Es dampft, es zischt und es riecht streng nach Schwefel. Eingehüllt in eine dicke Wolke rollt die Lok mit der Nummer 44546 langsam auf die Wendeplatte im Bayerischen Eisenbahnmuseum Nördlingen zu. Fotoapparate klicken, Kinderhände zeigen begeistert auf das schwarze Dampfross, einen schweren Güterzug Baujahr 1941. Daneben steht einer und stemmt zufrieden die rußigen Hände in die Hüften.
Detlev Megow ist Besitzer der 44546 aus dem Hause Krauss-Maffei. "Bayerisches Kulturgut" nennt er sie. Der Rentner trägt Eisenbahnermütze, blaue Latzhose und darunter ein hellblaues Hemd. Lukas der Lokomotivführer aus der Augsburger Puppenkiste lässt grüßen. Doch die Aufmachung ist kein Mummenschanz, denn hier wird richtig gearbeitet.
In Nördlingen sind nicht alle begeistert, wenn die Loks in Bewegung sind
"Wir haben kein Museum, in dem die Eisenbahnen nur herumstehen. Wir sind ständig dabei, Dinge zu reparieren und betriebsbereit zu halten", sagt Megow. Die Loks, die Privatbesitzer hier ausstellen oder die Eigentum des Bahnunternehmens Bayernbahn – einer Tochtergesellschaft des Museums – sind, sollen hier möglichst nicht nur "herumstehen", sondern für Sonderfahrten genutzt und auf der Schiene bestaunt werden.
In Nördlingen sind nicht alle begeistert, wenn die Loks in Bewegung sind. Manche ärgern sich über den Lärm, andere über den Dreck, der in der Luft hängt. Detlev Megow aber hat andere Dinge im Kopf. Er muss sich heute um die Funkeinheiten kümmern. Megow hat bei der Bahn Fernmeldetechnik gelernt, später Elektrotechnik in Ravensburg studiert. Seit Anfang der 1980er Jahre ist er im Verein des Bayerischen Eisenbahnmuseums in Nördlingen engagiert. Immer wieder spricht er sich per Telefon mit Vereinskollegen ab, die anderswo auf dem Gelände direkt neben dem Bahnhof an einigen der gut 40 Dampfloks werkeln. Hier muss noch einmal jemand etwas nachschauen, dort fehlen kundige Hände. "Man hilft sich hier gegenseitig, das ist eine echte Gemeinschaft", sagt Megow.
Wer wie er eine Dampflok sein Eigen nennt, ist darauf ganz selbstverständlich angewiesen. "Wenn Sie vor so einer Maschine stehen, sind Sie alleine machtlos", erzählt der Eisenbahner. "Wir fahren auch immer zu dritt, mit einem Lokführer und zwei Heizern." Auf die kommt bei einer Lok wie seiner viel Arbeit zu: Vom Kohlekasten muss die Steinkohle in die Feuerbüchse geschaufelt werden. Die entstehende Hitze verwandelt im Kessel Wasser in Dampf. In den drei Zylindern der Kolbendampfmaschine dehnt sich der Dampf aus und bewegt dabei die Kolben. So wird die im Dampf gespeicherte Wärmeenergie in mechanische Energie umgewandelt, die Hunderte Tonnen auf der Schiene bewegen kann.
Die Kraft seiner Lokomotive? "Das ist Heavy Metal.“
Seine Lok verfüge über "einen guten Appetit", sagt Megow. Doch – einen fahrbereiten Zustand vorausgesetzt – könne sie daraus gewaltige Kräfte entfalten: "Je nach Heizer bis zu 2500 PS. Das ist Heavy Metal." Auf der Ebene komme man damit auf 3000 Tonnen Grenzlast und rund 80 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. "Ein vernünftiges Fahrtempo liegt aber eher bei 60 Stundenkilometern." Aktuell ist MegowsLok allerdings nur im Schritttempo unterwegs, die Kesselwände sind zu dünn. "Das passiert irgendwann zwangsläufig durch Materialverschleiß", sagt der Lokbesitzer. Ein Austausch steht noch an.
