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Was die Sinne der CSU verwirrt
Parteien: Einst hat die Partei ihre Landtagsfraktion „Herzkammer“ getauft. Ausgerechnet dort wächst die Unruhe. Abgeordnete fragen sich: Soll ich schon für Söder oder noch für Seehofer sein? Und das ist noch längst nicht alles, was ihnen Sorgen macht.
Angela Merkel       -  _
Foto: A3390/_Kay Nietfeld (dpa)
Henry Stern
 und  Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 09.11.2016 03:33 Uhr

Es sind ja wirklich wunderhübsche Blüten, die dieser politische Sumpf treibt. Die Frage der Ämterteilung zum Beispiel: Müssen für den Fortbestand Bayerns als „Vorstufe zum Paradies“ künftig tatsächlich die Ämter des CSU-Chefs und des Ministerpräsidenten auf zwei Personen verteilt werden, wie Horst Seehofer meint? Die schönste Antwort aus der Partei lautet: Wieso, wir haben doch jetzt schon eine funktionierende Ämterteilung – der Horst ist CSU-Chef und der Seehofer Ministerpräsident. Die beiden, so wird versichert, verstünden sich ganz gut, seien aber halt nicht immer einer Meinung.

Wer über diesen Witz jetzt noch nicht so richtig lachen kann und trotzdem wissen will, was in der stolzen „bayerischen Regionalpartei mit bundes- und europapolitischem Anspruch“ vorgeht, der muss in ihre selbst ernannte „Herzkammer“ vorstoßen: die CSU-Landtagsfraktion. Dort wurde schon vor längerer Zeit eine Fabel zum Besten gegeben, die der Wahrheit noch deutlich näher kommt als der Witz: Es war einmal ein Wasserloch in der Savanne, an dem sich die Tiere zum Saufen treffen. Solange dort nur harmlose Tiere wie Giraffen, Gazellen und Zebras ihren Durst stillen, bleibt alles friedlich.

Aber wehe, der alte Löwe mit seinem Rudel taucht auf, dann ist es mit dem Frieden vorbei. Und wenn sich dann noch der junge Löwe zeigt, um den alten herauszufordern, dann packt alle Tiere die Panik und sogar die anderen Löwen im Rudel beginnen zu zittern. Noch weiß keiner, wann es so weit sein wird und ob es zu dem befürchteten Gemetzel kommt. Irgendwann aber, so lautet die heimliche Botschaft dieser Geschichte, wird der junge Löwe das Kommando übernehmen.

Angst vor der AfD

Oder auf Deutsch: Die Zeit arbeitet für Markus Söder. Dieser Fabel vom Wasserloch und den rivalisierenden Löwen steht eine andere Geschichte gegenüber, die für CSU-Landtagsabgeordnete deshalb noch viel gruseliger ist, weil sie sich tatsächlich zugetragen hat. Als die CSU zuletzt – vor knapp zehn Jahren – ihres Alpha-Tieres Edmund Stoiber überdrüssig war und sich die Landtagsabgeordneten an die Spitze der Revolte stellten, nahm es für die Partei kein gutes Ende. Sie verlor bei der Landtagswahl so viele Stimmen, dass sie sich erstmals seit rund 50 Jahren einen Koalitionspartner suchen musste. Öffentlicher Streit um Personen, so lautet in dieser Geschichte das Fazit, hat unmittelbar politischen Machtverlust zur Folge.

Oder auf Deutsch: Wer gegen Horst Seehofer aufbegehrt, schadet der CSU. Jeder Abgeordnete, der noch höhere Ämter in der Partei, im Landtag oder in der Staatsregierung anstrebt, sieht sich also vor die heikle Frage gestellt: Soll ich schon für Söder oder noch für Seehofer sein? Das alleine zehrt mächtig an den Nerven, weil es dabei einerseits um die eigenen Karrierechancen, andererseits um die Zukunft der CSU geht. Doch das ist noch längst nicht alles, was die Sinne in der Partei verwirrt und in der Herzkammer für Kammerflimmern sorgt. Hinzu kommen die Angst vor der AfD, der ungeklärte Konflikt mit der CDU und der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik, die Wahlen im Bund (Herbst 2017) und in Bayern (Herbst 2018) sowie die ganz entscheidende Frage, welche Strategie und welche Art der Kommunikation in dieser Umbruchsituation die richtige ist: Probleme totschweigen? Weiterwurschteln? Offensiv werden?

