zurück
Wo sich die Mächtigen des Reichs trafen
Jubiläum in Thüringen: In Rohr steht die älteste Krypta Thüringens. Hoch über Kühndorf kann die letzte erhaltene Johanniterburg im deutschsprachigen Raum besichtigt werden. Der jeweilige Baubeginn liegt 1200 beziehungsweise 700 Jahre zurück.
Herausragend: Die Johanniterburg wurde vor 700 Jahren auf dem Felsplateau hoch über dem Ort Kühndorf errichtet.
Foto: Christine Jeske | Herausragend: Die Johanniterburg wurde vor 700 Jahren auf dem Felsplateau hoch über dem Ort Kühndorf errichtet.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:12 Uhr

Der Pfeiler sieht neu aus. So neu, als hätten die Maurer erst vor wenigen Tagen ihre Arbeit beendet. Dabei steht die mächtige quadratische Stütze im ältesten Kirchenraum Thüringens: in der Krypta der Michaeliskirche von Rohr (Lkr. Schmalkalden-Meiningen). Urkunden zufolge wurde sie im Jahr 815 errichtet, vor 1200 Jahren. Grundsteinlegung für das dazugehörige Benediktinerkloster war 824. Ein Jahr später taucht die Michaeliskirche erstmals in Urkunden auf. Das Kloster bestand etwa 100 Jahre. Nach seiner Auflösung diente es als Reichshof mit pfalzähnlicher Funktion. Der kleine Ort hat also eine sehr lange Geschichte. Damals lag er verkehrsgünstig an einer Handelsstraße – und heute gleich neben der Autobahn. Es ist also einfach – und es lohnt sich, einen Abstecher in die große Vergangenheit des kleinen Ortes zu machen.

Sie beginnt mit den Karolingern. Später entschied sich dort die Herrschaft des letzten Ottonen. Könige und Kaiserinnen waren im Kloster und Reichshof von Rohr zu Gast. Unter den Hennebergern wurde im Spätmittelalter rund um die Kirche eine Mauer gezogen: Die Anlage verwandelte sich zur Kirchenburg. Danach scheint der Ort aufgrund der spärlichen Nachrichten in eine Art Dornröschenschlaf versunken zu sein. Das Leben spielte sich nebenan ab.

Pläne für das „Suhler Meer“

Südöstlich von Rohr wurde im 12. Jahrhundert ein neues Kloster gegründet – dieses Mal für Nonnen. Die Benediktinerinnen lebten dort bis 1544. In der Reformationszeit, als die Grafschaft Henneberg evangelisch wurde, gab es für das Kloster keine Verwendung mehr. Es wurde aufgelöst. Der Ortsteil heißt jedoch noch heute „Kloster Rohr“.

Jahrhunderte später sorgten zur DDR-Zeit in den 1970er Jahren die Pläne für eine Talsperre für Wallung. Große Teile Rohrs sollten unter der Wasseroberfläche verschwinden: in den aufgestauten Flüssen Hasel und Schwarza. Doch aus dem „Suhler Meer“ wurde nichts, erzählt Marion Müller aus Rohr. Auch dank des mutigen Einspruchs von Pfarrer Wolf-Dietrich Heinemann. „Er wurde sogar vorn der Stasi verhört!“ Denn Heinemann habe sich sehr für den Erhalt von Rohr und vor allem für seine Kirche eingesetzt.

Heute ist Marion Müller die gute Seele der evangelischen Kirchengemeinde. Sie führt seit 2002 an drei Nachmittagen in der Woche durch Kirche und Krypta und hütet das Kirchenmuseum nebenan. Früher hat sie dort auch die Versorgung der Touristen mit Kaffee und selbst gebackenen Kuchen organisiert, „als noch viele Busse kamen“. Mittlerweile scheint Rohr wieder zu einem Geheimtipp geworden zu sein. „Es könnten schon noch mehr Besucher sein“, wünscht sie sich.

Nicht nur die Krypta ist einzigartig. Trotz mehrerer Umbauten im Spätmittelalter zählt auch der darüber liegende Kirchenraum zum einzigen erhaltenen Monumentalbau aus karolingischer Zeit im östlichen Deutschland. Verschwunden sind heute Chor und Querhaus. Der Raum ist ein schlichtes langes Rechteck, eine Saalkirche mit üppigen Holzeinbauten im Inneren aus späterer Zeit: eine Doppelempore auf der West- und Nordseite mit bemalter Brüstung und markanten Schwedenköpfen sowie eine aus 260 Feldern bestehende Kassettendecke.

Mit das herausragendste Ereignis in Rohr fand am 29. Juni 984 statt. Auslöser war eine Entführung in Rom. Bayernherzog Heinrich, genannt „der Zänker“, wollte nach dem frühen Tod seines Cousins, Kaiser Otto II., die Herrschaft im Reich übernehmen. Es gab aber bereits einen Nachfolger: Otto III., der dreijährige Sohn des Verstorbenen. Als Kaiserin Theophanu, die Mutter des Jungen, sowie ihre Schwiegermutter Adelheid das Ansinnen des nahen Verwandten aus Bayern brüsk abwiesen, verließ Heinrich Rom und nahm kurzerhand den Thronerben mit. Letztlich musste er ihn wieder seiner Familie zurückgeben. Das geschah auf dem Reichstag in Rohr.