Bis Ende der 70er, Anfang der 80er sei seine 44546 noch in Eisenach im Dienst gewesen, berichtet Megow. 1991 dann ergriff er die Chance zum Kauf. "Eigentlich hatte ich damals mit einem Mercedes 190 geliebäugelt. Stattdessen wurden es ein klappriger Fiat Uno und eine Dampflok." Hunderte Stunden im Jahr hätten er und andere seither in die Lok gesteckt, dazu Leidenschaft und harte Arbeit. Die Liebe zur Eisenbahn begann der Münchner früh zu spüren. "Da war ich vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Wir haben damals in Sonthofen gelebt und immer die Oma, die aus München kam, am Bahnhof Immenstadt abgeholt. Mein Vater ist mit mir jedes Mal bis vor zur Lok gegangen und hat mir alles gezeigt. Später durfte ich als Bub einmal auf einem Rangierbahnhof mitfahren." Heute, sagt er, begeistere ihn vor allem "die Technik, die man sehen kann. Das lebt, das Ding!" Außerdem der Teamgeist im Verein und die Mentalität: "Man schwätzt nicht nur, man packt gemeinsam an."
150 Kilometer weiter im Süden haben drei Männer ebenfalls angepackt. Im kleinen Flecken Urlau am östlichen Rande des baden-württembergischen Allgäus, haben Ingo Bosch, Charlie Welte und Achim Harr ihren Traum verwirklicht: die Urlauer Modellbahnen. Auf etwa 250 Quadratmetern fahren ICE, Dampflok und Regio-Express elektrisch betrieben durch Berge und Täler, vorbei an liebevoll gestalteten Schlössern, Burgen und Höfen, durch Miniaturdörfer und mehrgleisige Bahnhöfe. Früher wurde in den Räumen hier einmal gekegelt, später hielt ein Thai-Restaurant Einzug.
Auf der Modelleisenbahn rattert, bimmelt und schnauft es
Jetzt rattert, bimmelt und schnauft es im lang gezogenen Raum, wenn eine der kleinen Dampfloks Spur H0 im Maßstab 1:87 aus dem Tunnel kommt und ihre drei Waggons durch die Kurve zieht. Am kleinen Dorfbahnhof warten winzige Fahrgäste auf den kurzen Zwischenhalt, am Himmel über ihnen schweben Ballons.
Am Kontrollpult sitzt Ingo Bosch. Dem Mann ist der Stolz auf die innerhalb etwa eines Jahres gestaltete kleine Welt anzumerken. "Das Basteln selbst ist der größte Spaß", sagt er und zeigt auf ein winziges Wohnhaus, das sich offensichtlich gerade im Bau befindet. Holzbalken aus Streichhölzern bilden den unfertigen Dachstuhl. Etwas weiter steht ein Wasserturm aus Blech, selbst entworfen und gebaut. "Natürlich stammen die meisten der Gebäude aus Bausätzen", erläutert Bosch. "Aber wir erweitern viel, fügen Elemente hinzu oder bauen auch einmal etwas von Grund auf neu. Es ist schön, wenn man abends den Erfolg sieht nach einem Tag voller Arbeit."
Als hauptberuflicher Schreinermeister ist Bosch für solche Aufgaben prädestiniert, ebenso für den Unterbau der Anlage, deren einzelne Elemente sich immer neu zusammenfügen und damit neu gestalten lassen. "Wahrscheinlich werden wir hier nie fertig", sagt Bosch schmunzelnd und wirft einen Blick über die Miniaturwelt. Die Landschaften baut Achim Herr, laut Bosch "ein Riesenfan von Burgen und Bergen". Tatsächlich erinnert die von Tälern und Flüssen zerfurchte Landschaft mit Türmen und Zinnen auf den Bergspitzen ans österreichische Burgenland. Eine detailgetreue Nachbildung wollen Bosch und Herr aber gar nicht bieten, der Fantasie sollen keine Grenzen gesetzt werden.
