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Wir und die Drachen: Eine ungeheure Beziehung
Drachen: Wir töten und wir lieben ihn. Es gibt kaum ein Wesen, das die Menschen seit Urzeiten so fasziniert wie der Drache. Dabei hat noch nie jemand einen echten gesehen – oder vielleicht doch? Eine Spurensuche.
KINA - Neuer Drachenfilm startet im Kino       -  Freund und Begleiter? Elliot, der Drache aus dem aktuellen Disney-Film, wie ihn die Computeranimateure sehen.
Foto: DISNEY ENTERPRISES INC., DPA | Freund und Begleiter? Elliot, der Drache aus dem aktuellen Disney-Film, wie ihn die Computeranimateure sehen.
Von unserem Mitarbeiter William Harrison-Zehelein
 |  aktualisiert: 17.09.2016 03:35 Uhr

Für die einen gibt es sie in irgendeiner Form, für die anderen nicht. Jeder kennt sie. Ältere eher als böse, feuerspuckende Ungeheuer mit schrecklichen Zähnen, kräftigen Schuppen und knallroten Augen, ähnlich wie das Ungeheuer Leviathan in der Bibel; Jüngere eher als kinderliebes Knuddeltier mit weichem Fell und Unschuldsaugen, so wie Elliot, das Schmunzelmonster aus dem aktuellen Animationshit im Kino.

Drachen: Einerseits sprechen die Menschen Drachentöter heilig, andererseits stellen wir die vermeintlichen Bestien als den besten Freund und Beschützer des Menschen dar. Zwiespältiger könnte unser Verhältnis zu diesem mythischen Tier kaum sein. Der Sage nach lebt er in Höhlen oder in den Tiefen des Meeres, kann durch die Lüfte fliegen und Feuer spucken. Er symbolisiert die Einheit aller Lebensräume, die Einheit der vier Elemente des Lebens. Auf der ganzen Welt haben die Menschen eine ungefähre Vorstellung von dem echsenartigen, furchtlosen Wesen. Und das, obwohl es niemanden gibt, der je einen echten Drachen gesehen hat. Er ist ein mythisches Wesen, das es in Wirklichkeit nicht gibt und nie gegeben hat. Dennoch ist er überall: in Büchern, im Kino, in Kindersendungen, auf Fahnen, Vereinswappen, als Tattoo auf der nackten Haut.

Das Besondere an Drachen

Das Fabeltier faszinierte schon vor über 8000 Jahren die Menschen und tut dies bis heute noch. Aber warum? Was ist so besonders an einem Tier, das es gar nicht gibt?

Der Fantasy-Experte Friedhelm Schneidewind, Autor von „Drachen – Das Schmöker-Lexikon“, erforscht seit vielen Jahren die Mythen rund um den Drachen. Er weiß, warum die Menschen sich derart zu diesem Fabeltier hingezogen fühlen. „Es gibt kein Wesen, das so gut geeignet ist, um unsere Ängste und Hoffnungen zu verkörpern“, sagt der Experte. „Der Drache ist wiederkehrend. Man kann ihn so wunderschön für viele Sachen verwenden.“ Für das Gute, das Böse, Hoffnung, Angst, Leben, Tod, Chaos, Ordnung, Schutz, Gefahr. Diese Aneinanderreihung von Gegensätzen ließe sich ewig fortsetzten. Der Drache ist nun mal ein sehr zwiespältiges Wesen. In der Fantasywelt gibt es Zwerge, Elfen, Riesen, Berggeister, Einhörner, Kobolde oder Meerjungfrauen. Aber keines dieser Wesen findet sich so häufig in der Kulturgeschichte wieder wie der Drache. Seine Darstellungen in Kunst, Religion und Literatur sind zahllos.

Der Drache - Fabelwesen und Mythos zugleich

Da gibt es neben Leviathan aus der Bibel auch den von Siegfried getöteten Fafnir aus der Nibelungensage, das Ungeheuer aus„Beowulf“, Fuchur aus der „Unendlichen Geschichte“, den Halbdrachen Nepomuk aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, Smaug im „Kleinen Hobbit“, Draco aus dem Film „Dragon Heart“, den Buchdrachen Eragon, die Drachen aus der Harry-Potter-Reihe, den Kinderdrachen Tabaluga, das Schmunzelmonster Elliot. Der Drache ist in seinen vielen Erscheinungsformen Fabelwesen und Mythos zugleich. Doch steckt hinter diesem Mythos etwa doch ein realer Kern?

Bereits auf dem babylonischen Ischtar-Tor war vor rund 8000 Jahren ein drachenähnliches Wesen dargestellt. Im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung berichtete der antike griechische Geschichtsschreiber Herodot von Skeletten geflügelter Schlangen. Überhaupt stößt man auf der Suche nach den Ursprüngen des Drachens immer wieder auf die Schlange. Im antiken Griechenland hießen große Schlangen „Drakon“. Zum deutschen „Drachen“ fehlt da nicht mehr viel. Lange Zeit glaubten Menschen fest an die Existenz der Ungeheuer.

Der römische Gelehrte Plinius der Ältere hielt Beschreibungen von Drachen im 1. Jahrhundert nach Christus sogar in seiner „Naturalis Historia“, einer Enzyklopädie der Naturgeschichte, fest.

