschädigt. Die Verteidiger hatten wohl erkannt, dass sie lange Freiheitsstrafen nicht verhindern können. Dafür war neben Bandendiebstahl ein zweiter Tatvorwurf verantwortlich: besonders schwere Brandstiftung mit der Mindeststrafe von fünf Jahren. Seit Anfang Dezember hatte es vertrauliche Gespräche gegeben. Mit dem herausgegebenen Schmuck seien die Angeklagten noch vor der Absprache „in Vorleistung“ gegangen, betonte der Vorsitzende RichterAndreas Ziegel beim Abschluss des Deals.
Die Täter steckten ihr Fahrzeug in Brand, zwei Mieter wurden verletzt
Auch nach mehr als drei Jahren hat der Einbruch nichts an seiner Dreistigkeit verloren. Am 25. November 2019, einem Montag, drangen Unbekannte kurz vor 5 Uhr durch ein Fenster in das Museum in der Dresdner Innenstadt ein. Das Eisengitter war durchtrennt, das Fenster am Stück eingedrückt worden. Mit einer Axt schlugen die Täter in weniger als einer Minute das Sicherheitsglas einer Vitrine im Juwelen-Zimmer ein, rissen den auf der Unterlage mit Angelschnur fixierten Schmuck heraus und versprühten einen Feuerlöscher. Dann rasten sie in einem Audi davon, Sekunden, bevor die Polizei am Residenzschloss eintraf. In der vier Kilometer entfernten Tiefgarage einer Wohnanlage im Stadtteil Pieschen steckten sie ihr Fahrzeug in Brand. Dort verlor sich ihre Spur. Zwei Mieter in Wohnungen über der Tiefgarage wurden dabei verletzt – deswegen die schwere Brandstiftung.
Schnell war klar: Der Kunstdiebstahl war von langer Hand vorbereitet worden. Die Täter hatten mit einem ersten Brand im Pegelhaus der nahen Augustusbrücke die Stromversorgung gekappt, vor dem Grünen Gewölbe erloschen die Straßenlaternen. Woher wussten sie, wie das geht? Auch der Einbruch in das vermeintlich gut gesicherte Museum schien ohne das Wissen oder gar die Hilfe von Insidern unmöglich.
Am Dienstag behaupteten die Angeklagten nun, einen Insider habe es nicht gegeben. Sie hätten das Museum als Besucher ausgekundschaftet und nachts durch die Fester gespäht. Im Pegelhaus habe ein Plan mit der Stromversorgung gehangen, „den haben wir abfotografiert“. Das eiserne Fenstergitter hätten sie bereits Tage vor der Tat mit dem Spezialwerkzeug durchtrennt und wieder fixiert, damit sie beim Einbruch nicht so viel Zeit verlieren.
Zu den verstörenden Informationen der ersten Tage gehörte auch die grob-verpixelte Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Überwachungskamera im Juwelenzimmer. Zu sehen sind zwei Täter, die mit brachialer Gewalt die Vitrine zerstören. Nicht nur das Vorgehen entsetzt die Dresdner bis heute, auch die schlechte Qualität der Bilder. Erst im Prozess wurde das ganze Ausmaß der Sicherheitsmängel bekannt. Von der Existenz akkubetriebener Hydraulikscheren und -spreizer, wie die Feuerwehr sie einsetzt, wusste man dort offenbar nichts. Das tagelange Agieren der Täter direkt an der Schlossmauer fiel niemandem auf. Fassaden- und Bewegungsmelder funktionierten nicht, die Alarmanlage produzierte dutzendfach Fehlalarme, das Wachpersonal war überfordert.
Nach der Tat bildete die Polizei die Sonderkommission „Epaulette“ mit mehr als 40 Ermittlerinnen und Ermittlern. Mitte November 2020 wurden die ersten Verdächtigen in einem unter höchster Geheimhaltung vorbereiteten Großeinsatz in Berlin verhaftet. 1600 schwerbewaffnete Einsatzkräfte hatten vor allem in Neukölln und Kreuzberg Wohnungen durchsucht. Die Zwillinge konnten zunächst flüchten. Erstmals fiel der Name „Remmo“.
Auf das Konto des Clans ging beispielsweise schon der Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum in Berlin 2017. Es gab auffällige Parallelen: ein spektakulärer Kunstdiebstahl, dreistes Vorgehen, Millionenschaden, Insiderwissen. Doch anders als die Dresdner Juwelen – es waren mehr als 4300 – ließ sich damals das Gold unentdeckt verwerten. Anfang 2020 wurden schließlich mehrere Täter in Berlin verurteilt. Zwei von ihnen, die auch jetzt in Dresden wieder auf der Anklagebank sitzen, verbüßen gerade ihre viereinhalbjährigen Jugendstrafen.