Der wohl bekannteste Modellbauer dürfte Horst Seehofer sein
Nicht nur Fans malerischer Landschaften finden hier etwas fürs Auge. Rund ein Dutzend Loks sind stetig fahrbereit, dazu kommen weitere, die auf Wendeplattformen stehen oder auf einem Extrabereich für Kinder – einem Bahnhof, auf dem das Rangieren und Schalten von Weichen geübt werden kann. Auch hier steht für Bosch die Faszination vor der Treue zu den großen Vorbildern. "Wir lassen auch mal Züge mit Waggons fahren, die nicht zur originalen Herkunftszeit passen. Unser ICE fährt außerdem auf einer Strecke, die ein realer ICE gar nicht befahren könnte. Der Spaß steht aber im Vordergrund und besonders die Kinder freuen sich, wenn der ICE durch die Berge düst", sagt er.
"Natürlich hängt sehr viel Arbeit an dem ganzen Projekt", erzählt Bosch. Hunderte Stunden im Jahr investiere er ohnehin schon jetzt. "Die Faszination für den Modellbau ist bei mir schon in Kindertagen entstanden", erläutert Bosch. "In den 70ern habe ich zu Weihnachten immer mit meinem Vater die Eisenbahn aufgebaut. Mit 16 oder 17 dann jeden Tag gemeinsam mit einem Freund Bausätze aufgebaut, die wir von den Eltern bekommen haben. Daraus ist dann ein Hobby und eine lebenslange Sammelleidenschaft geworden."
Wie ihm geht es vielen Menschen in Deutschland. Der wohl bekannteste Modellbauer dürfte der ehemalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sein, der seit vielen Jahren im Keller seines Ferienhauses an einer Modelleisenbahn bastelt. Laut einer Leserumfrage durch das Unternehmen Market Research gibt es noch immer rund 1,5 Millionen Bundesbürger, die sich sehr für H0, Spur N und Co interessieren. Knapp eine halbe Million üben das Hobby in ihrer Freizeit aktiv aus. Gemeinhin gilt der Modellbahnbau eher als Männerhobby, in Szeneforen finden sich nur wenige Frauen. Genaue Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.
Die Pandemie hat der Modellbahnbranche wieder einen Schub gegeben
Während der Corona-Pandemie verzeichneten Hersteller wie Piko oder Märklin Wachstumssprünge. Märklin verbuchte im Jahr 2020 rund 40 Prozent mehr Aufträge als sonst, im Geschäftsjahr 2021/22 erwirtschaftete man einen Umsatz von 131,4 Millionen Euro. Für das laufende Jahr rechnet das Unternehmen mit einem Rückgang aufgrund steigender Produktionskosten, erwartet aber immer noch ein Ergebnis deutlich über Vor-Corona-Niveau. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verkündete Märklin-Chef Florian Sieber bereits vor der Pandemie, dass es gelinge, immer mehr jüngere Kunden zu gewinnen: "Die Modelleisenbahn ist nicht mehr nur ein Hobby von Opis, sie ist wieder zur Generationenbeschäftigung geworden", sagte er der Zeitung. "Jung" muss hier allerdings relativiert werden: Die neuen Kunden seien laut eigener Marktforschung um die 40 Jahre alt. Sie würden allerdings oft Loks für ihre Kinder kaufen.
Um Nachwuchs müssen auch die "Großen" kämpfen. Detlev Megow diagnostiziert zwar seinem eigenen Verein in Nördlingen eine gute Zukunft, doch anderswo "sieht es düster aus". "Es gibt leider viele, die die Jungen nicht an ihre Loks heranlassen. Wenn sie nur schauen und vielleicht putzen dürfen, aber nie wirklich etwas machen, verlieren die meisten das Interesse. Bei uns helfen die jungen Vereinsmitglieder selbstverständlich überall mit, sie müssen sogar", sagt er. Dass die Loksnicht nur bei alten Fans ankommen, zeigt auch das Publikum beim Nördlinger Eisenbahnfest: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Rentner – hier sind alle vor Ort.
Und wenn MegowsLok laut zischend dicke Wolken ausstößt, ist der Gesichtsausdruck bei allen gleich: begeistert.