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Werben um Stamm-Wähler
Kleine Kommunalwahl Die Grünen-Politikerin Claudia Stamm will Landrätin in Ansbach werden. Und sich freischwimmen vom ständigen Vergleich mit ihrer Mutter, der CSU- Landtagspräsidentin Barbara Stamm.
Will Landrätin im Kreis Ansbach werden: Grünen-Kandidatin Claudia Stamm am Infostand in Rothenburg.
Foto: Michael Czygan | Will Landrätin im Kreis Ansbach werden: Grünen-Kandidatin Claudia Stamm am Infostand in Rothenburg.
Von unserem Redaktionsmitglied Michael Czygan
 |  aktualisiert: 05.11.2015 20:39 Uhr

Langsam wacht die alte Reichsstadt Rothenburg an diesem nebligen Vormittag auf. Klar, die Japaner sind schon unterwegs und knipsen sich vor mittelalterlicher Kulisse. Claudia Stamm aber hat kein Auge für Touristen, sie sucht Einheimische, potenzielle Wähler. Die Landtagsabgeordnete der Grünen will Landrätin im Landkreis Ansbach werden. Am Sonntag wird der Nachfolger von Rudolf Schwemmbauer (CSU) gesucht, der aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste.

In lila Mantel, schwarzer Wollmütze, Wanderschuhen und Handschuhen ist die 41-Jährige nicht auf den ersten Blick als Politikerin zu erkennen. „Darf ich mich Ihnen vorstellen?“, fragt sie am Marktstand für Biowurst eine Passantin. Sie darf. Und erzählt von nachhaltiger Politik, besserem ÖPNV, mehr Generationengerechtigkeit. Doch solche Details will die Dame gar nicht hören. „Hauptsache, wir bekommen mal eine Frau als Landrat, eine junge Frau.“ Claudia Stamm kann ihr Werben einstellen. „Dann sind Sie also Stamm-Wählerin“, lacht sie, verteilt aus ihrem blauen Körbchen ein Glas Quitten-Marmelade und zieht weiter. So schön kann Wahlkampf sein.

Es kommt noch besser. „Ich bin extra in die Stadt gelaufen, weil ich gelesen habe, dass Sie kommen.“ Ursula Friedel stürmt auf die Kandidatin zu. „Ich kenne Sie aus dem Fernsehen, von ,Fastnacht in Franken'.“ Claudia Stamm strahlt. „Und Ihre Mutter mögen wir auch“, schiebt die Rothenburgerin nach. Die Kandidatin strahlt weiter. Die langjährige Radiojournalistin ist Profi. Dabei hatte sie den Reporter zuvor noch gewarnt: Es nerve sie, wenn Kollegen nichts Besseres einfalle als sie immer zuerst auf ihre Mutter, Landtagspräsidentin Barbara Stamm von der CSU, anzusprechen.

Den Job übernehmen an diesem Morgen viele Passanten. „Wir waren erst gestern bei einer Veranstaltung mit Ihrer Mutter“, sagt eine Dame am Infostand, „und drücken jetzt Ihnen die Daumen“. Mit Schwarz-Grün hat hier offenbar niemand Probleme. „Ist die Frau Mama auch da?“, fragt die nächste Besucherin. Claudia Stamm lächelt weiter. Die Vorstellung, ihre Mutter stehe unter den grünen Luftballons, scheint sie zu amüsieren. Auch wenn es die 41-Jährige nicht gern hört: Ihr Wahlkampf profitiert nicht zuletzt von der großen Popularität, die die stellvertretende CSU-Vorsitzende gerade in Franken genießt. An diesem Vormittag wird das überdeutlich.

Den Ansbacher Grünen ist mit der Nominierung der oberbayerischen Landtagsabgeordneten als Landratskandidatin ein Coup gelungen. Es habe sich im Kreisverband kein Bewerber aufgedrängt, berichtet Oliver Rühl, der Vorsitzende. Deshalb habe man außerhalb des Kreises gesucht. Gefragt war eine „echte Alternative“ zu den vier männlichen Kandidaten von CSU, SPD, ÖDP und Freien Wählern, „die sich inhaltlich kaum unterscheiden“ (Rühl).

Im Herbst mit der Idee konfrontiert, habe sie lange überlegt, so Claudia Stamm. „Wenn ich ein Projekt angehe, dann mache ich's nämlich richtig.“ Und das schließe einen Wahlerfolg ausdrücklich ein. „Ja, sagt sie, wenn ich zur Landrätin gewählt werde, zieht die Familie mit mir von Ottobrunn nach Mittelfranken.“ Ihren zwei Töchtern habe sie versprochen, „dass sie dann ein Tier bekommen“. Außerdem sei es von Ansbach nicht mehr so weit zum Opa.

