Die Debatte, wie man 70 Jahre nach Kriegsende mit dem Nazi-Erbe richtig umgeht, wird dieser Tage nicht nur in Zusammenhang mit der Kitzinger Richard-Rother-Realschule geführt. Weitaus heftiger geht es in Coburg zur Sache, wo seit Jahren erbittert darüber gestritten wird, ob es am Konzernsitz des Automobilzulieferers Brose eine Max-Brose-Straße geben soll oder nicht. Bei Brose in Coburg arbeiten rund 3500 Menschen, in Würzburg rund 1800. 2004 hat sich der Coburger Stadtrat unter Führung des damaligen Oberbürgermeisters Norbert Kastner (SPD) mehrheitlich dagegen entschieden, die Von-Schultes-Straße in Max-Brose-Straße umzubenennen. Mehrere Stadträte hatten damals laut „Coburger Tageblatt“ wegen Max Broses Verhalten im „Dritten Reich“ dagegen gestimmt.
Coburg war 1930 die erste Stadt mit einem braunen OB. Und von Max Brose sei 2004 bekannt gewesen, dass er ab 1933 Mitglied der NSDAP war, dass das Unternehmen in den Kriegsjahren Rüstungsgüter herstellte, Zwangsarbeiter beschäftigte. Nach dem Krieg war Max Brose 1949 im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ eingestuft worden.
Firmenchef Michael Stoschek sieht seinen Großvater dadurch entlastet. Zudem verweist er auf das Urteil des Erlanger Historikers Gregor Schöllgen, der 2008 im Auftrag des Unternehmens die Biografie des Gründers aufgearbeitet hatte und zu dem Schluss kam: Max Brose habe sich immer anständig verhalten.
Anfang 2015 tauchte die Frage erneut auf, ob Coburg eine Max-Brose-Straße bekommt. Spätestens seit der Stadtrat im März unter Führung des neuen OB Norbert Tessmer (SPD) „bedauert“ hat, dass es 2004 mit der Umbenennung nicht geklappt hat und am 21. Mai die Straße umbenennen will, ist der Streit eskaliert.
Gegen eine Max-Brose-Straße haben sich neben Coburger Stadträten, DGB und Bürgern auch der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Gedenkstättenbeauftragte der evangelischen Landeskirche ausgesprochen. Am Donnerstag, in der ARD-Sendung „Kontraste“, unterstrich Josef Schuster (Würzburg), der Präsident des Zentralrats der Juden, seine Ablehnung: „Es geht nicht darum, Max Brose generell zu verdammen. Nur, es geht da um eine Straßenbenennung, und ich erwarte für eine Straßenbenennung eine Vorbildfunktion in jeder Hinsicht. In der Stadt Coburg, die erste Stadt mit einer braunen Stadtratsmehrheit, in dieser Stadt meine ich, sollte man die Latte besonders hoch legen.“
Zu dem TV-Beitrag unter dem Titel „Gekaufte Straßenschilder? Coburg will NS-Wehrwirtschaftsführer ehren“ hatte die Pressestelle des Konzerns schon vorab mitgeteilt, dass die bevorstehende Entscheidung zum Straßennamen nichts damit zu tun habe, dass der Konzern seit 2004 in Coburg alle sozialen Zuwendungen und Spenden eingestellt hat: Falsch sei die Behauptung, Stoschek biete „Bares für Vereine und Stadt, wenn der Straßenname kommt“. Vielmehr habe dieser wiederholt öffentlich erklärt, „dass es einen Deal ,Straße gegen Spenden' nicht geben werde.“
Stoschek forderte kürzlich bei einem öffentlichen Auftritt in Coburg eine Versachlichung der Debatte. Vor diesem Hintergrund pikant: Der Historiker Edmund Frey hat den Konzernchef wegen „Beleidigung und Verleumdung“ angezeigt. Grund ist eine E-Mail an Frey, in der Stoschek schrieb: „Sie bedienen sich genau der Methoden der Nazis: Denunzierung, Neid, Missgunst und Intoleranz.“ Diese Mail war zudem in Kopie an OB Tessmer und den Historiker Schöllgen gegangen.
„Mit dieser Formulierung wurde eine Grenze überschritten“, erklärte Frey zu der Anzeige, „zumal sie nicht nur mir gegenüber geäußert wurde“. Frey hat Angehörige jüdischen Glaubens, Verwandte waren im KZ Dachau eingesperrt. „Unerträglich“ seien diese Äußerungen.
Oliver Schmidt, Redaktionsleiter beim „Tageblatt“ in Coburg, hofft noch immer, dass die „teilweise sehr emotional bis diffamierend geführte Diskussion“ vielleicht sogar den Anstoß dafür gibt, dass Coburg die historische Aufarbeitung seiner jüngeren Geschichte betreibt. Die ganze Diskussion nur an einer Person festzumachen, sei zu wenig, sagte er am Telefon. Hoffentlich wird er gehört.