Für viele Menschen dient der Drache als Symbol

Der Glaube an das Tier hielt sich weit bis ins zweite Jahrtausend hinein: So wurden im 14. Jahrhundert angeblich fossile Knochen von Drachen auf der griechischen Insel Rhodos gefunden. Endgültige Beweise? Fehlanzeige, bis heute. Der Schweizer Zoologe Conrad Gessner beschrieb im 16. Jahrhundert den Drachen in seinen Büchern als eine Riesenschlange mit Flügeln und Hörnern. „Noch im 18. Jahrhundert stand in den seriösesten Naturbüchern, dass es Drachen gibt“, sagt Experte Friedhelm Schneidewind. In China entwickelte sich der Drache der Sage nach als Mischwesen zwischen Krokodil und Schlange. In Japan hält sich noch bis heute der Glaube, dass unter dem Land ein riesiger Drache lauert.

Das Mischwesen scheint in all seinen Formen omnipräsent zu sein und dient vielen Menschen als Symbol. Doch wofür? Einerseits für die vier Elemente des Lebens. Es gibt aber noch viele weitere Theorien zur Symbolik des Drachens. Im Christentum, sagt Schneidewind, habe der Drache eine stark unterschiedlich interpretierte symbolische Bedeutung: vom Versucher in der Geschichte des Sündenfalls bis zu Satan in der Offenbarung des Johannes. Beide Vorstellungen prägen die Mythen und die Literatur bis in unsere heutige Zeit. Die griechisch-römischen Sagen haben unsere Drachenvorstellung stark geprägt. Dort war er „das Böse“, das es zu bezwingen galt. So waren Herkules, Perseus und Kadmos allesamt als Drachentöter bekannt. Der deutsche Schriftsteller und Sachbuchautor Wilhelm Bölsche hielt 1929 in seiner „Drachenkampf-Hypothese“ fest, dass der Drache für den Menschen das ewig zu überwindende Böse symbolisiert.

Vier weit verbreitete Hypothesen

Rund um die Herkunft und Symbolik des Drachens gibt es vier weit verbreitete Hypothesen. Die „Gedächtnis-Hypothese“ besagt laut Schneidewind, dass sich Bilder von den Dinosauriern dem Gehirn urzeitlicher Säugetiere so tief eingeprägt hätten, dass daraus eine Art Gedächtnisspur entstanden sei, die sich bis in unsere Zeit erhalten habe. „Wissenschaftlich gesehen ist das aber Unsinn“, sagt Schneidewind.

Nach der „Saurier-Hypothese“ wiederum könnten Dinosaurier in einigen unerforschten Gebieten überlebt haben. Aus einer Begegnung von Mensch und Saurier hätten sich die Drachenmythen entwickelt. So erklären manche auch den Mythos des Loch Ness Monsters. Aber auch diese These: unhaltbar, so Schneidewind. Dann noch die „Reptilien-Hypothese“: Sie betrachtet Drachen als mögliche Vorläufer von Krokodilen und Waranen. Dass diese Reptilien nicht fliegen können, mache die Hypothese nicht unglaubwürdig, sagt Schneidewind. In vielen Kulturen gebe es schließlich flügellose Drachen. „Die Flügel könnten eine sekundäre Hinzudichtung sein, um die Geschwindigkeit und die Gefahr zu erhöhen“.

Zu guter letzt gibt es noch die im asiatischen Raum weit verbreitete Wind-und-Wetter-Hypothese. Nach ihr personifizieren Drachen allerlei Naturgewalten wie Gewitter, Taifune, Hurrikane oder Erdbeben. In China steht der Drache außerdem für die Fruchtbarkeit. Hier wird er als Gottheit verehrt. So ist er, als einziges Fabelwesen, fester Bestandteil des chinesischen Kalenders und steht als Sternzeichen für Glück und himmlischen Beistand.

Das asiatische und das abendländische Drachenbild

„Ich halte keine einzige These für die allein richtige und alles erklärende“, sagt Schneidewind. Er unterscheidet vor allem zwischen zwei große Drachenbildern, die es zu unterscheiden gilt: das asiatische, das den Drachen als großen Schutzherrn betrachtet, und das abendländische, das den Drachen eher als Gegner sieht. Eines haben die vielen verschiedenen Drachenbilder jedoch gemeinsam: Sie haben sich zum Positiven verändert. Wurde der Drache früher hauptsächlich als etwas Böses wahrgenommen, hat er sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zu etwas Gutem entwickelt. Siehe Elliot. Bleibt nur zu klären, ob es Drachen nun wirklich jemals gegeben haben könnte. „Nein. Der Drachen ist eine Erfindung der Menschen“, sagt Schneidewind.

Und trotz aller Verneinungen der Drachenexistenz findet sich tief in den Regenwäldern von Südostasien tatsächlich noch ein „echter“ Drache: der Flugdrache, auch „Draco“ genannt. Er gehört zur Familie der Echsen, ist circa 25 Zentimeter lang, ernährt sich von Ameisen und kann dank seiner Flughäute von Baum zu Baum segeln. Seine mythischen Vorgänger hätten dafür vermutlich nur ein müdes Feuerspucken übrig.

Drache wirbt für Tourismus       -  Einer, der Feuer speit: Der High-Tech-Drache Tradinno bei seinem Auftritt vor vier Jahren auf dem Alexanderplatz in Berlin. Der fünf Meter große oberpfälzische Drache schaffte den Eintag ins Guinness-Buch der Rekorde als größter vierbeiniger beweglicher Roboter der Welt – und warb in Berlin für das Volksschauspiel „Der Drachenstich“ in Furth im Wald.
Foto: OLE SPATA, DPA | Einer, der Feuer speit: Der High-Tech-Drache Tradinno bei seinem Auftritt vor vier Jahren auf dem Alexanderplatz in Berlin.
 
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