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Wo der Hopfen wächst
Besuch in der Hallertau: Ohne Hopfen geht gar nichts in diesem Teil Bayerns. Sogar ein Museum wurde für die Bierzutat hier gebaut. Und geforscht wird auch – an Aromen wie Mandarine, Grapefruit oder Melone.
Von unserem Mitarbeiter Matthias Zimmermann
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:26 Uhr

Vielleicht ist es am besten, mit einer einfachen Frage zu beginnen: Was wäre Bayern ohne Bier? Eben. Kann man sich nicht so recht vorstellen. Und ins Bier gehören laut bayerischem Reinheitsgebot ausschließlich Wasser, Malz, Hefe und Hopfen. Den Hopfen, die Seele des Bieres, gibt es in Bayern vor allem in der Hallertau, dem größten zusammenhängenden Hopfenanbaugebiet der Welt, wo in der nächsten Woche die Ernte beginnen soll. Wenn also Bayern ohne Bier nicht geht und Bier nicht ohne Hopfen – dann geht gar nichts ohne die Hallertau.

Hügelig ist die Gegend, unscharf begrenzt von den Städten Schrobenhausen, Ingolstadt, Kelheim und Landshut. Räuber hausten angeblich einst in den dichten Wäldern, die hier mal standen. Wenn hier heute etwas Angst und Schrecken verbreitet, dann höchstens noch die Entwicklung des Hopfenpreises. Denn der Hopfen, naher Verwandter des Hanfs, schnellstwachsende (bis zu 30 Zentimeter am Tag!) Kultur- und vielfältige Heilpflanze, hat Wolnzach groß gemacht. Und obwohl längst mehr Menschen ihr Auskommen Audi, BMW und EADS verdanken, prägt der Hopfen den Ort noch immer. Er ist den Wolnzachern sogar so wichtig, dass sie ihm ein Museum gebaut haben. Im Deutschen Hopfenmuseum lernt man, dass sich der Hopfen erst ab dem Hochmittelalter, vor allem wegen seiner konservierenden Wirkung, als Bierzutat durchsetzte. Noch spannender ist die Geschichte, wie die Hallertauer es schafften, den Hopfenanbau, der in ganz vielen Gegenden möglich war, quasi zu monopolisieren.

Es war ein jahrzehntelanger Kampf. Und wie die Hallertauer ihn gewonnen haben, sagt viel über den Menschenschlag hier aus. Christoph Pinzl, 48 Jahre alt, Kulturwissenschaftler und hemdsärmliger Leiter des Hopfenmuseums, kann die Geschichte so beredt erzählen wie kaum ein anderer. Im Kern geht es darin um den Umgang mit Neuem, darum, zur rechten Zeit das Richtige zu tun. „Das Schwärmen von der guten alten Zeit, das ist etwas, das man hier ganz selten hört“, sagt Pinzl. Dieser unsentimentale Pragmatismus ist quasi in Stein gemauert.

„Sie werden hier in den Dörfern kaum ein Haus finden, das älter ist als 100 Jahre“, sagt Pinzl. Denn mit dem Hopfen kam das Geld. Und wer Geld hatte, baute neu, größer, praktischer, besser an die Erfordernisse des Hopfenbaus angepasst. „Große Traktoren, die sich die Landwirte vielleicht anderswo auch anschafften, um zu zeigen, was man ist und was man kann, waren für den Hopfenbau nicht zu gebrauchen. Also hat man das Geld in die Häuser gesteckt.“ Groß wurden vor allem die Darren, die turmartigen Häuser, in denen die Hopfendolden getrocknet werden, weil sie sonst schnell verderben würden. Mit der Erfindung der beheizbaren Darre waren die Hallertauer den lange überlegenen Bauern in Spalt, südlich von Nürnberg, endlich einen entscheidenden Schritt voraus. Dort trocknete man den Hopfen über Tage unter dem Dach der Wohnhäuser, die deswegen noch immer diese charakteristischen hohen Dachstühle haben. Als die Darren aufkamen, war das Kapital der fränkischen Bauern in ihren Häusern gebunden. Die Hallertauer dagegen konnten in die neue Technik investieren und ihren Hopfen nun wesentlich schneller trocknen als die erfolgreiche Konkurrenz.

