Manchmal lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen beobachten, die parallel verlaufen und doch grundverschieden sind. Das mag zunächst widersprüchlich klingen, zeigt aber, dass eine Gesellschaft komplex ist. So ist es auch in Deutschland. Die Bundesrepublik ist längst multikulturell, Diversität und Toleranz spielen für viele Menschen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sind die Umfragewerte für die AfD so hoch wie nie, Proteste werden aggressiver, laufen aus dem Ruder.
Laut Bundesverband der Vereine und des Ehrenamts sind über 50 Millionen Deutsche Mitglied in einem Verein. Dort spiegeln sich gesellschaftliche Veränderungen wider – im Positiven wie im Negativen.
So sei die Stimmung auf Sportplätzen in den vergangenen Jahren aggressiver geworden, sagt Ismail Demir – und er muss es wissen. Der 55-Jährige ist beim Bayerischen Fußballverband (BFV) einer der ehrenamtlichen Konfliktmanager, die seit 2010 im Einsatz sind. Wenn es bei einem Spiel zu einem Streit oder anderen Aggressionen kommt, werden neben dem Sportgerichtsverfahren auch sie eingeschaltet. "Die Bereitschaft zu Gewalt ist aktuell sehr hoch", sagt Demir.
Das lässt sich an Zahlen belegen. In der Saison 2022/23 kam es laut Angaben des Justizministeriums bei Amateurspielen in Bayern zu 315 Gewalt- und 196 Diskriminierungsvorfällen. Zudem mussten 87 Spiele abgebrochen werden.
Der BFV beobachtet gestiegene Aggression auf dem Platz
"Man kann gesamtgesellschaftliche Entwicklungen auch im Amateurfußball wiederfinden", erklärt Frank Schweizerhof. Er ist hauptamtlicher Mitarbeiter für den Bereich Soziales beim BFV und für den Bereich Konfliktmanagement zuständig. "Wenn der Ton insgesamt schärfer wird, gibt es auch auf dem Fußballplatz mehr Beleidigungen", sagt er. Auf dem Platz spielten auch internationale Konflikte eine Rolle – etwa wenn Gegenspieler aus Ländern stammen, die gegeneinander Krieg führen. "Das äußert sich durch Provokationen und rassistische Äußerungen", erklärt Schweizerhof.
Auch Ismail Demir, der Konfliktmanager des BFV, wurde früher als Spieler oft beleidigt. Demir ist in Istanbul geboren, mit einem Jahr kam er nach Deutschland. "Da habe ich auch zurückbeleidigt", sagt er. Aber er sieht die Probleme nicht nur auf dem Platz. Auch die Stimmung unter den Zuschauern werde aggressiver, erklärt Demir. Von den Vereinen fordert er mehr Ordner, die bei verbalen Ausfällen von Zuschauern eingreifen können. "Jeder sagt immer, es sei alles in Ordnung im Amateurfußball, aber das stimmt nicht", sagt Demir.
Als Konfliktmanager arbeitet er Vorfälle im Nachhinein auf: "Ich spreche mit allen Betroffenen, stelle Fragen, höre zu." Nur selten würden Klienten nach der Konfliktberatung wieder ausfällig, erklärt Demir.
Es gehe beim Konfliktmanagement nicht um Schuldfragen, betont Frank Schweizerhof. "Wir wollen Vorfälle aufarbeiten und damit dauerhaft ausräumen", erklärt er. Auch Schweizerhof erkennt, dass die Aggressivität auf dem Platz in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. "Was wir jedoch sehr positiv wahrgenommen haben, war die Phase nach der Flüchtlingswelle, da haben Vereine ein unglaubliches Engagement gezeigt", führt er fort.
So geht der SV Megesheim mit rassistischen Sprüchen um
Der SV Megesheim wurde für sein Engagement im Bereich Integration sogar ausgezeichnet. 2015 erhielt der Verein aus dem Donau-Ries von der DFB-Stiftung Egidius Braun einen Scheck in Höhe von 500 Euro. Damals spielten acht Geflüchtete aus Westafrika für den SVM. Der Verein unterstützte die Männer auch außerhalb des Platzes, half ihnen, einen Sprachkurs, eine Wohnung und Arbeit zu finden.
