zurück
MÜNCHEN
Verwandtenaffäre: Chronik einer verhängnisvollen Fehlentscheidung
Manfred Ach: Der CSU-Politiker hatte seine Frau beschäftigt und wollte 1999 „darüber nachdenken“.
Foto: Krebietke | Manfred Ach: Der CSU-Politiker hatte seine Frau beschäftigt und wollte 1999 „darüber nachdenken“.
Julia Haug
 |  aktualisiert: 08.01.2016 18:01 Uhr
15. März 1999:

Eine vom Landtag eingesetzte Diätenkommission erklärt in einem Gutachten: „Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit den Abgeordneten verheiratet oder verschwägert sind, sind unzulässig.“

7. Juli 1999:

Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe nimmt das Gutachten zur Kenntnis.

23. November 1999:

Der Haushaltsausschuss beschließt einstimmig, dass die Abgeordneten für die Beschäftigung von Mitarbeitern künftig 8110 Mark im Monat beantragen können – 2575 Mark mehr als bisher. Gleichzeitig wird festgestellt, dass es weiter möglich sein soll, Verwandte auf Staatskosten als Mitarbeiter anzustellen. Die Mitglieder der Diätenkommission erfahren von den Beschlüssen aus der Zeitung.

25. November 1999:

Der Bund der Steuerzahler übt massive Kritik an Bayerns Abgeordneten. „Sie schaden dem Ansehen der Politik“, sagt Verbandspräsident Rolf von Hohenhau und kritisiert auch die Höhe der Mitarbeiterentgelte als „absolut überzogen“.

30. November 1999:

Im Präsidium des Landtags spricht sich Landtagspräsident Johann Böhm (CSU) für die Beibehaltung der Beschäftigung von Familienangehörigen aus.

3. Dezember 1999:

Die Diätenkommission klagt, sie sei vom Parlament bewusst umgangen worden, und droht schriftlich mit Rücktritt, falls sich ein derartiges Verfahren wiederhole. Das Landtagsamt spricht von einem „Kommunikationsversehen“.

6. Dezember 1999:

Kommissionspräsident Johann Schmidt bekräftigt in einem Interview seinen Standpunkt: „Die Diätenkommission hat es gestört, dass kein Verbot existiert, Ehegatten oder auch andere Verwandte zu beschäftigen. Es kann nicht sein, dass das Geld zur Aufbesserung des Familieneinkommens dient. Das ist nicht gerechtfertigt.“ Der Unterschied zu anderen Berufen liegt seiner Ansicht nach auf der Hand: Rechtsanwälte oder Schneidermeister, die ihre Frauen anstellen, müssten das Geld dafür erst einmal selbst verdienen.

9. Dezember 1999:

Die Parteien im Landtag sind gespalten, auch innerhalb der Fraktion. Die unterfränkischen Abgeordneten Manfred Ach (CSU) und Volker Hartenstein (Grüne) verteidigen die Beschäftigung ihrer Ehefrauen. Es sei völlig legal, spare dem Staat Geld und nutze, weil die Ehefrauen auch abends oder am Wochenende zu Verfügung stehen, letztlich auch den Bürgern. Emma Kellner (Grünen) dagegen sagt: „Es wäre fatal, wenn in der berechtigten Forderung nach einer qualifizierten Zuarbeit für Parlamentarier ein Beigeschmack von Vetternwirtschaft und Abzockerei mitschwingt.“ Im Präsidium regen die Grünen an, die Bundestagsregelung (Abrechnungsverfahren durch das Amt, keine Beschäftigung von Familienangehörigen) zu übernehmen. Die SPD spricht sich für eine Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung, aber gegen die Neubegründung solcher Arbeitsverhältnisse aus.

10. Dezember 1999:

Die Grünen streiten heftig über ihren Kurs. CSU-Fraktionschef Alois Glück verteidigt die Beschäftigung von Verwandten. Er könne nicht erkennen, was daran verdächtig sein soll. Otmar Bernhard (CSU) sagt: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf Missbrauch.“

19. Dezember 1999:

Der Abgeordnete Hartenstein verlässt nach dem Streit um die Beschäftigung seiner Frau die Grünen.

25. Januar 2000:

CSU und SPD sprechen sich im Präsidium für die Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung aus. Die Grünen sind dagegen. Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht mit dem Ziel, die Beschäftigung von Familienangehörigen zu verbieten.

13. März 2000:

Die interfraktionelle Arbeitsgruppe trifft sich mit der Diätenkommission.

21. März 2000:

Landtagspräsident Böhm sichert der Diätenkommission zu, die Verwendung der Mitarbeiterentschädigung genauer zu kontrollieren.

5. Juli 2000:

Die interfraktionelle Arbeitsgruppe empfiehlt ein Verbot der Beschäftigung von Verwandten und Verschwägerten ersten Grades nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollen allerdings gültig bleiben.

28. September 2000:

Nachdem die Grünen in den Kompromiss eingewilligt haben, wird ein gemeinsamer Gesetzentwurf aller drei Fraktionen in den Landtag eingebracht.

9. November 2000:

In der Schlussberatung im Verfassungsausschuss wird noch ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes befürwortet. Damit werde verhindert, sagt der SPD-Abgeordnete Harald Güller (Kreis Augsburg), dass noch kurzfristig Arbeitsverhältnisse eingegangen werden.

29. November 2000:

Der Landtag verabschiedet das Gesetz mit den Stimmen von CSU, SPD und Grünen. Die einzige Gegenstimme kommt vom fraktionslosen Abgeordneten Hartenstein.

1. Dezember 2000:

Das Gesetz tritt in Kraft. Die Zahl der Abgeordneten, die nahe Angehörige beschäftigen, hat sich in der Zwischenzeit angeblich um 34 auf 79 erhöht. Öffentlich bekannt wurde das erst im Jahr 2013. Dokumentation: Julius Bachmeier/Julia Haug

Volker Hartenstein: Der Grüne verließ seine Partei nach dem Streit um die Beschäftigung seiner Frau.
Foto: Obermeier | Volker Hartenstein: Der Grüne verließ seine Partei nach dem Streit um die Beschäftigung seiner Frau.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Julia Haug
Abgeordnete
Alois Glück
Bund der Steuerzahler
CSU
Familienmitglieder
Gesetzentwürfe
Johann Böhm
Landtage der deutschen Bundesländer
SPD
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top