Herr Prof. Dr. Trepel, Sie sind der Direktor des interdisziplinären Krebszentrums am Universitätsklinikum Augsburg. Zuletzt wurde in die Immuntherapie große Hoffnung gesetzt, ist das noch so?
Prof. Dr. Martin Trepel: Die Immuntherapie entwickelt sich in der Tat immer weiter und die aktuellen Forschungsergebnisse dazu machen uns zuversichtlich, Krebs immer besser behandeln zu können. Denn gerade die Immuntherapeutika werden immer gezielter eingesetzt und können bei immer mehr Krebsarten helfen.
Erklären Sie bitte kurz, was unter Immuntherapie zu verstehen ist.
Trepel: Es gibt zwar unterschiedliche Formen von Immuntherapie, am häufigsten wird allerdings die eingesetzt, bei der versucht wird, die „Bremsen“ des Immunsystems zu lösen. Denn man hat herausgefunden, wie sich Tumorgewebe gegen das Immunsystem schützen kann. Dazu muss man wissen, dass das Immunsystem, bildlich gesprochen, wie Gas- und Bremspedal-äquivalente Eiweißstrukturen auf der Oberfläche hat, die es aktivieren oder ausschalten. Und Krebszellen verstehen es leider, diese Bremspedale der Immunzellen zu betätigen.
Bei der am häufigsten angewandten Form der Immuntherapie wird aber nun eine Art Eiweißschutzschild angebracht, der dazu führt, dass die Krebszelle das Bremspedal der Immunzelle nicht erreichen und sie damit auch nicht deaktivieren kann. Und dies funktioniert oft ohne, manchmal aber auch nur in Kombination mit einer Chemotherapie.
Das heißt, dass der Krebs nicht besiegt wird, sondern das Immunsystem im ständigen Kampf gegen die Krebszellen ist, oder?
Trepel: Ja, genau. So wird aber zum Teil sehr viel Lebenszeit gewonnen, was früher so nicht möglich war: Wir haben Patientinnen und Patienten, die über viele Jahre mit der Erkrankung leben, weil die Immunzellen die Krebszellen in Schach halten. Und es gibt noch weitere Entwicklungen in der Immuntherapie. So werden beispielsweise auch maßgeschneiderte, also genmanipulierte Immunzellen dem Patienten mittels Transfusion zugeführt. Diese Immunzellen, die man, um wieder bildlich zu sprechen, wie Jagdhunde abrichtet, gewinnt man aus den Immunzellen des Patienten, stattet sie aber so aus, dass sie gezielt die Krebszellen bekämpfen. Generell kann man also sagen, dass die Krebstherapie immer gezielter und damit wirksamer und nebenwirkungsärmer wird.
Bei welchen Krebsarten sehen Sie mittels Immuntherapie Erfolg?
Trepel: Inzwischen kann man die Immuntherapie bei fast allen Krebsarten einsetzen. Aber man muss dabei oft differenziert vorgehen. Man weiß heute aber viel besser, welche Unterkrebsarten auf Immuntherapien gut reagieren. So würde man beispielsweise bei Nierenkrebs heute immer eine Immuntherapie zuerst probieren. Bei Lungenkrebs wiederum hat sich gezeigt, dass die Immuntherapie nur in Kombination mit einer Chemotherapie funktioniert und es auch Unterarten gibt, die auf andere Therapien besser ansprechen. Bei sehr häufigen Krebsarten wie Brust- oder Darmkrebs erzielen wir wiederum nur bei ganz bestimmten Tumorkonstellationen Erfolge.
mRNA-Impfstoffe kennen heute alle. Ursprünglich wurde die Technologie aber im Kampf gegen Krebs favorisiert. Wie viel Hoffnung darf man hierauf setzen?
Trepel: Wir erwarten hier keine Impfung gegen Krebs in den nächsten ein oder zwei Jahren. Man arbeitet aber fieberhaft daran und ich bin mir sicher, dass dazu etwas kommen wird. Entscheidend ist hierbei aber, dass klar sein muss, wogegen sich das Immunsystemüberhaupt richten soll. Und woher weiß die Immunzelle, dass es Krebszellen sind, die es da bekämpfen muss? Ich habe ja vorhin erklärt, dass Krebszellen ausgesprochen hinterlistig sind und das Immunsystem sozusagen austricksen können. Eine Lösung wäre es, individualisierte Impfstoffe herzustellen. Das heißt, das Tumorgewebe eines individuellen Patienten wird als Basis hergenommen und so umgearbeitet, dass man den Patienten gezielt gegen seine Tumorart impfen kann. Am vielversprechendsten wird dies sein, wenn nur noch winzige Mengen des Tumorgewebes im Körper vorhanden sind, etwa nach einer Operation, man aber aus Erfahrung weiß, dass die Rückfallquote sehr hoch ist.