"Im Sport ist Integration leichter", sagt SVM-Vorstand Gerhard Unger. "Hier sind alle willkommen." Das sahen manche Gegner des SV Megesheim allerdings anders. Auf dem Platz seien vereinzelt "blöde Aussagen" gefallen, wie es Unger nennt. Etwa: "Geh dahin, wo du hergekommen bist – in den Busch." Die angesprochenen Spieler hätten solche Sätze allerdings entspannt gesehen. "Sie sind da darübergestanden", sagt Unger. Auch deshalb habe der Verein nichts weiter gegen derartige Sprüche unternommen.
Heute sind in Trachtenvereinen auch Mitglieder mit Migrationshintergrund
Nicht nur Sportvereine bringen viele verschiedene Menschen zusammen – auch solche, in denen man Diversität vielleicht erst einmal nicht erwarten würde. "Früher wäre es unvorstellbar gewesen, dass jemand aus Norddeutschland in Bayern in einen Trachtenverein geht", sagt Franz Multerer. Er ist Vorsitzender des Lechgau-Trachtenverbands und im Trachtenverein Alpenrose in Peiting, "seit ich laufen kann".
Heute sei es selbstverständlich, dass auch Mitglieder mit Migrationshintergrund in den Vereinen aktiv sind, sagt Multerer. Was sich laut ihm auch geändert hat: Heute seien die Strukturen im Verein weniger hierarchisch. Zugleich gebe es nicht mehr so strenge Regeln wie früher, die Vereine seien offener.
TVA-Geschäftsführerin: "Sportvereine nehmen der Gesellschaft viel ab"
Beim Turnverein Augsburg hätten Herkunft oder Handicap noch nie eine große Rolle gespielt, sagt Geschäftsführerin Doris Panacek. In den vergangenen Jahren seien Vereine bei Themen wie Inklusion oder Integration aber noch einmal sensibler geworden. Für Panacek ist Sport ein einfacher Weg, um alle Menschen zusammenzubringen. "Sportvereine nehmen der Gesellschaft ganz viel ab", sagt sie. "Es gäbe viel mehr Reibereien, wenn diese sich nicht so engagieren würden."
Der TVA ist mit über 5300 Mitgliedern der größte Breitensportverein der Stadt. Unter den Mitgliedern sind knapp 700, die Rehasport betreiben, wie Geschäftsführerin Panacek sagt. Manche von ihnen leiden unter Multipler Sklerose, andere haben eine Krebserkrankung hinter sich. Für sie gibt es eigene Sportangebote, viele trainieren aber auch zusammen mit den anderen Mitgliedern, zum Beispiel im Fitnessstudio.
Für Panacek ist das eine Selbstverständlichkeit. "Wir versuchen, alle Menschen so zu nehmen, wie sie sind und gemeinsam Sport zu treiben", sagt die Geschäftsführerin. Auf die Mitglieder mit Handicap werde nicht gesondert Rücksicht genommen. "Das wollen die Menschen auch so."
Angels Nördlingen: "Stellen uns öffentlich gegen Hass und Hetze"
Für viele Vereine sind Integration oder Inklusion also selbstverständlich. Manche setzen zusätzlich ein Zeichen gegen rechts – zum Beispiel die Eigner Angels Nördlingen. Der Basketballverein setzt dafür vor allem auf Kooperation mit Schulen: "Wir stehen für alles ein, was unseren Werten entspricht", erklärt Jugendkoordinator und Pressesprecher Nils Gerstmeier. "Darauf sind wir stolz und machen uns auch nicht abhängig, was andere davon halten."
Unter anderem engagieren sich die Angels Nördlingen bei "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage", ein Zusammenschluss von mehr als 4000 Schulen, der sich gegen jegliche Form von Diskriminierung einsetzt. Immer wieder kommen Spielerinnen der Bundesligamannschaft an Schulen und leiten verschiedene Sportangebote. So soll Vielfalt und Haltung vermittelt werden.
Zudem bekannte sich der Verein klar zur Demo gegen rechts in Nördlingen Anfang Februar. "Wir setzen uns für Multikulturalität ein und stellen uns öffentlich gegen Hass und Hetze", erklärt Gerstmeier. "Wir sind ein Leuchtturm im Landkreis, und es ist unsere Aufgabe, uns dem immer größeren Druck von rechts entgegenzustellen." Denn wenn die Gesellschaft nicht mehr füreinander agiere, dann könne man auch den Sport nicht mehr genießen. "Und das brauchen wir eigentlich alle mal, um herunterzukommen."