Der Chef hat seiner Partei im Vorfeld der Parteitage von CSU (nächstes Wochenende) und CDU (im Dezember) einen Kurs verordnet, der als höchst zweischneidig wahrgenommen wird: Er fordert das „beste Team“ der CSU für den Bundestagswahlkampf, verbietet aber zugleich, in der Diskussion über dieses Team Namen zu nennen. Und er verschleppt das Bekenntnis zu Angela Merkel als Kanzlerkandidatin der Union, obwohl er weiß, dass es zu ihr im Lager der Konservativen keine Alternative gibt. Erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit sind die Vorsitzenden von CDU und CSU übereingekommen, sich gegenseitig nicht zu ihren Parteitagen einzuladen.

Begrenzte Macht Seehofers

Die Parteibasis, so ist aus den CSU-Kreisverbänden fast einhellig zu hören, ist zunehmend irritiert. Noch größer aber sind die Irritationen bei den vielen Söder-Fans in der Landtagsfraktion. Lange Zeit nämlich sah es so aus, als hätte sich längst eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten hinter dem ehrgeizigen Finanzminister versammelt, um ihn bei erster Gelegenheit als ihren Mann für das Amt des Ministerpräsidenten auf den Schild zu heben. Plötzlich aber ist Söder in die Defensive geraten.

Seine kategorische Weigerung, als „bester Kopf“ der CSU nach Berlin zu gehen, wird ihm von seinen Kritikern als Weigerung ausgelegt, sich in den Dienst der Partei zu stellen. Manche sagen, er sei in die Falle getappt, die Seehofer ihm gestellt habe, als er konterte, „der Allerbeste“ müsse in München bleiben. Verstärkt wurde diese Sicht der Dinge dann noch einmal, als Seehofer verkündete, dem neuen CSU-Frontmann in Berlin sogar das Amt des Parteichefs zu überlassen. Söder blieb bei seinem Nein. Das sorgt mittlerweile sogar bei einigen seiner Gefolgsleute für Kopfschütteln.

Umgekehrt aber bekommt auch Seehofer immer öfter zu spüren, dass seine Macht begrenzt ist und seine Tage als Quasi-Alleinherrscher gezählt sind. Parteivize Manfred Weber, der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, hat sich das Recht herausgenommen, ohne Rücksprache mit seinem Parteichef festzustellen, dass selbstverständlich Angela Merkel Kanzlerkandidatin der Union sein müsse. „Daran kann es keinen Zweifel geben“, sagte Weber, und die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sprang ihm sofort zur Seite.

Freche Franken

Auch im Landtag zeigen sich erste kleine Widerstände, bei denen es zwar vordergründig um rein inhaltliche Fragen geht, die in ihrer Summe aber durchaus an der Autorität des Regierungschefs kratzen. Seehofer will einen dritten Nationalpark in Bayern, aus der Fraktion schlägt ihm sofort lautstarker Protest entgegen. Seehofer liebäugelt mit einer Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, die Bildungspolitiker der CSU stemmen sich dagegen. Seehofer kündigt die Verlagerung des Gesundheitsministeriums nach Nürnberg an, CSU-Landtagsabgeordnete aus Oberbayern machen dagegen öffentlich mobil. Sogar Wortmeldungen aus den hinteren Reihen können in der gereizten Stimmung unversehens zum Politikum werden. Dafür gibt es aktuell ein besonders kurioses Beispiel: Am Mittwoch vergangener Woche meldeten sich am Ende der Fraktionssitzung drei junge fränkische Abgeordnete – Steffen Vogel, Michael Hofmann und Andreas Schalk – und forderten von Seehofer eine Klarstellung, wie er das mit der Ämterteilung gemeint habe.

