Herzschmerz pur bei der Münchner SPD. Mehr als fünf Stunden hat es gedauert, bis sich ein Parteitag ins machtpolitisch Unvermeidbare fügte, die 25-jährige Liaison mit den Grünen beendete und einem Bündnis mit der CSU im Münchner Stadtrat zustimmte. Nach leidenschaftlicher Debatte votierten in der Nacht zum Dienstag 71 Delegierte für Schwarz-Rot, 51 dagegen. Bei der CSU war die Zustimmung nur Formsache: einstimmig, nach kurzer Diskussion.
Die Spitze der Münchner SPD um den neuen Oberbürgermeister Dieter Reiter und Parteichef Hans-Ulrich Pfaffmann war gewarnt. Die Emotionen hatten sich nach dem Ausstieg der Grünen aus einem geplanten schwarz-rot-grünen Dreierbündnis bis zum Siedepunkt erhitzt. Jene Genossen, für die ein Pakt mit der CSU fast ein Weltuntergang ist, hatten sich organisiert. Ihr Ziel: Reiter solle es mit einer rot-grünen Minderheitsregierung versuchen. Für den frisch gewählten OB, der sich nach wochenlangen Verhandlungen für eine Kooperation mit der CSU ausgesprochen hatte, ging es am Montagabend im Augustinerkeller gleich um alles oder nichts. Eine Niederlage wäre einer Demontage durch die eigene Partei gleichgekommen.
Reiter stemmte sich dagegen. Er gab sich demütig: „Ich werde mein Bestes geben, so oder so, egal, wie ihr heute entscheidet.“ Er stänkerte gegen seinen Vorgänger Christian Ude, der seiner SPD zum Abschied ziemlich scharf in die Parade gefahren war: „Keiner von uns ist unfehlbar, auch nicht der Oberbürgermeister, also zumindest nicht der aktuelle.“ Er beteuerte, dass er für Rot-Grün gekämpft, aber nicht erwartet habe, dass es nach der „absolut bitteren“ Wahlniederlage zu einer solchen Situation kommt.
Dann berichtete Reiter Schritt für Schritt über die Verhandlungen: dass SPD, Grüne und Rosa Liste keine weiteren Partner für eine Mehrheit gefunden hätten. Dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als in Gespräche mit der CSU einzutreten. Und dass diese Verhandlungen erst ganz am Schluss an personalpolitischen Forderungen der Grünen gescheitert seien.
Eine Minderheitsregierung, so Reiter, sei ein „Flohzirkus“ und deshalb abzulehnen. München brauche Verlässlichkeit und Stabilität, insbesondere bei „Milliarden-Entscheidungen“, die bei der Sanierung der Kliniken, im Nahverkehr, im Wohnungsbau und im Bildungswesen anstehen. Die Kooperation mit der CSU sei für ihn eine „reine Vernunftehe“.
Ein großer Teil der Delegierten aber war von heftigem Trennungsschmerz geplagt. Klaus Hahnzog, Urgestein der Münchner SPD, sorgte sich um „Weltoffenheit und Toleranz“ in der Landeshauptstadt. Der frühere Sozialreferent der Stadt, Friedrich Graffe, sprach von einem „schwarzen Tag“ und hielt Reiter vor, er habe sich von den Grünen in der Stichwahl unterstützen lassen, die Verteilung der Posten aber mit der CSU ausgehandelt. Dieser Weg habe „Entsetzen“ ausgelöst. „Für mich ist es das Ende einer Lebensphilosophie“, sagte Graffe.
Stundenlang ging es hin und her. Nur wenige Delegierte ergriffen Partei für Reiter, unter ihnen auch Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter. Der gesundheitlich angeschlagene 86-Jährige erinnerte die SPD an das realpolitische Einmaleins: „Wünsche kann man äußern, aber wenn man Wünsche durchsetzen will, braucht man eine Mehrheit dazu.“ Diese Auffassung setzte sich schließlich durch. Die SPD schluckte die Kröte. Als um 0.29 Uhr das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde, lagen die CSU-Delegierten, die sich im Hofbräukeller getroffen hatten, längst im Bett.