Im Gespräch sind auch immer wieder Viren, die Tumorzellen bekämpfen können.
Trepel: Solche Ansätze gibt es. Man muss hier aber unterscheiden: Oft werden Viren in der Gentherapie eingesetzt. Hier werden sie als Basis genutzt, als sogenannte Genfähren, die bestimmte Informationen exakt in einzelne Zellen transportieren. Man verändert hier die Virusoberfläche so, dass die Gene, mit denen man den Tumor therapieren will, entweder exakt in die Tumorzellen oder in die Immunzellen geschleust werden. Bei einem anderen Ansatz, der besonders in Asien verfolgt wird, werden wirklich Viren eingesetzt, um Zellen aufzulösen. Es gibt solche Viren, man nennt sie lythische Viren. Dies ist aber ausgesprochen schwierig in der Anwendung. Man verfolgt diesen Ansatz schon seit etwa 20 Jahren, er hat sich aber nie wirklich durchgesetzt. Denn er würde nur Sinn machen, wenn ein Patient ausschließlich an einer Stelle einen Tumor hat, weil man die Viren in den Tumor injizieren muss. In solchen Konstellationen wird der Tumor aber in der Regel besser herausoperiert oder bestrahlt.
Das heißt, für Sie ist die Immuntherapie die hoffnungsvollste Behandlungsmethode?
Trepel: Die Immuntherapie ist die momentan am besten greifbare Hoffnung. Parallel haben wir aber auch andere positive Entwicklungen, die immer weiter voranschreiten und schon jetzt vielen Patientinnen und Patienten helfen: So haben wir beispielsweise Wirkstoffe, die immer effektiver gezielt in den Stoffwechsel der Tumorzelle eingreifen, nämlich genau dort, wo sie sich von einer normalen Zelle unterscheidet. Diese Wirkstoffe erzielen oft gerade bei den Tumorerkrankungen Erfolge, die auf eine Immuntherapie nicht ansprechen. Und dann machen wir auch bei der Gentherapie Fortschritte. Das heißt, um Krebs einmal endgültig bekämpfen zu können, wird zukünftig eine Fülle von Therapien eingesetzt werden, die alle aber immer sehr viel gezielter wirken als frühere Therapieformen.
In aller Munde ist auch die Künstliche Intelligenz, kurz KI. Wie kann sie Krebserkrankten helfen?
Trepel: Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Vereinfacht gesagt, hat man mithilfe der Künstlichen Intelligenz die Möglichkeit, virtuell Experimente oder Szenarien nachzustellen und aus ihnen zu lernen – Lernprozesse, für die wir Menschen normalerweise Jahre oder Jahrzehnte benötigen würden.
Das heißt, durch KI beschleunigt sich vor allem die Forschung.
Trepel: Die Forschung beschleunigt sich mithilfe der KI immens, und das wird zukünftig noch viel mehr so sein. Eine große Hoffnung verbindet sich mit der raschen und anonymisierten Auswertung von Millionen von Patientengeschichten, die dokumentiert sind. Mithilfe der KI könnte man schnell erkennen, was den einzelnen Erkrankten am besten geholfen hat. Wir haben ja schon Millionen Patienteninformationen, aber es würden Heerscharen von Forschenden nötig sein, um all diese Daten auszuwerten. Ein Computeralgorithmus schafft das innerhalb von Tagen. Solche KI-Lernvorgänge lassen sich aber nicht nur in der Forschung, sondern auch in der klinischen Praxis einsetzen. So hat sich beispielsweise auch gezeigt, dass man einen Algorithmus mit so vielen Daten füttern kann, dass er mindestens so klar oder noch eindeutiger als ein Radiologe Lungenmetastasen erkennen kann. Das bedeutet nicht, dass wir nun blind auf die KI setzen sollten. Unsere Aufgabe wird es vielmehr sein, die richtigen Fragen zu stellen und mithilfe von Algorithmen Daten zu prüfen, um schneller als bisher neue Therapien zu entwickeln.
Zur Person: Prof. Dr. Martin Trepel, 55, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie ist Direktor des interdisziplinären Krebszentrums am Uniklinikum Augsburg.