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MÜNCHEN
Vordenker und Mahner
dpa
 |  aktualisiert: 04.01.2015 19:12 Uhr

Neben Jürgen Habermas war er der bekannteste deutsche Soziologe. Er hat den öffentlichen Diskurs mitgeprägt. Die Unbeherrschbarkeit der modernen Technik brachte Ulrich Beck auf einen prägnanten Begriff.

Als 1986 in Tschernobyl der Atomreaktor explodierte, stürzte für viele ein technisches Weltbild zusammen. Plötzlich war allen klar: Wir leben in einer „Risikogesellschaft“. Das gleichnamige Buch des Soziologen Ulrich Beck erschien zur selben Zeit und prägte den politischen Diskurs. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) holte sich von Beck später Denkanstöße.

Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 berief Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Vordenker aus München in die „Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung“. Jetzt ist er im Alter von 70 Jahren gestorben.

Für Beck war klar: Die Zeit der „ersten Moderne“ mit industrialisierten Nationalstaaten und Wohlstandsversprechen ist vorbei. Die „zweite Moderne“, in der die Menschen immer individualisierter leben und Unternehmen und Staaten die Folgen der Globalisierung spüren, ist von unkontrollierbaren Risiken durchzogen.

Dabei krankt die Gesellschaft nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen: Der Terrorismus ist Konsequenz eines Sieges der Moderne. Die Klimakatastrophe droht, weil die Industrialisierung so erfolgreich war. Die Massenarbeitslosigkeit folgt aus den Produktivitätsgewinnen. Die Alterspyramide sprengt die Sozialsysteme, weil die Medizin die Menschen länger leben lässt.

Mit seinen Themen traf Beck den Nerv der Zeit. Sein Münchner Kollege Armin Nassehi erklärt in der „Süddeutschen Zeitung“, warum Beck weit über die Grenzen der Wissenschaft hinaus Beachtung fand: „Weil seine ganze Denkungsart an den Lebenserfahrungen für eine gebildete, postmaterialistische Mittelschicht orientiert war.“ Für dieses „rot-grüne Milieu hat Beck Chiffren der Selbstbeschreibung geliefert: ein Leben zu führen, das sich vor allem an den richtigen Einstellungen und Motiven bemisst“.

So war es auch mit dem Buch „Das ganz normale Chaos der Liebe“: Die Leser fanden sich wieder in den aus dem Leben gegriffenen Erfahrungen, denen Beck 1990 mit seiner Frau und Kollegin Elisabeth Beck-Gernsheim auf den Grund ging. Dass die Befreiung von alten Werten, Geschlechterrollen und Beziehungsmustern zu neuen Zwängen führt, ist ein soziologischer Befund, der im Alltag von Millionen Menschen bestätigt wird. 2011 legte das Soziologen-Paar nach und zeigte in einem Buch, wie die zunehmende Zahl von Fernbeziehungen als private Realität der Globalisierung zu verstehen ist.

Beck verteidigte die „Kinder der Freiheit“ gegen den Vorwurf, materialistisch, unpolitisch und vergnügungssüchtig zu sein: „Die Jugendlichen wissen mit ihrem Engagement gar nicht wohin, sie sind hochmoralisch.“ Dass die Älteren auf den eigenen Vorstellungen von Werten und Pflichten beharren, ärgerte ihn.

Für ein buntes Deutschland

Als Professor für Soziologie arbeitete er an den Universitäten Münster, Bamberg und in München, wo er 2009 emeritiert wurde.

Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) betonte am Sonntag: „Er hat den Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Impulse gegeben.“ Die Fraktionschefin der Landtags-Grünen, Margarete Bause, reagierte bestürzt: „Ulrich Beck war mein Lehrer und Mentor und hat mein Denken mitgeprägt.“ Sein Tod sei ein schmerzlicher Verlust.

„Wir laufen immer gegen dieselbe Wand“, sagte Beck zur Rolle Deutschlands. „Wir brauchen ein buntes Deutschland, das auch in der Tradition des deutschen Kosmopolitismus steht.“ Leidenschaftlich warb der Intellektuelle für Europa und warf Kanzlerin Merkel eine zu zögerliche Politik vor. Ebenso wie Deutschland müsse sich auch die Europäische Union öffnen.

 
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