„Skifahren ist eine Risikosportart. Sie zählt unter den Breitensportarten zu den zehn gefährlichsten, was das Verletzungsrisiko betrifft.“ Was Dr. Herbert Mayer hier sagt, macht sich in der Notaufnahme der Klinik in Immenstadt bemerkbar. Mayer ist dort Chefarzt für Unfallchirurgie und Orthopädie. Er und seine Kolleginnen und Kollegen müssen in einer Wintersaison 6500 Ski- und Snowboardfahrer behandeln. 600 davon werden stationär aufgenommen. Der Mediziner ist seit etlichen Jahren auch als Notarzt bei der Bergwacht engagiert. Und so erklärt er, was eigentlich nach einem Skiunfall passiert – von der Piste in den OP. Und was Retter dabei erleben. Teils haarsträubende Geschichten.
Skifahren im Allgäu: Was tun, wenn man einen Unfall auf der Skipiste hat?
Auf der Piste: Nach einem Unfall auf der Skipiste sollte über die 112 der Notruf gewählt werden. Die Leitstelle schickt meist die Bergwacht. Bis sie da ist, ist Hilfe von Zeugen wichtig. Häufig passiere es aber, dass Schneesportler einfach an Unfällen vorbeifahren, sagt Mayer. Dabei sei es wichtig, einem Verunglückten zu helfen. Wer Zeuge eines Skiunfalls geworden ist, sollte andere Sportler vor der Unfallstelle warnen. Beispielsweise mit zwei gekreuzt in den Schnee gesteckten Skiern - so platziert, dass nachfolgende Fahrer die Unfallstelle schnell erkennen. Das sei wichtig, weil Folgeunfälle "manchmal schlimmer sein können als das Initialereignis", sagt Mayer. Dann sollte Erste Hilfe geleistet und gewartet werden, bis die Bergrettung da ist. Es könne sein, dass die Retter noch die Hilfe von Zeugen benötigten, etwa beim weiteren Absichern der Piste.
Rücksichtslos: "Es kommt nicht selten vor, dass Skifahrer bewusst die Absperrung durchbrechen“, sagt Mayer. Es gebe sogar Leute, die schnell noch unter dem Heckausleger eines landenden Hubschraubers hindurch fahren, damit sie nicht aufgehalten werden und sie ihre bezahlte Abfahrt noch genießen können. Jeder Bergretter habe schon zigfach erlebt, dass Wintersportler eine abgesperrte Unfallstelle als ärgerliches Hindernis ansehen statt sich rücksichtsvoll zu verhalten. Das sei keine Ausnahme, sondern recht häufig der Fall.
Die Bergwachten im Allgäu helfen bei Skiunfällen
Mit Schlitten oder Hubschrauber ins Tal: Die Bergwacht schätzt die Schwere der Verletzung ein und entscheidet, wie ein Patient ins Tal gebracht wird. Per Akia-Schlitten, einer Art Wanne, die von zwei Skifahrern gelenkt wird, per Motorschlitten oder per Rettungshubschrauber. In zehn bis 15 Prozent der Fälle seien die Verletzungen so schwer, dass ein Hubschrauber eingesetzt werde, sagt Herbert Mayer. Im Tal angekommen, werden die Patienten per Rettungswagen in die Klinik gebracht. Schwere Fälle melden Bergwacht oder Hubschrauberbesatzung dem Krankenhaus noch von der Piste aus, damit sich Ärzte und Pflegepersonal vorbereiten können.
Stoßzeiten im Krankenhaus: In 24 Stunden können in der Notaufnahme und Unfallchirurgie Immenstadt um die 80 Patienten behandelt werden. Gerade an den Wochenenden im Winter könne es so viele Fälle geben. Deshalb sei an diesen Tagen in der Wintersaison mehr Personal eingeteilt. Es gebe zwei Stoßzeiten: Gegen Mittag komme der erste Schwall an Patienten. Sie waren meist schon seit dem Morgen auf der Piste. Der zweite Schwall komme am späten Nachmittag. Oft erzählten Patienten, dass der Unfall auf ihrer letzten Abfahrt geschehen sei. Sie seien müde gewesen und hätten sowieso aufhören wollen.
Personal aus Krankenhäusern berichtet davon, was im Wartebereich passiert
Emotionen im Wartebereich: Auch wer mit dem Rettungswagen eingeliefert wird, muss damit rechnen, warten zu müssen, sagt Mayer. Denn es werde nach Dringlichkeit behandelt. Und so bekomme das Personal auch den Unmut einiger Patienten ab. Bei längeren Wartezeiten "kochen manchmal die Emotionen hoch". Um das zu entschärfen, hat sich die Klinik etwas einfallen lassen: Patienten, die allein laufen können, erhalten eine Art Pieper. Damit können sie über das Klinikgelände laufen. Sobald sie an der Reihe sind, werden sie über das Gerät informiert.
Versichert? Das Problem des Rücktransports: Für einige Urlauber hat ein Skiunfall weitere Folgen. Wie kommen sie nach Hause, wenn sie nicht mehr selbst fahren können? Viele hätten eine Auslandsversicherung für solche Fälle, sagt Mayer. Die aber gelte meist nicht innerhalb Deutschlands. Und Krankenkassen zahlten solche Dienstleistungen oft nicht. „So ein Transport nach Köln kostet schnell mal 1600 Euro.“ Dieses Problem belastet oft auch das Krankenhauspersonal, denn das müsse helfen, nach einer Lösung zu suchen. Besonders ärgerlich sei es für Menschen, die etwa im Kleinwalsertal Urlaub machten. Haben sie dort einen Unfall, kommen sie in ein deutsches Krankenhaus. Dann gilt die Auslandsversicherung ebenfalls nicht.
Wie muss man sich für das Skifahren vorbereiten? Dr. Herbert Mayer hat Tipps
Ausrüstung: Es sollte der richtige Ski für das fahrerische Können gewählt werden. Die Skibindung muss regelmäßig gewartet werden. Denn eine häufige Ursache für schwere Verletzungen sei, dass die Skibindung nicht aufgeht bei einem Sturz. Zudem ist ein Helm wichtig.
Fitness: Man sollte körperlich fit sein. Von Alkohol auf der Piste und in Pausen und von schweren Mahlzeiten rät Mayer ab. Wer müde wird, sollte eine Pause machen. Die Fahrweise sollte an das Können angepasst werden.
Pisten-Regeln: Es gebe kein Gesetz, das den Verkehr auf der Piste regelt. Dennoch gebe es Regeln - und zwar die des weltweiten Verbands für den Skisport: Fis. Wenn ein Skiunfall vor Gericht verhandelt werde, orientierten sich die Richter an diesen zehn Fis-Regeln. Sie seien an allen Talstationen ausgehängt.