„Zwergerl-Aufstand“

Der gerade erst in den Landtag nachgerückte Schalk, so berichten Teilnehmer der nicht öffentlichen Sitzung, erlaubte es sich sogar, über „öffentliche Selbstgespräche“ zu spotten – allerdings ohne Seehofer, der in der Sitzung nicht anwesend war, beim Namen zu nennen. Und schon gab hinterher ein Wort das andere. Während erfahrene Abgeordnete den Auftritt der drei jungen Franken als zwar frechen, aber unbedeutenden „Zwergerl-Aufstand“ abhakten, zimmerten sich einige Söder-Gegner sofort eine Verschwörungstheorie zusammen. Der Begriff „öffentliche Selbstgespräche“, so sagten sie, stamme ursprünglich von Söder, und der habe die Sitzung wenige Minuten vor dem Auftritt der drei jungen Franken verlassen. Da sei es doch völlig klar, aus welcher Ecke der Vorstoß gegen Seehofer komme – ob geplant oder aus „vorausstolperndem Gehorsam“ spiele dabei keine Rolle.

Bis zur Fraktionssitzung in dieser Woche kursierten allerlei wilde Gerüchte. Die ganze Vorgeschichte wurde noch einmal durchgekaut. Aus dem Söder-Lager wurde Seehofer vorgeworfen, den Finanzminister mit einer angeblichen Strategiedebatte, die in Wirklichkeit eine Personaldebatte sei, fortgesetzt unter Druck zu setzen.

Vertraute von Horst Seehofer wiederum wiesen darauf hin, dass die strategischen Überlegungen des Chefs nicht durch Seehofer selbst, sondern durch Indiskretionen aus dem Kreis der CSU-Bezirksvorsitzenden an die Öffentlichkeit gedrungen seien.

Erst in der Fraktionssitzung in dieser Woche konnte die Angelegenheit wieder bereinigt werden – durch eine gemeinsame Aktion der beiden Matadore. Seehofer, so berichten Teilnehmer der Sitzung, habe klargemacht, dass es ihm nicht gefalle, wenn er in seiner Abwesenheit kritisiert werde. Man möge ihm, was zu sagen ist, doch bitteschön direkt sagen. Söder sprang ihm bei, warb um Vertrauen für Seehofer und forderte die Abgeordneten zur Geduld auf.

Letzter Ausweg

Ohnehin geben sich beide Rivalen demonstrativ gelassen. Söder bleibt nichts anderes übrig. Er kann nur abwarten und sich darauf beschränken, seine Anhänger bei Laune zu halten. Seehofer weiß, dass er trotz seines angekündigten Abschieds noch jede Menge Trümpfe in der Hand hat. Das Amt des Ministerpräsidenten kann ihm bis 2018 niemand streitig machen. Und obendrein ist er auch, wie ein alter Parteistratege treffend formuliert, „der Herr des Terminkalenders“. Er könne jederzeit schon für Juli nächsten Jahres einen Sonderparteitag einberufen und sich noch einmal für zwei Jahre zum CSU-Vorsitzenden wählen lassen. Kurz vor der Bundestagswahl könnte ihm dieses Amt niemand streitig machen.

Dieser letzte Ausweg allerdings hätte einen bedeutenden Nebeneffekt. Seehofer müsste seine Forderung, dass der CSU-Chef künftig im Kabinett in Berlin zu sitzen habe, selbst erfüllen. Wenn er so weitermache, komme er da nicht drum herum, heißt es sogar von wohlmeinender Seite in der Partei. Seehofers Aussage, dass es wohl auch nach 2018 nicht ganz ohne ihn gehen wird, könnte also durchaus Realität werden.

Horst Seehofer       -  _
Foto: A4366/_Sven Hoppe (dpa)
 
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