Mit dem Rezept, Erfolg versprechende Neuerungen schnell zu übernehmen, sind die Hallertauer auch später gut gefahren. Hier fing man an, am Hopfen mit Pflanzenschutzmitteln zu experimentieren, hier standen später die ersten Pflückmaschinen, die Zehntausende Erntehelfer überflüssig machten. Pinzl, der gebürtige Münchner, sieht aber auch noch einen anderen Charakterzug der Menschen, der sich in der Hopfenwirtschaft spiegelt: „Die Pflanzer hier haben eine enorme Marktmacht, aber sie haben es nie geschafft, sich untereinander zu einigen. Letztlich war der Bauer nebenan doch immer Konkurrent. Für jeden war entscheidend, dass er seinen Hopfen gut verkauft.“

Doch genau das fällt den Hallertauern so schwer wie seit Jahren nicht. Sie produzieren zwar mehr als ein Drittel des weltweit gehandelten Hopfens. Aber der Preis, den sie dafür bekommen, ist von mehr als zehn Euro für das Kilo auf gut 50 Cent abgestürzt. Die Folge kann man sehen, wenn man von Wolnzach mit dem Auto weiter nach Nordosten, Richtung Mainburg und Attenhofen, fährt. Hoch und runter, rechts und links geht es auf der schmalen Straße. Beiderseits der Strecke stehen, sieben Meter hoch, die Drahtgerüste, an denen der Hopfen in den Himmel wächst. Ab und an wird die Monokultur von Wald und Getreidefeldern unterbrochen. Doch immer wieder stehen da nur nackte Pfähle und Drähte.

Um den Druck auf den Hopfenpreis zu mindern, roden die Pflanzer ihre Gärten. Andere geben ganz auf. Die Zahl der Betriebe geht laufend zurück. Vergangenes Jahr gab es in Deutschland noch 1377, davon 1119 in der Hallertau. In den 60er Jahren waren es zehnmal so viele. Dass sie irgendwann nicht mehr bei jedem Unwetter hofft, dass nur kein Sturm und Hagel kommen, die größten Gefahren für jeden Hopfengarten; dass der Hof zur Ernte nicht mehr vom Lärm der lastwagengroßen Pflückmaschine eingedeckt sein könnte – an all das mag Elisabeth Stiglmaier nicht denken. Die 49-Jährige ist gelernte Kinderkrankenschwester, hat auf den Hof ihres Mannes eingeheiratet, und ist, wie sie sagt, der lebende Beweis, dass manche Bauernweisheit einfach stimme. „Wen der Hopfen einmal gekratzt hat, den lässt er nicht mehr los“, so sagt man hier nämlich. Und Stiglmaier hat sich tatsächlich von der Laiin zur Hopfenexpertin gewandelt.

Sie hat den Hof geöffnet für Besucher, erklärt Busgruppen in einem zum Ausstellungsraum umgebauten Stall, zwischen alten Bildern, Schautafeln und Bauernschränken, wie das früher war, als zur Ernte Massen von Hopfenzupfern kamen; warum der Hopfen nur wächst, wenn er lange Tage und kurze Nächte hat; dass der Ertrag von einer Hopfenpflanze heute für 400 Liter Bier ausreicht; dass also ein Hektar der besten Sorte ausreicht, um alles Bier für das Oktoberfest zu brauen. Das alles weiß sie. Aber eben auch, dass sie und ihr Mann von ihren 20 Hektar nur noch 17 bepflanzt haben.

Die Lage der Hopfenbauern war öfter schon schlecht. Dramatisch war sie im Jahr 1926. Eine aus Asien eingeschleppte Pilzkrankheit bedrohte die kompletten Bestände. Das war nicht nur für die Hopfenbauer existenzgefährdend, sondern auch für die Brauereien. Man hatte Angst, kein Bier mehr brauen zu können, so ernst war die Lage. Die Brauer mussten handeln. Sie gründeten in Hüll, einer winzigen Ansiedlung unweit von Wolnzach, ein Hopfenforschungszentrum. Wie sich zeigen sollte, eine unbezahlbare Weichenstellung für die Hallertau.

Mit den neuen Hopfensorten, die in Hüll gezüchtet wurden, gelang es erst, die Krise zu überstehen. Dann, dank weiterer Züchtungen, die im Laufe der Jahrzehnte folgten, Weltmarktführer beim Hopfen zu werden. Und jetzt sollen es wieder die Forscher aus Hüll richten. Statt nach immer ergiebigeren, krankheitsresistenteren Sorten verlangen die Brauer nun nach außergewöhnlichen Aromen. Und der Mann, der sie liefern soll, ist Anton Lutz.

Die braun gebrannte Haut und die sehnigen Unterarme zeigen, dass er lieber im Forschungsgarten arbeitet als am Schreibtisch. Vormittags hat er einer Gruppe Japaner die ersten Ernteproben aus dem Vorjahr unter die Nase gerieben. Das Ergebnis: ein Hauch von Mandarine, Grapefruit oder Melone. Manche wollen sogar Pfefferminze riechen. Vier solche Sorten hat das Forschungszentrum 2011 zur Zulassung angemeldet. In den USA, von wo dieser Trend kommt, kommen die Kleinbrauereien, die diese Hopfensorten verlangen, inzwischen auf einen Marktanteil von sieben Prozent. Sie verbrauchen aber 30 Prozent des Hopfens. Ein interessanter Trend also. Und damit kennt man sich aus hier in der Hallertau.

 
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