Selbst bei hellem Sonnenschein wirkt er düster, verwunschen und geheimnisvoll: der Frankenwald. Mehr als die Hälfte der über 100 000 Hektar großen Fläche ist bewaldet. Der Wald besteht zu 80 Prozent aus Fichten, deren dunkle, immergrüne Nadeln und rotbraune, schuppige Rinde das Landschaftsbild dominieren. Die „grüne Krone Bayerns“, wie der Frankenwald oft genannt wird, befindet sich im Norden des Freistaates und im Südosten Thüringens. Er ist zum größten Teil Naturpark und damit eine geschützte Natur- und Kulturlandschaft. Die Region lebt seit Jahrhunderten von der Holzwirtschaft. Und doch gilt sie als Geheimtipp für Touristen und Naturliebhaber.
Durch seine großen zusammenhängenden Waldgebiete ist der Frankenwald Rückzugsraum bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Selbst der seltene Schwarzstorch kehrte in den 80er-Jahren hierher zurück. Mittlerweile hat der Landesbund für Vogelschutz 70 potenzielle Brutreviere der scheuen Vögel ausfindig gemacht, die jedes Jahr im Frühjahr die fränkische Waldfläche von Afrika aus ansteuern. Es ist die dichteste Population an Schwarzstörchen in Mitteleuropa.
Wildkatzen im Baldrian-Rausch
Ein weiterer Kulturflüchter tauchte 2010 wieder auf: die Europäische Wildkatze. Seit 2013 versuchten Förster mittels Fotofallen einen Blick auf die scheuen Tiere zu erhaschen. Das gelang ihnen mit einem Trick: Sie beträufelten einen Stock mit Baldrian, denn Wildkatzen lieben den Duft des ätherischen Öls. Während der Paarungszeit im Februar und März reiben sich die Katzen an dem Stock und parfümieren sich ein. Dabei hinterlassen sie Haare und DNA-Spuren. 19 ausgewachsene Exemplare zählten die Tierliebhaber innerhalb von drei Jahren auf einer Fläche von 1,5 auf 1,5 Kilometern Waldfläche.
Der Bund Deutscher Forstleute kürte den Frankenwald jüngst zum „Waldgebiet des Jahres 2017“. Sie zeichneten damit die örtlichen Förster aus, die den Wald ihrer Meinung nach besonders nachhaltig bewirtschaften. Pro Jahr und Hektar wachsen dort zehn Festmeter (Kubikmeter) Holz nach. Davon werden acht genutzt. 20 000 Hektar, das entspricht 40 Prozent der Waldfläche, sind in staatlicher Hand. Seit Anfang der 70er-Jahre existiert der „Naturpark Frankenwald“, der sich aus den Landkreisen Kronach, Hof und Kulmbach in Oberfranken zusammensetzt.
Wald-Storchschnabel, Arnika, Bärwurz
Tiefe Kerbtäler mit artenreichen kristallklaren Bächen, in denen sich Bachforellen und das seltene Bachneunauge tummeln, wildromantische Flussläufe, umrahmt von steilen Hängen und mit Fichten bewachsenen Hochplateaus, prägen die Landschaft. Seltene Pflanzen, wie Wald-Storchschnabel, Schlangenknöterich, Arnika und Bärwurz, blühen in den engen Wiesentälern. Schwarzspechte, Raufußkäuze und Hohltauben brüten in unzähligen Baumhöhlen.
Die Menschen im Frankenwald sind geprägt durch die lange Abgeschiedenheit durch den Eisernen Vorhang an der Grenze zu Thüringen. In dem wirtschaftlich zurückgebliebenen Gebiet hat die Natur profitiert. Es ist eine der waldreichsten Gegenden Deutschlands. Der Landkreis Kronach beispielsweise hat 60 Prozent Waldanteil. Dort, wo einst die Grenzanlagen standen, wurde der ehemalige Todesstreifen zum „Grünen Band“: Hier verleiht das zarte Grün junger Birken, die sich zwischen die dunklen Fichten schieben, dem Wald eine hell leuchtende Färbung.
Klimawandel im Frankenwald spürbar
Doch der Naturpark ist kein Nationalpark. Hier gilt es, die Landschaft so zu erhalten, wie sie ist – mit einem Unterschied: Die Förster sind nicht nur Holzproduzenten, sondern versuchen, „den Frankenwald für ihre Urenkel aufzustellen“, sagt Peter Hagemann von den Bayerischen Staatsforsten. Denn: Würde man im Frankenwald nichts verändern, gäbe es den Wald in 100 Jahren nicht mehr. Schuld daran ist der Klimawandel. „Wenn jemand Zweifel am Klimawandel hegt, soll er in den Frankenwald kommen“, sagt Hagemann.