Sicher war der hohe Besuch während dieser Zeit auch in der einstigen Klosterkirche sowie in der Krypta. Über 1000 Jahre später fiel dort Kirchenführerin Marion Müller auf, dass der Pfeiler in der Unterkirche „immer desolater“ wurde. „Er hatte Risse und ist aufgrund der Feuchtigkeit aufgequollen.“ Erst kürzlich wurde er saniert. „Und jetzt schaut er einfach zu neu aus“, findet Müller. Momentan werden auch die anderen Stützen in der Krypta restauriert – und anschließend laut Marion Müller wieder „auf alt“ gemacht. Sie hofft natürlich, dass auch der bereits sanierte Pfeiler etwas künstliche Patina erhält.

Das modernste Kastell seiner Zeit

Wenige Kilometer wird nichts auf alt gemacht. Die 700 Jahre alte Johanniterburg in Kühndorf wirkt wie eine Kulisse für einen Mittelalterfilm. Stolz thront das Gemäuer mit seinem verwinkelten Dachwerk auf einem Felsplateau über dem Ort – wie eine Krone. Mit sehr viel Engagement gelang es Johann-Friedrich und Gudula von Eichborn den beeindruckenden Bau zu erhalten.

795 wird der Ort „Chunithorpfe“ erstmals erwähnt. Dort hatten die Herren von Kühndorf ihren Sitz. Die ältesten Teile der Johanniterburg stammen von deren Vorgängerbau. Ab 1315 entstand die neue Anlage. Bauherr ist Berthold VI., ein hochrangiges Mitglied des Johanniterordens. Er war, als er das „Burgstadel“ von seinem jüngeren Bruder Berthold VII. gekauft hatte, Großprior für Polen, Böhmen, Mähren und Österreich. Die Brüder stammen aus dem fränkischen Adelsgeschlecht von Henneberg.

„Bereits um das Jahr 1320 dürfte das damals nach modernsten Überlegungen konzipierte Kastell des Johanniterordens fertiggestellt worden sein“, schreiben die jetzigen Besitzer in ihrem zum Jubiläum der Kühndorfer Burg erschienenen Führer. Die Familie von Eichborn vermutet, dass Mitglieder des Johanniterordens selbst die Erbauer waren. Gesicherte Hinweise gebe es keine. Die damals in Europa und im vorderen Orient errichteten Anlagen lassen aber auf geschulte Fachleute schließen.

Wer in Kühndorf vor der Burg steht, ist erstaunt über die enorme Höhe der Breitwohntürme beziehungsweise Kemenaten. Wer dort länger verweilen möchte: In den oberen Stockwerken warten geräumige Doppelzimmer und Ferienwohnungen auf Gäste. Doch zuerst muss man dazu über die Rampe in den unteren Burghof gelangen. Ein Faltblatt weist von dort den Weg durch die Anlage. Der Rundgang ist „auf eigene Gefahr“ möglich, steht darin. Trittsicher sollten Besucher sein, wenn sie die Zeitreise 700 Jahre zurück in die Vergangenheit starten. Nicht immer ist es möglich, sich so frei in einem Denkmal zu bewegen. Das stellt einen ganz eigenen Reiz dar – und beflügelt die Fantasie.

Die Pläne hoch über Kühndorf waren jedenfalls kühn. Die Johanniter strebten nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite. Erkennbar ist dies im Keller. Er ist dem Felsplateau vorgelagert. Auf diese Weise wurde der Bauplatz um etwa 450 Quadratmeter vergrößert. Das Tonnengewölbe mit einer Spannweite von 5,50 Meter trägt die südliche Kemenate. Die ursprüngliche Fläche des Plateaus war dem Baumeister einfach zu klein.

Die überdachte Treppe in die Oberburg bildete die Grenze zwischen dem weltlichen Bereich unten und dem geistlichen darüber. Der Türsturz am Aufgang zeigt, wer dort einst zu Hause war: Darauf ist das Wappen der Grafen von Henneberg zu sehen – eine Henne – daneben eine achtblättrige Rose und das Wappen des Johanniterordens: ein Kreuz.

Informationen im Internet: www.kirche-rohr.de www.johanniterburg.de

Um 1900 wiederentdeckt: Die Krypta der Michaeliskirche in Rohr war über lange Zeit mit Bauschutt verfüllt. Zurzeit wird sie saniert, kann aber besichtigt werden.
Foto: Christine Jeske | Um 1900 wiederentdeckt: Die Krypta der Michaeliskirche in Rohr war über lange Zeit mit Bauschutt verfüllt. Zurzeit wird sie saniert, kann aber besichtigt werden.
Dorfkirche mit langer Geschichte: Im frühen 9. Jahrhundert wurde die karolingische Michaeliskirche in Rohr errichtet. Zwischen 1569 und 1618 erhielt sie ihr heutiges Aussehen.
Foto: Christine Jeske | Dorfkirche mit langer Geschichte: Im frühen 9. Jahrhundert wurde die karolingische Michaeliskirche in Rohr errichtet. Zwischen 1569 und 1618 erhielt sie ihr heutiges Aussehen.
Wo sich die Mächtigen des Reichs trafen
Wo sich die Mächtigen des Reichs trafen
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Christine Jeske
Eichborn
Evangelische Kirche
Haus Karolinger
Hoch- und Spätmittelalter (1000 - 1419)
Klöster
Ministerium für Staatssicherheit
Saalkirchen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top