Der 26-jährige Wissam Remmo gab nun zu, den Einbruch in Dresden während seines laufenden Goldmünzen-Prozesses begangen zu haben. Der Golddiebstahl sei als „Geniestreich“ gefeiert worden, erstmals habe er „so etwas wie gesellschaftliche Anerkennung“ empfunden: „Ich war der Meisterdieb.“ Danach jedoch habe er mit dem Koksen begonnen. Ob auch der verurteilte 24-jährige Ahmed Remmo in Dresden mitgewirkt hat, ist unklar. Weil er ein bislang unwiderlegtes Alibi hat, ist er nicht Teil der Verständigung.
Wer war wirklich im Museum in Dresden?
Für den Wert der Beute gibt es keinen Preis. Die Anklage nennt einen Wert von mindestens 113,8 Millionen Euro. In dieser Höhe werden die kunsthistorisch einmaligen Preziosen versichert, wenn die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sie für Ausstellungen anderen Museen ausleihen. Die Einzigartigkeit der Garnituren ergibt sich aus ihrer Vollständigkeit.
Zum Prozessbeginn vor einem Jahr schien es, als wiederholten sich die Muster früherer Remmo-Verhandlungen. Die Angeklagten schwiegen und überließen Reden und Taktieren ihren Anwälten. Die traten freundlich, aber bestimmt auf, zündeten manchmal Nebelkerzen, das übliche Geschäft. Das sei „Sippenhaft“, sagte ein Verteidiger einmal – weil auf der Anklagebank eben Männer mit dem Namen Remmo sitzen.
Es gibt nur wenige Spuren, die sich Beschuldigten individuell zuordnen ließen, wie einzelne DNA-Treffer an einer Mauer außerhalb des Grünen Gewölbes oder die Eingabe von Suchbegriffen in Handys wie „EinbruchDresden“ am Vormittag des Tattages. Waren wirklich diese sechs dabei? Und wer war wirklich im Museum?
Bestechend ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Gesamtheit dessen, was Ermittler und Kriminaltechniker zusammengetragen haben. Sechs Stunden vor der Tat kontrollierte die Polizei in Berlin einen VW Golf mit vier Insassen, die sich auffällig verhielten. Alle hießen Remmo und waren polizeibekannt, im Kofferraum lag Einbruchswerkzeug. Drei der Insassen sind unter den Angeklagten. Zwei haben nun zugegeben, tatsächlich auf dem Weg nach Dresden gewesen zu sein. Die anderen beiden seien jedoch keine Mittäter.
Mit dem gefälschten Taxi konnten sie unauffällig vor dem Schloss parken
Mehrere Pendler wurden kurz nach dem Einbruch von einem Taxi in hohem Tempo überholt – auf dem Weg nach Berlin. Dass die Polizei dieses Auto ausfindig machen konnte, war wohl einer der entscheidenden Fehler der Angeklagten oder anderer Beteiligter. Am ersten Weihnachtsfeiertag 2019 versuchten Unbekannte, einen Mercedes auf einem Berliner Polizeigelände in Brand zu stecken. Zuvor hatten sie das Navigationsgerät herausgerissen – wohl um zu verschleiern, wo das Autoüberall war. Der Brand hatte den Mercedes kaum beschädigt, aber das Interesse der Polizei geweckt. Der ältere 500er E-Klasse-Wagen mit 750 PS war eine Woche zuvor sichergestellt worden. Er hatte tagelang mit offenem Fenster und gefälschtem Nummernschild gestanden.
DNA-Treffer ergaben Hinweise auf die Angeklagten. So kam die Dresdner Soko zu dem Fahrzeug, es wurde in einem Labor des Landeskriminalamtes Sachsen Schicht für Schicht nach Spuren untersucht. Die Techniker sicherten DNA-Spuren, fanden feinste Splitter des Sicherheitsglases der im Grünen Gewölbe zerschlagenen Vitrine sowie Reste einer beigefarbenen Folie und einer Dachhalterung. Es war das Auto, in dem die Einbrecher zu sechst ihre Flucht fortgesetzt hatten. Mit der Folienbeklebung, einem Dachschild und falschen Dresdner Kennzeichen hatten die Täter der Limousine die Optik eines tatsächlich existierenden Taxis verpasst. Damit konnten sie unauffällig vor dem Residenzschloss parken.
Auch die Flucht mit dem gefälschten Taxi gaben die Angeklagten am Dienstag zu. Sie behaupteten jedoch, sie hätten den Audi, das erste Fluchtfahrzeug, schon vor dem Tiefgaragentor anzünden wollen. Weil sich das Rolltor plötzlich öffnete, seien sie hineingefahren. Sie hätten angeblich auch nicht gewusst, dass sich im Handschuhfach eine scharfe und geladene Pistole befand.
Wie lange der Prozess noch dauern wird, hängt nun von den weiteren Einlassungen und dem Fragebedarf des Gerichts ab. Interessant ist beispielsweise, dass ein 23-jähriger Mitangeklagter von allen drei Angeklagten entlastet wurde, die Männer aber mit keiner Silbe Ahmed Remmo erwähnten – den Mann, der angeblich ein Alibi hat.