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Erdbeben
Türkisch-syrisches Katastrophengebiet: Wenn die Wunder selten werden
Noch immer werden Überlebende aus den Trümmern in der Türkei gerettet. Wie sich das erklären lässt. Und wie ein Verein deutscher Bestatter im Katastrophengebiet gerade hilft.
Erdbebenkatastrophe in der Türkei - Kahramanmaras       -  Rettungskräfte im türkischen Kahramanmaras – die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, schwindet Stunde für Stunde.
Foto: Hussein Malla, AP/dpa | Rettungskräfte im türkischen Kahramanmaras – die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, schwindet Stunde für Stunde.
Lisa Marie Waschbusch, Daniel Wirsching
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:13 Uhr

Es gibt wenige gute Nachrichten aus dem türkisch-syrischen Katastrophengebiet. Stets werden sie begleitet von dem Wort „Wunder“ und der Formulierung „nach 58 Stunden“, „nach 60 Stunden“, „nach 68 Stunden“. Sie sind in den vergangenen Tagen seltener geworden. „Nach rund 120 Stunden“, „nach 134 Stunden“, „nach 163 Stunden“ ... Am Mittwochabend schließlich berichten Einsatzkräfte, dass der 13 Jahre alte Mustafa nach 228 Stunden in der türkischen Stadt Antakya gerettet werden konnte. Ein Video zeigt, wie Feuerwehrleute und Bergarbeiter versuchen, ihn anzusprechen. Dann wird er auf einer Trage liegend weggebracht aus der Trümmerlandschaft.

Normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden ohne Wasser auskommen

Dass ein Überleben derart lange möglich ist – normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden ohne Wasser auskommen –, liege vor allem am Wetter, zitiert die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag den Vize-Vorsitzenden der türkischen Ärztekammer in Adana, Ali IhsanÖkten. „Die Körperfunktionen der Verschütteten fahren bei dem Wetter runter“, erklärt er, so rette sich der Körper selbst. Wäre die Katastrophe im Sommer passiert, hätten Menschen niemals so lange ohne Wasser überleben können. Wer nun bei der gegenwärtigen Kälte noch lebend gefunden werde, sei eine absolute Ausnahme. Denn natürlich stelle auch das Winterwetter ein Risiko dar: „Sehr, sehr viele sind in den Trümmern erfroren“, sagt Ökten. Er vermutet, dass viele der jetzt Geretteten irgendeinen Zugang zu Wasser gehabt hätten. In manchen Regionen habe es zwischendurch geschneit und geregnet.

Die Hoffnung, weitere Lebende zu finden, schwindet von Stunde zu Stunde. Mehr als 42.000 Tote hat man, Stand Donnerstagmittag, in der Türkei und Syrien gezählt, seitdem am vorvergangenen Montag ein erstes Beben der Stärke 7,7 die Südosttürkei erschüttert hat. Erste Such- und Rettungsteams aus Deutschland sind bereits aus dem Katastrophengebiet zurückgekehrt. Dort wird die Arbeit anderer Helfer immer wichtiger: die der Bestatter.

Bestatter Ralf Michal: Hoher psychischer Druck, der auf den Helfern lastet

Marco Pfister ist einer von ihnen. Er zählt zu einem zehnköpfigen Team des Vereins DeathCare, das dabei hilft, Tote zu bergen und zu bestatten. „Die ehrenamtlichen Mitglieder nehmen die Verstorbenen entgegen, bringen sie zu den Sammelcamps, desinfizieren sie und bringen sie dann zu den Friedhöfen, auf denen sie bestattet werden sollen“, erklärt Ralf Michal. Michal leitet ein Bestattungsunternehmen im unterfränkischen Schweinfurt und ist Präsident des Bundesverbands Deutscher Bestatter. Pfister ist ein langjähriger Mitarbeiter von ihm.

Hörbar berührt schildert Michal die Geschichte dreier Kinder, die er erzählt bekommen habe: Sie hätten am Sammelplatz für Verstorbene nach ihren Eltern gesucht und sie unter den Toten entdeckt. „Den psychischen Druck können Sie sich vorstellen, der da auf den Helfern lastet.“ Eine erste Delegation der Ehrenamtlichen reiste am Donnerstag vor einer Woche ins Erdbebengebiet; sie wurde nach sieben Tagen am Donnerstag wieder in Deutschland erwartet. Michal selbst hatte in Berlin der Bundesregierung die Hilfe seines Verbandes angeboten. In der Türkei, sagt er, sei das Hilfsteam von Innenminister Süleyman Soylu dankend empfangen worden. Als Bestatter habe man jeden Tag mit dem Tod zu tun, ergänzt er. Doch in der Türkei habe sich das Team um 200 bis 300 Verstorbene kümmern müssen. Die deutschen Bestatter seien eine wesentliche psychische und physische Unterstützung für die örtlichen Einsatzkräfte.

In der Türkei wurden beim Erdbeben mehr als 220.000 Wohnungen zerstört

DeathCare ist bundesweit organisiert und half unter anderem bei dem Erdbeben in der Türkei 1999 sowie dem Tsunami in Thailand 2004/2005. In dem Verein engagieren sich rund 40 selbstständige Bestatter, die eine Zusatzausbildung zum Thanatopraktiker, also zum Spezialisten für die Einbalsamierung, Rekonstruktion und Konservierung von Leichen, haben.

Im Katastrophengebiet laufen zudem schon Aufräumarbeiten. Allein in der Türkei wurden Regierungsangaben zufolge mehr als 220.000 Wohnungen zerstört oder stark beschädigt. Präsident Erdogan sagte, es seien 1,6 Millionen Menschen in Notunterkünften untergebracht und 600.000 aus dem Katastrophengebiet gebracht worden. Syrien erreichten am Donnerstag weitere Hilfslieferungen. Wie Medien berichteten, spendeten sogar Kinder aus der syrischen Stadt Rakka ihr Taschengeld.

 
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