Ein Kloster bauen? Wer würde das in Deutschland heute noch tun, wo Mönche und Nonnen so selten geworden sind wie Nachwuchs im Priesterseminar? Im Wald bei Meßkirch indes läuft nun seit zehn Jahren das deutschlandweit einmalige Experiment einer lebendigen Archäologie: der Bau eines Klosters nur mit den Mitteln, die den Menschen vor 1200 Jahren zur Verfügung standen. Hier wird die Uhr aufs Frühmittelalter zurückgestellt. Maschinen und Strom sind tabu.
Nur der Zukunftsbahnhof Stuttgart 21 dürfte als Großbaustelle in Baden-Württemberg bekannter sein als das Langzeitprojekt Campus Galli, das den Namen eines Wandermönchs, des heiligen Gallus, trägt. Er brachte den christlichen Glauben in die Region, die Mittelalter-Handwerker sind auf einer anderen Mission: eine Zeitreise ins frühe 9. Jahrhundert wagen, die mehrere Jahrzehnte dauern kann und auf der – wie man volksphilosophisch sagt – der Weg das Ziel ist.
Seit April 33.000 Besucherinnen und Besucher auf dem Campus Galli
„Wir sind inzwischen Bauunternehmen, Gastronomiebetrieb mit angeschlossener Landwirtschaft, Tourismusbüro, Museum und Forschungsstätte“, sagt Hannes Napierala, der Geschäftsführer. Als er 2014 hier antrat, war das anders. Ein Rundgang auf dem Areal fühlte sich, wie er sagt, wie ein „Waldspaziergang“ an. Stille und Einsamkeit, Baumkronen dicht an dicht und vereinzelt die Hütte eines Handwerkers – Töpfer, Schmied, Korbflechter oder Schindelmacher – am Wegesrand. Die Besucher brauchten viel Fantasie, um hier den Keim einer Klosterstadt zu sehen.
Das tat dem History-Interesse keinen Abbruch, die jährlichen Besucherzahlen sorgten zuverlässig für fünfstellige Rekorde. „Stand jetzt sind wir seit der Saisoneröffnung im April bei der Marke von 33.000 Besuchern.“ Wenn Hitzewellen die Leute nicht von der Fahrt nach Meßkirch abhielten, könnte man dieses Jahr die 100.000er-Marke knacken. Wer an diesem Tag den um die Mittagszeit fast ausgebuchten Parkplatz sieht, die Reisebusse und Wohnmobile, die Schulklassen und die den campuskundigen Führern lauschenden Seniorengruppen, der kann das Erbe der Mönche um Gallus und den legendären Reichenauer Abt Pirmin in wachsender Blüte sehen.
Im Campus Galli bei Meßkirch wird das erste Gebäude errichtet
Wo Gallus und Pirmin das Kreuz errichteten, dauerte es Jahre, bis sich ein Kloster mit allen Konvents- und Versorgungsgebäuden aus der Lichtung erhob. So ist es auch im Klosterwald. Dort wird ein neues Baukapitel aufgeschlagen. Es wird das erste Gebäude errichtet, das zu einem Großteil aus Steinen aufgemauert ist: Es gehört zum künftigen Hof des Kloster-Abts und ist dreigeteilt: „Eine hölzerne Badstube, ein durch die Steinwände mäusesicherer Lagerraum und die Küche mit dem gemauerten Ofen“, sagt Napierala.
Die Türlaibungen sind fertig und aus roten Sandsteinquadern gefügt. Der Steinmetz Jens Lautenschlager hat die Schwergewichte aus einem Steinbruch in Form gebracht, sie wurden auf Fichtenbalken mühsam zum Gebäude gerollt. Das ist von einem Gerüst aus Holzstangen eingerahmt. Dafür brauchte es eine behördliche Genehmigung. Denn Gerüste, die TÜV-konform sind, bestehen aus Metall. Unpassend für das 9. Jahrhundert.
Ein junger Mann mischt den Mörtel im Campus Galli
Till Troschke beugt sich über den Mauerstumpf, der fast eine Armlänge Tiefe misst. Er trägt die Leinenkluft seiner Berufsahnen und gräbt die Hände – Gummihandschuhe darf er der Hautgesundheit halber tragen – in einen langen Holzbottich voller kernigem Mörtel. „Ich kann mich hier nicht mehr wegdenken“, sagt der junge Mann. Den Kalkmörtel, der keinen modernen Zementzusatz hat, müssen die Handwerker in einer Erdgrube selbst mischen. Troschke spricht begeistert vom „Sumpfen“ mit Wasser, der Beigabe von Sand, dem „Ablöschen“ und der nicht ganz ungefährlichen chemischen Radau-Reaktion. Aber das gehöre zur „Nachhaltigkeit“, sei der Reiz des „Bauens ohne Chemie“.
Als auf dem Campus noch ausschließlich mit Holz, Weidenflechtwerk und Lehm gebaut wurde, ergab sich die Baubiologie von allein. Die Natur lieferte das Material. Jetzt, wo es ans Mauern geht, hat sich das geändert. Altes, verloren gegangenes Wissen – etwa über die Mischung des Mörtels– muss durch Ausprobieren und Lernen neu erworben werden. Alte Rezepturen gibt es nicht, die Mönche haben in ihren Schreibsälen über Mörtel keine Worte verloren. Klar ist nur: „Auf Bauzusatzstoffe wie Zement wollen wir verzichten“, erklärt der Geschäftsführer.
Damit bohren die Campusleute ein dickeres Brett als erwartet. „Das Thema Mörtel sorgte für viel Frust“, gesteht Napierala. Wo in die Höhe gemauert wird, wo Festigkeit ganz oben steht, kommen Zahlen ins Spiel. Ganz unmittelalterlich nüchtern mischen sich die Baustatiker ein, mit Messprotokollen und Stempeln. „Wir haben lange Rezepturen ausprobiert“, sagt Hannes Napierala. „Jetzt sind wir sicher, dass wir die Anforderungen erfüllen.“
Alle Informationen über Öffnungszeiten, Eintrittspreise und Führungen: www.campus-galli.de