Wer einen Bayern und natürlich auch die Bayerin und deren Seelen verstehen will, sollte bestimmte Kenntnisse mitbringen. Zum Beispiel übers Fluchen. Denn niemand in der Republik schimpft erfindungsreicher als die Bajuwaren, sagt man. Das klingt im Extremfall dann zum Beispiel so: Kreizkruzefix nomoi, himmiherrgotsakrament, du Hodalump miserabliga und, und, und...
Zugegeben, in dieser XXL-Version begegnen einem im südlichen Freistaat Flüche nur in den seltensten Fällen. Aber geschimpft wird gerade auch in Bayern heutzutage immer noch, allen modernen Emojis und Hatespeech in den sozialen Netzwerken zum Trotz. Neu ist das allerdings nicht. Im Gegenteil: Gezetert wird schon immer in allen Kulturen – und das nicht zu knapp. Etwa fünf Prozent der Gespräche am Arbeitsplatz und mehr als zehn Prozent der Freizeitunterhaltungen sollen nach Angaben des Psychologen Timothy Jay aus Schimpfen bestehen.
Professor Wolf sagt: Der tiefere Sinn des Fluchens ist es, Tabus zu verletzen
Einer, der sich von Berufs wegen mit dem Thema beschäftigt, ist der Augsburger Professor für deutsche Literatur sowie Sprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit Schwerpunkt Bayern, Klaus Wolf. Der Verfasser der bayerischen Literaturgeschichte „Von Tassilo bis Gerhard Polt“ sagt, dass jedes Volk anders fluche. Der tiefere Sinn dabei sei es, Tabus zu verletzen.
„Meine Frau ist Italienerin, die haben ähnlich viele Fluchvarianten wie die Bayern“, erzählt er. Oftmals seien sie schwer beleidigend gegenüber Gott und der sonst so verehrten Maria. In Bayern fluche man in der Regel nicht so direkt, sondern feinsinniger und metaphorischer als in Italien. Fluchen hat Wolf zufolge oft etwas mit Katholizismus zu tun. Katholische Kulturen hätten eine größere Affinität dazu, weil es mehr Tabuwörter gebe, während in mehrheitlich protestantischen Gebieten vielleicht aufgrund der Rechtfertigungslehre seltener geflucht würde. Diese Art der Beschimpfung sei laut Wolf oft eine Auflehnung gegen die klerikale, aber auch gegen die weltliche Obrigkeit.
Ursprünglich waren Flüche meist Verwünschungen („Der Teufel soll dich holen“) – und sie haben eine lange Geschichte.. Der älteste bekannte Fluch stammt aus der Bibel und Gott selbst soll ihn ausgesprochen haben, wenn man dem Alten Testament glauben will. Passiert soll dies sein, als Adam und Eva vom verbotenen Apfel aßen. Als Folge der Sünde vermaledeite Gott die Schlange, gab der Frau die Schmerzen ihrer Schwangerschaft und verwünschte den Erdboden, den Adam bearbeitete. Wenn man so will, leidet die gesamte Schöpfung bis heute unter dieser Malediktion. Auch in der Sanskrit-Literatur vor über 3000 Jahren findet man übrigens den „Hund“ als Schimpfwort. Es hat sich als solches bis heute gehalten.
Der Fluch ist ein durch Worte ausgelöster Schadenswunsch für andere
Damit wäre man auch schon bei der Erklärung, was mit einem Fluch bezweckt werden soll. Er ist sozusagen ein durch Worte ausgelöster Schadenswunsch für andere. Kurz: Er soll Unheil bringen. Heute müssen Flüche allerdings nicht gleich die universelle Verwünschung nach sich ziehen, wie am christlichen Anfang der Welt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Tabuwörter verändert. Im Mittelalter beispielsweise habe man, erzählt Professor Wolf, eher auf Fäkalien abgehoben. Heute flucht die Jugend auf ihre eigene Art, um sich auch darüber von älteren Generationen abzugrenzen.
Das Wichtigste am Fluchen ist, dass all diese Beschimpfungen auf die Psyche eine reinigende Wirkung haben, wie die Wissenschaft herausgefunden hat. Verbale Aggression ersetzt oft echte physische Gewalt, behauptet unter anderem der Sprachwissenschaftler André Meininger vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. Wolf gibt ihm recht. „Granteln und Fluchen sind eine gesunde Art zu überleben, ohne inneren Schaden zu nehmen.“ Die Briten Richard Stephens, John Atkins und Andrew Kingston von der Keele University in Großbritannien erhielten 2010 übrigens den nicht ganz ernst zu nehmenden sogenannten „lg-Nobelpreis im Bereich Frieden“ für die wissenschaftliche Bestätigung der Annahme, dass Fluchen Schmerzen lindern kann.
Bleibt noch die Frage: Kann man Fluchen lernen?
Einer, der sich deswegen um die Fluchkultur im Lande sorgt, ist der große bayerische Grantler Gerhard Polt, der schon viele Wutbürger auf die Bühne gebracht hat. Er befürchtet, dass wir das Schimpfen verlernen. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit hat er sogar ein Schulfach Fluchen empfohlen.
Kann man Fluchen lernen? „Ja klar“, sagt Wolf, „man kann ja auch Fremdsprachen lernen, sogar Bairisch.“ Gleiches gelte fürs Fluchen. Zumal manche Flüche neben ihrer reinigenden Wirkung auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. Den des „Münchners im Himmel“ von Ludwig Thoma: „Luja sag i, luja, zefixhalleluja..." kann man sich sogar auf Schallplatte, CD oder Youtube anhören. „Man verlacht eine kirchliche Moral“, erklärt Wolf. Das sei ein humoristischer Tabubruch. Man könnte auch sagen: „Viele Flüche sind so eine Art religiöses Kabarett“.