Wetterkapriolen gab es schon immer, doch mittlerweile beobachten die Förster jedes Jahr mehr Extreme: lang andauernde Trockenheit von Mai bis Juli, heftige Stürme und große Niederschlagsmengen im Winter. Regnet es mehrere Monate lang nicht, stockt den Förstern der Atem: Denn die Fichte gerät in Trockenstress und der Borkenkäfer greift an. Hat die Fichte kein Harz mehr, um den Käfer auszuspülen, bohrt er durch die Rinde ein. Dort werden die Nährstoffe von den Wurzeln zur Krone transportiert. Haben die Käfer einen solchen Baum ausgemacht, greifen sie zu Hunderten an. Sind die Larven erst einmal drin, fressen sie die Lebensschicht des Baumes auf. Die Rinde platzt ab, die Krone wird braun und der Baum stirbt ab.
Rieselt an einem Baum weißes Bohrmehl herunter, haben die Förster nicht viel Zeit: Innerhalb von sechs Wochen muss der Baum aus dem Wald gezogen werden, sonst fliegt die Brut des Borkenkäfers erneut aus. Da die Sommer jedes Jahr trockener werden, hat die Fichte im Frankenwald keine Zukunft mehr. Und auch ein Nationalpark käme derzeit nicht in Frage: Denn der Borkenkäfer würde in kürzester Zeit den Wald dahinraffen. An den steilen Hängen käme es zu Erdrutschen. Der Druck auf die umliegenden Wirtschaftswälder wäre enorm. Also bleibt den Förstern nur eines: den Wald langsam, aber stetig umzubauen. Möglichst viele verschiedene Baumarten werden derzeit gepflanzt: Buche, Tanne, Esche, Birke, Spitzahorn. Ein klimatauglicher Mischwald soll es werden.
Früher keine Fichten im Frankenwald
Denn eigentlich gehört die Fichte, die heute den Frankenwald dominiert, überhaupt nicht hierher. Vor 1000 Jahren, als die ersten Menschen im Frankenwald siedelten, standen Buchen und Tannen. Die Menschen rodeten. Die Köhlerei, die Glashütten, der Hunger an Brenn- und Bauholz sowie die Flößerei verschlangen riesige Flächen der alten Buchenbestände. Diese wurden schnell und kostengünstig mit Nadelholz wieder aufgeforstet. Viele Flößerfamilien, deren Nachfahren noch heute im Frankenwald leben, wurden durch die Holzexporte reich. Sie erzählen, selbst die Altstadt von Amsterdam sei auf alten Buchen aus dem Frankenwald erbaut.
Neben der Holzproduktion werden heute Tourismus und Naturschutz immer wichtiger für die Region. Da weder Dünger noch Gift im Frankenwald eingesetzt werden, ist das Wasser der „Ködeltalsperre“, ein fünf Kilometer langes, schmales, tiefes, geflutetes Tal, frei von schädlichen Nitratwerten. Sie ist der größte Trinkwasserspeicher in Bayern. Fast alle Gemeinden in Oberfranken mischen das saubere Wasser zu ihren eigenen Trinkwasserquellen hinzu. Die Leitungen gehen bis nach Nürnberg, Erlangen und sogar München – für den Notfall.
Tipps zum Trip
Dem Wanderer bieten sich malerische Aus- und Einblicke in die fränkische Mittelgebirgslandschaft auf rund 4200 Kilometer markierten Wegen, um deren Instandhaltung sich der Frankenwald-Verein kümmert. Mit seinen 11 000 Mitgliedern ist der Wanderverein in jedem noch so kleinen Dorf vertreten.
Steil bergab und bergauf geht es unter anderem auf dem „FrankenwaldSteig“, den „Frankenwald-Steigla“ oder dem „Fränkischen Gebirgsweg“. Der Rennsteigverbindet Thüringen und Bayern und verläuft 15 Kilometer durch den Frankenwald. All diese Wege treffen sich an der thüringisch-bayerischen Grenze.
Mountainbikern bietet der Frankenwald 300 Kilometer Radstrecken bergauf und bergab.
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