
Die „palpata breve“ ist in Italien derzeit in aller Munde. Der Ausdruck bedeutet so viel wie „kurzes Begrapschen“. Ein umstrittenes Urteil eines Gerichts in Romhat eine Diskussion im Land ausgelöst. Viele sind empört über den Richterspruch. Den Kritikern zufolge legitimierten die römischen Richter das „kurze Begrapschen“ einer Frau. In den sozialen Netzwerken protestieren Schauspieler, Influencer und andere mit Kurzfilmen gegen das Urteil.
Der Hintergrund ist ein Vorfall aus dem April 2022. Auf einer Oberschule in Rom lief damals eine 17-Jährige zusammen mit ihrer Freundin die Treppe hinauf und fühlte, wie ihr jemand an den Po fasste. Jemand habe ihr in die Hose gefasst, berichtete das Mädchen. Die Person habe ihr Gesäß berührt. Dann habe der Mann an der Unterhose gezogen und schließlich das Mädchen zwei Zentimeter nach oben gehoben. Die 17-Jährige drehte sich um und sah, wer sie da begrapschte: der 66 Jahre alte Hausmeister Antonio A.
"Schatz, das war nur Spaß", will er gesagt haben
Das Mädchen reagierte zunächst nicht, zeigte den Hausmeister dann aber bei der Staatsanwaltschaft an. Im Prozess gegen A. forderte die Staatsanwaltschaft drei Jahre und sechs Monate Haft. Die Richter jedoch sprachen den 66-Jährigen frei. Dieser hatte im Prozess zwar zugegeben, das Gesäß des Mädchens berührt und sie hochgehoben zu haben, allerdings nur „aus Spaß“ und ohne seine Hände in die Unterhose zu schieben. „Schatz, das war nur Spaß“, will A. gesagt haben.
Zum Stein des Anstoßes wurde die Begründung der Richter. Sie schrieben, dass die Aktion nur „ein paar Sekunden“ gedauert habe. Wesentlich für das Urteil war das, was man im Strafrecht den subjektiven Tatbestand, also die Absicht des mutmaßlichen Täters nennt. „Die Plötzlichkeit der Handlung, ohne jedes Beharren auf einer Berührung“, erlaube es nicht, „die vom Strafrecht allgemein geforderte libidinöse Absicht oder Begierde“ festzustellen, hielten die Richter fest. Hätte die Tat also länger dauern müssen, um als Straftat anerkannt zu werden?
Kritiker antworten mit Kurzfilmen
Das Gericht glaubte dem Hausmeister, dass dieser nur zum Scherz gehandelt habe. Die Aktion sei „ungeschickt“ gewesen, „aber ohne Begierde“ erfolgt, so die Richter. Das zur Verurteilung notwendige subjektive Element, also die Absicht des Hausmeisters, die junge Frau zu belästigen, sei nicht gegeben. Es folgte der Freispruch. Die Schülerin hatte angegeben, das Begrapschen habe „zwischen fünf und zehn Sekunden“ gedauert.
Bedeutet das Urteil demnach, dass jeder, der „ohne Begierde“, sondern nur „zum Spaß“ bis zu zehn Sekunden eine Frau begrapscht, keine Konsequenzen fürchten muss? Die Kritiker antworteten mit Kurzfilmen. Der Erste war Schauspieler Paolo Camilli (The White Lotus), der sich in einem auf Instagram unter dem Hashtag #10secondi (zehn Sekunden) veröffentlichten Kurzvideo selbst an die Brust fasste. Dazu der Text: „Das „kurze Begrapschen“, ist keine Straftat, wenn es weniger als zehn Sekunden dauert“. Im Video läuft eine Stoppuhr. Die bekannte Influencerin Chiara Ferragni beteiligte sich ebenfalls an dem Protest.
Auch das Opfer, die 17-jährige Schülerin, meldete sich nach dem Urteil zu Wort: „Das ist nicht gerecht“, sagte sie. „Das ist nicht die Art und Weise, wie ein alter Mann mit einem 17-jährigen Mädchen scherzt. Ich fange an zu glauben, dass es falsch war, der Justiz zu vertrauen.“ Nach ihrem Fall werde ein Mädchen, das begrapscht wird, eine solche Tat eher nicht mehr zur Anzeige bringen. „In meinem Fall wurde die Beschwerde von der Schule eingereicht, die mich unterstützt hat.“
Expertin sagt: Es sind Akte der Macht, nicht des reinen Begehrens
Die bekannte Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Michela Murgia kritisierte, dass das Gericht auf die Subjektivität des Täters abstellte: „Die Absicht, auf die es ankommt, sollte die des Mädchens sein, das gerade deshalb Opfer ist, weil es die Absichten anderer erduldet hat, ohne dass sie jemand nach ihren gefragt hat.“ Murgia zufolge handelt es sich bei sexueller Belästigung, Vergewaltigung und sexueller Gewalt um Akte der Macht und nicht um reines Begehren.
Schon früher hatte die italienische Justiz im Zusammenhang mit sexueller Gewalt mit umstrittenen Urteilen von sich reden gemacht. 2017 sprach ein Berufungsgericht in Ancona zwei Männer vom Vorwurf der Vergewaltigung einer 22-Jährigen frei. Die Begründung: Das Mädchen habe dem Hauptangeklagten „nicht einmal gefallen“, er habe ihre Telefonnummer unter dem Namen „Wikinger“ gespeichert und damit auf eine ganz und gar unweibliche, sondern eher männliche Persönlichkeit angespielt. Kaum zu glauben: Das damalige Urteil wurde von drei Richterinnen gefällt.
Im selben Jahr fällte ein Turiner Gericht ein skandalöses Urteil. Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes hatte einen Kollegen wegen sexueller Nötigung angezeigt. Als Begründung für die Abweisung der Klage hielt das Gericht fest: Die Betroffene habe nach den Taten „nicht geschrien, nicht geweint“ und habe mithin „nicht die Emotionalität an den Tag gelegt, die die Verletzung ihrer Persönlichkeit in ihr geweckt haben müsste“. Auch hier folgte ein Freispruch.