Auf diesen Tag hat die Wissenschaft sehnsüchtig gewartet. Forscherinnen und Forschern am „Lawrence Livermore“-Nationallabor in San Francisco ist es bei einer kontrollierten Kernfusion gelungen, mehr Energie zu erzeugen, als sie für den Prozess einsetzen mussten. Ein Durchbruch für den Traum von einem endlosen Strom sauberer Energie?
Wie die Washington Post und die Financial Times als Erste berichteten, setzten die Forscher 2,1 Megajoule an Energie ein, um mithilfe von Laserstrahlen die Verschmelzung zweier Wasserstoff-Isotope in Gang zu setzen. Die Fusionsreaktion in der Anlage produzierte daraufhin 2,5 Megajoule an Energie. US-Energieministerin Jennifer Granholm sagte: „Einfach ausgedrückt ist dies eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts.“ Es geht dabei um die Erschließung einer neuen Energiequelle.
Kernfusion in den USA: "Wir erleben einen historischen Moment"
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt gratulierten den US-Kollegen schon mal zu dem Erfolg, der zuvor Generationen von Fachleuten verwehrt geblieben war. „Wenn sich das bestätigt, erleben wir einen historischen Moment“, reagierte etwa der Plasmaphysiker Arthur Turrell vom Londoner Imperial College.
„Wir sind enorm stolz darauf, dass dies hier in den USA geschehen ist“, freute sich David Edelman, dessen Firma TAE im Bereich der Kernfusion tätig ist. „Das ist ein wichtiger Meilenstein.“ Seit den 1950er-Jahren haben Wissenschaftler versucht, Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen zu gewinnen. Trotz enormer Investitionen in den „Heiligen Gral“ der Energiegewinnung waren die verfolgten Ansätze bisher gescheitert.Den Amerikanern gelang das bahnbrechende Experiment durch den Einsatz einer Strategie, die unter Experten als „Trägheitsfusion“ bekannt ist. Dabei wird Wasserstoff in einem Hohlraum mit extrem intensiven Laserstrahlen beschossen. Die in einer nur zwei Millimeter großen Kapsel eingeschlossenen Isotope Tritium und Deuterium verschmelzen bei einer Temperatur von knapp 60 Millionen Grad Celsius zu Helium und erzeugen in dem Prozess Energie.
Gewissermaßen kopieren die Wissenschaftler damit, was in der Sonne passiert. Ein leitender Forscher sagte der Washington Post, das Prinzip sei den Experten schon seit einiger Zeit klar gewesen. „Für die meisten von uns war dies nur eine Frage der Zeit.“
Ein alternativer Ansatz im Wettlauf um die Kernfusion wird im südfranzösischen Cadarache verfolgt, wo der Forschungsreaktor ITER entsteht. Ein internationales Konsortium, dem die Europäische Union, die USA, die Schweiz, Großbritannien, Japan, Südkorea, China und Russland angehören, hat Milliarden an Euro investiert, um dort eines Tages – eingeschlossen in mächtigen Magnetfeldern – Plasma aus Wasserstoff-Isotopen so weit zu erhitzen, dass die Kernfusion einsetzt. Mit großem Interesse wurden die Nachrichten aus Amerika auch am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München zur Kenntnis genommen. Dort wird seit Jahrzehnten am Thema Kernfusion geforscht. In Oberbayern geht es – wie bei ITER – ebenfalls nicht darum, eine Kernfusion mit einem Laserstrahl auszulösen – sondern Wasserstoffteilchen, Radiowellen und Mikrowellen mit hoher Energie auf ein hocherhitztes Teilchengemisch, das genannte Plasma, zu schießen, um auf diese Weise eine Verschmelzung von schwerem Wasserstoff zu Helium zu erreichen.
Kernfusion: Noch viel Grundlagenforschung ist nötig
Auch Professor Sibylle Günter, Wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, gratulierte dem amerikanischen Forscherteam zu seinem Erfolg. Nach mehr als zehn Jahren Experimentierzeit habe man erstmals „wirklich relevante Fusionsenergie“ freisetzen können, sagte sie unserer Redaktion. Nun sei noch viel weitere Grundlagenforschung nötig. Um technische Probleme ganz zu lösen, seien sicher noch weitere zehn Jahre des Forschens notwendig. Für das Justieren einer Fusionszündung brauche man derzeit mehrere Tage. In einem Kraftwerk müsste eine solche Zündung aber zehnmal pro Sekunde erfolgen.
Insofern rechnet die Expertin noch mit einem langen Weg, bis der richtige Durchbruch für den Einsatz in der täglichen Energiegewinnung geschafft sein wird. Und sich damit die Tür öffnet für eine klimafreundliche Energiequelle, die Öl, Kohle und Gas im großen Stil ersetzen könnte.
Wie gewaltig die möglichen Konsequenzen sind, illustriert ein Vergleich, den Fusionsforscher gerne anstellen. Demnach kann ein Gramm Wasserstoff so viel Energie liefern wie elf Tonnen Kohle. Eine Kaffeetasse voll mit Wasserstoff-Brennstoff reiche aus, um ein Wohnhaus über hunderte Jahre mit Energie zu versorgen. Anders als bei der seit Jahrzehnten zur Energiegewinnung in Atomkraftwerken eingesetzten Kernkraft fällt bei der Kernfusion kein radioaktiver Müll an, der in Endlagern auf lange Zeit ein schwer kalkulierbares Risiko darstellt. Sollte es Ingenieuren gelingen, die Ergebnisse der kalifornischen Forscher in ein verlässliches Verfahren zur Energieproduktion zu verwandeln, stünde eine unendliche saubere Energiequelle zur Verfügung.