Der Bayreuther Oberstaatsanwalt Herbert Potzel ist nicht zu beneiden: Vor zwei Wochen schien es, als stünde seine Behörde davor, eines der größten Rätsel der deutschen Kriminalgeschichte zu lösen. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit ebenso hoch, dass die Fahnder vor einer der größten Blamagen stehen. Der Fall Peggy und die NSU-Morde – hängen sie zusammen, und wenn ja, wie?
Eigentlich hat Potzel am Donnerstag nichts anderes verkündet als vor zwei Wochen, als er bekannt gab, dass in unmittelbarer Nähe der sterblichen Überreste von Peggy die DNA des mutmaßlichen NSU-Killer Uwe Böhnhardt gefunden wurde. Das sei alles noch sehr unsicher, hieß es damals, man könne auch Ermittlungsfehler nicht ausschließen und brauche Zeit. Zeit brauchen die Ermittler jetzt erst recht, nachdem bekannt wurde, dass es die gleiche Ermittlungsgruppe der Thüringer Polizei war, die im Wohnmobil des NSU und am Fundort von Peggys Leiche Spuren sicherte. Und dass sie hier wie da das identische „Spurensicherungsgerät“ verwendet hat, wie sich Potzel kryptisch ausdrückt.
Die Nadel im Heuhaufen
So könnte Böhnhardts DNA von einem Schauplatz zum anderen gelangt sein. Die vage Verbindung von den NSU-Morden zum Verbrechen an Peggy und möglicherweise zu anderen ungeklärten Kindermorden würde platzen wie eine Seifenblase.
Was ist wahrscheinlich, und was sind die gesicherten Fakten? Ein Kriminaltechniker, der wegen der Brisanz der Fälle nicht genannt werden will, verdeutlicht im Gespräch, dass eine DNA-Spur eben nur das ist: eine Spur. „Der Fortschritt in der Analyse hat es möglich gemacht, schon aus kleinsten Partikeln DNA zu isolieren“, sagt der Experte. Hautschuppen, Haare, winzigste Bluttropfen können einen Steckbrief liefern. Aber genau deshalb ist die DNA – der Fingerabdruck aus dem Erbgut – heikel, denn sie ist überall, massenhaft. „Jeder Tatort ist DNA-verseucht, könnte man sagen. Deshalb wird dort auch so akribisch und mit größter Vorsicht gearbeitet“, sagt der Kriminaltechniker.
Er zieht als anschauliches Beispiel seinen Geldbeutel aus der Tasche: „Stellen Sie sich vor, so ein Etui wird an einem Tatort gefunden. Mit all den Scheinen und Münzen, die durch unzählige Hände gegangen sind. Wer da nach einer ganz bestimmten DNA sucht, findet leichter die Nadel im Heuhaufen.“
Weil das so ist, arbeiten Kriminaltechniker vor Ort vermummt wie Raumfahrer. Sie sollen auf keinen Fall noch mehr Unordnung in den DNA-Dschungel bringen. Deswegen, so der Kriminaltechniker, hält er Pannen, wie sie jetzt im Fall Peggy/NSU im Raum stehen, für möglich, aber „eine absolute Seltenheit“.
Gegen eine Panne spricht für ihn vor allem der lange Zeitraum zwischen den beiden fraglichen Einsätzen der Polizisten und ihres „Spurensicherungsgerätes“: Im ausgebrannten Wohnmobil mit den Leichen der mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos arbeiteten die Ermittler am 4. November 2011; Peggys Leiche wurde am 2. Juli 2016 entdeckt. Die DNA von Böhnhardt müsste also viereinhalb Jahre darauf gewartet haben, im Wald, wo Peggy vergraben war, auf ein Stück Stoff übertragen zu werden.
Wurde DNA weit gestreut?
Rein mechanisch ist das denkbar: Potzels „Spurensicherungsgerät“ ist ein Zollstock, den die Polizei bei der Tatortsicherung einsetzt, um auf den Fotos einen Größenvergleich zu ermöglichen. Aber: An wie vielen Tatorten war die Maßskala zwischen 2011 und 2016 im Einsatz? Wurde Böhnhardts DNA folglich weit gestreut? Wurde der Maßstab nicht vielmehr x-fach gereinigt, so dass es ein unglaublicher Zufall ist, wenn eine Hautschuppe einen derart langen Zeitraum „überlebt“? Und ein noch viel größerer Zufall, dass die Spur dann ausgerechnet am Schauplatz eines weiteren spektakulären Verbrechens auftaucht?
Noch eine NSU-Panne? Im Fall der NSU-Morde gab es bereits eine spektakuläre DNA-Panne: Nach dem Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn jagte die Polizei lange ein Phantom, dessen genetischer Fingerabdruck bei 35 ungeklärten Verbrechen auftauchte. Kontaminierte Wattestäbchen hatten diese falsche Spur gelegt.