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Campobello di Mazara
Der nette Signor Francesco war in Wahrheit ein Mafiaboss
Matteo Messina Denaro, der letzte Superboss der Cosa Nostra, lebte zwei Jahre lang unbehelligt in einer Kleinstadt auf Sizilien. Deckte die Bevölkerung den Mafiachef?
391422536.jpg       -  Matteo Messina Denaro (rechts), Chef der sizilianischen Cosa Nostra, nach seiner Festnahme.
Foto: dpa | Matteo Messina Denaro (rechts), Chef der sizilianischen Cosa Nostra, nach seiner Festnahme.
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:17 Uhr

Man sollte meinen, Mafiabosse müssten sich verstecken, wenn sie der Polizei nicht ins Netz gehen wollen. Im Fall von Matteo Messina Denaro, dem im Januar in Palermo in einer Privatklinik festgenommenen letzten Superboss der sizilianischen Cosa Nostra, traf dies allerdings nicht zu. MessinaDenaro, der, obwohl er der meistgesuchte Kriminelle Italiens war, 30 Jahre lang seinen Fängern entkommen konnte, stellte sich in Campobello di Mazara seelenruhig als „Signor Francesco“ vor. Der 60-Jährige fuhr mit einem Alfa Romeodurch das Provinzstädtchen, ließ die Reifen seiner „Giulietta“ wechseln. Manchmal ging er zum Abendessen in teure Restaurants, die Ermittler fanden eine Restaurant-Rechnung über 700 Euro in seiner Wohnung.

Der Boss, verantwortlich für dutzende Morde und tödliche Sprengstoffanschläge Anfang der 1990er Jahre in Italien, machte hier und da auch einen Spaziergang. Im Mai 2022 beauftragte der Boss höchstpersönlich ein Umzugsunternehmen, seine Möbel in eine neue Wohnung im Ort zu transportieren. Er hatte offenbar mehrere Geliebte. Und einen Arzt, der dem zuletzt Krebskranken insgesamt 137 Rezepte ausstellte: Alfonso Tumbarello.

Der Leibarzt war gleichzeitig auch der Mafiaboss-Sekretär

Der Leibarzt des Bosses wurde Ende Januar festgenommen, weil er offenbar auch die Funktion eines Sekretärs des Mafiosos ausübte und entgegen seinen Behauptungen genau wusste, wen er da behandelte. Schon 2012 hatte ein Kollaborateur vor Gericht ausgesagt, Messina Denaro sei Jahre zuvor über Tumbarello kontaktiert worden, einen angesehenen Arzt und Freimaurer im Ort, der in seiner Freizeit allerdings Besprechungen von Mafiosi koordinierte. Warum er dann erst kürzlich ins Visier der Ermittler geriet, ist eines der vielen Rätsel um die Verhaftung des letzten capo dei capi der Cosa Nostra.

„Ohrenbetäubendes Schweigen“

Die StaatsanwaltschaftPalermo versucht weiterhin, die 30 Jahre dauernde Flucht MessinaDenaros zu rekonstruieren sowie Hintermänner und Helfer dingfest zu machen. Der ermittelnde StaatsanwaltPaolo Guido sprach dabei jüngst vom „ohrenbetäubenden Schweigen der gesamten Gemeinde Campobello di Mazara“, MessinaDenaros letztem Aufenthaltsort, der gerade einmal acht Kilometer von seiner Geburtsstadt Castelvetrano in der westsizilianischen Provinz Trapani entfernt liegt. „Gleichgültigkeit, Angst oder sogar Komplizenschaft“ haben laut Guido dazu geführt, dass der „gefährliche und weltweit gesuchte Massenmörder sich mindestens in den vergangenen zwei Jahren völlig unbehelligt medizinischer Versorgung und delikater chirurgischer Eingriffe unterziehen konnte“.

Im Dorf stellte sich MessinaDenaro als „Signor Francesco“ vor – bei den Behörden firmierte er als „Andrea Bonafede“. Diese Identität hatte ihm ein Neffe eines Mafiosos und Bekannter mit jenem Namen überlassen, der im Januar verhaftet wurde. Die Ermittler hatten durch Überwachung der Familienangehörigen von Messina Denaros Krebserkrankung erfahren. Doch diese falschen Namen sind offenbar nur ein Aspekt der langjährigen Flucht des Bosses. Die Einzigen, die nach der Festnahme am 16. Januar in Campobello ihren Widerstand gegen die Cosa Nostra zeigten, waren einige Jugendliche der Pirandello-Schule, die einen Flashmob veranstalteten. Am 18. Februar soll eine Podiumsdiskussion folgen, außerdem haben sich auch 450 Pfadfinder zum Protest angekündigt. Die Übrigen der 11.000 Seelen halten still.

Die Gemeinde sieht sich nun unter Generalverdacht

Campobello steht nun unter dem Generalverdacht, eine Gemeinde zu sein, die gemeinsame Sache mit der Mafia macht. Ob dieser Vorwurf zutrifft, steht dahin. „Wir sind nicht alle Mafiosi“, wehrt sich ein Mitarbeiter der regionalen Gesundheitsverwaltung, der anonym bleiben möchte. Die Mafia habe aber leichtes Spiel angesichts der Arbeitslosigkeit und der fehlenden Infrastruktur in der ProvinzTrapani. „Sie fragen doch auch nicht jeden älteren Mann, dem sie auf der Straße begegnen, nach seinen Personalien“, entgegnete ein Barkeeper aus dem Ort einem Journalisten der Zeitung La Repubblica. Auch Bürgermeister Giuseppe Castiglione protestierte: „Bei allem Respekt für die Ermittler akzeptieren wir nicht, dass die Verantwortung für 30 Jahre andauernde Misserfolge der Ermittler, Verräter in den Behörden und im letzten Moment geplatzte Razzien auf die Bürger Campobellos abgeschoben werden.“

 
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