Mittlerweile kennt sie die kommunalpolitischen Themen, die in Bayerns größtem Landkreis (Stamm: „fast so groß wie das Saarland“) diskutiert werden. „Vieles erinnert mich an meine Heimat, als Kind war ich oft hier“, sagt die gebürtige Würzburgerin. Insofern sei es ihr leicht gefallen, sich einzuarbeiten, in Fragen der Verkehrsanbindung, der Landwirtschaft oder der Gewerbeansiedlungspolitik. „Wir sind beeindruckt, wie informiert Claudia ist“, lobt Dieter Seiferlein, Grünen-Stadtrat in Rothenburg. Dass sie eine Bewerberin von außen ist, werde von vielen als Vorteil wahrgenommen. „Sie hat einen unverfälschten Blick auf den Kreis, sie ist niemandem etwas schuldig“, so ein Mitstreiter. Promis wie Volker Heißmann („Waltraud und Mariechen“) oder die Altliberale Hildegard Hamm-Brücher machen Werbung für Claudia Stamm.

Nicht zuletzt hat ihre Kandidatur die grüne Basis mächtig motiviert. „Mehrere Hundert Gläser Marmelade haben wir gekocht – als kleine Wahlkampfgeschenke“, erzählt Sabine Oerter vom Rothenburger Ortsverband. Auch bei zweistelligen Minusgraden habe man „gut gelaunt“ Infostände aufgebaut, Prospekte verteilt und für die Kandidatin Fahrdienste organisiert, wenn sie zwischen Wassertrüdingen, Dinkelsbühl und Rothenburg unterwegs zu Gesprächsrunden, Betriebsbesichtigungen oder zum Grünen-Schafkopf war. „80, 90 Termine sind es bestimmt“, sagt Stamm. Härten inklusive – wie neulich, als sie nach einer Podiumsdiskussion im Landkreis Mittwochnacht um 3 Uhr heim nach Ottobrunn kam, morgens um 9 Uhr eine wichtige Ausschusssitzung im Landtag hatte und abends dann wieder in Feuchtwangen Wahlkampf machte.

Claudia Stamm ist ehrgeizig. Schon kurz nachdem sie 2009 als Nachrückerin in den Landtag kam, haben sie die Grünen zur haushaltspolitischen Sprecherin gewählt. Die Landratskandidatur also ein Sprungbett für mehr? Eine Münchner Zeitung hat sie als OB-Kandidatin für die Landeshauptstadt gehandelt. „Das habe ich schnell dementiert.“

Die Euphorie an der Basis rund um Ansbach ist jedenfalls groß. „Plötzlich sind wir auch für Leute interessant, die früher einen großen Bogen um die Grünen gemacht haben“, bemerkt Dieter Seiferlein. Er glaubt, es könnte am kommenden Sonntag so viele Stamm-Wähler geben, dass es die Kandidatin in die Stichwahl schafft. „Etwas mehr als 20 Prozent müssten reichen. Und dann werden die Karten neu gemischt.“ „Hört auf“, winkt Claudia Stamm ab. Sie will über ihr Ergebnis nicht spekulieren. „Da bin ich abergläubisch.“

Sagt es und macht sich auf den Weg ins 70 Kilometer entfernte Neuendettelsau, wo unter anderem der örtliche Jugendrat die Kandidatin kennenlernen möchte. Und da ist sie auch schon wieder, die beliebte Frage nach der Mama. „Wie kommt man in der Familie einer CSU-Spitzenpolitikerin zu den Grünen?“, will eine Teenagerin wissen. „Politik war bei uns schon immer Thema, ich kenne meine Mutter und meinen Vater nur so.“ Immer sei diskutiert worden, in Jugendjahren oft auch kontrovers. „Zwei Monate“ sei sie gar Mitglied der CSU-Schülerunion gewesen, beichtet Stamm. „Doch ich habe schnell gemerkt, dass ich grünen Positionen viel näher war, auch wenn ich erst seit vier Jahren Parteimitglied bin.“ Das „Wertkonservative“ hätten CSU und Grüne gemeinsam, in vielen sozialen Fragen stimme sie mit ihrer Mutter überein.

Und wie findet Barbara Stamm die Bewerbung ihrer Tochter als Landrätin von Ansbach? Claudia Stamm: „Da müssen Sie sie schon selbst fragen.“ Gesagt getan. „Da sage ich nichts dazu“, gibt sich die Landtagspräsidentin am Telefon zurückhaltend. „Das ist Claudias Kandidatur, sie ist 41 Jahre alt – und ein eigenständiger Mensch.“

Claudia Stamm

Die 41-Jährige ist am 3. April 2009 für die Schauspielerin Barbara Rütting in den Bayerischen Landtag nachgerückt. Claudia Stamm vertritt Bündnis 90/ Die Grünen im Haushaltsausschuss des Maximilianeums. Nach dem Abitur 1990 am Würzburger Wirsberg-Gymnasium hat Stamm in Eichstätt, Köln, Berlin und Salamanca Politologie und Philosophie studiert. Später war sie als Redakteurin für den Bayerischen Rundfunk tätig. Die 41-Jährige ist verheiratet und hat zwei Töchter, sie lebt in Ottobrunn bei München.

 
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