An der Raststätte Allgäuer Tor beginnt die Verfolgung. "Wir beobachten den Durchfluss und schauen, wer infrage kommt", sagt Tanja Meier (Name geändert). Meier und ihre zwei Kollegen harren wenige Minuten aus, dann drückt einer aufs Gas. "Ausfahrt Woringen ziehen wir einen Kleintransporter." Nun muss es schnell gehen. Die drei Polizeibeamten nehmen die Verfolgung auf, schieben sich vor den weißen Transporter der Marke Volkswagen. Sofort erscheint im zivilen Polizeiauto der grellrote Signalschriftzug: "POLIZEI, FOLGEN."
Was für Außenstehende spektakulär anmutet, ist für Meier und ihre beiden Kollegen Routine. Schlepper, Drogenschmuggler, Urkundenfälscher – grenzüberschreitenden Kriminellen begegnen die Schleierfahnder der Grenzpolizeiinspektion (GPI) Lindau nahezu täglich. Dafür durchleuchten sie den Autobahnabschnitt zwischen Kempten und Memmingen, weitere Durchgangsstraßen und das Grenzgebiet zu Vorarlberg und Tirol. Die Bayerische Grenzpolizei will Präsenz zeigen und damit auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung im grenznahen Raum stärken. Ihre Arbeit ist zur Normalität geworden. Bei ihrer Neugründung im Sommer 2018 war das noch anders.
Markus Söder propagierte im Wahlkampf 2018 die "Asylwende"
Ein Rückblick: Markus Söder (CSU) war erst wenige Monate im Amt des Ministerpräsidenten, als die CSU im Sommer 2018 ihr Vorhaben im Landtag durchdrückte. Die Idee war keine neue: Bis zu ihrer Auflösung 1998 hatte es in Bayern schon mal eine eigene Grenzpolizei gegeben. Dazu muss man wissen, dass die Überwachung der deutschen Grenzen eigentlich der Bundespolizei obliegt. Wer also beispielsweise aus Österreich einreist und an der A8 bei Bad Reichenhall im Schritttempo an den stationären Kontrollpunkten vorbeirollt, sieht dort Beamtinnen und Beamte eben jener Bundespolizei stehen.
Trotzdem, Söder wollte kurz vor der Landtagswahl eine eigene bayerische Einheit neu auflegen. Es sollte ein Prestigeprojekt werden. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte die erneute Einführung mit der Zunahme der grenzüberschreitenden Kriminalität. Vor allem der Drogenhandel – die "Balkan-Mafia" – spiele wieder eine größere Rolle, sagte Herrmann damals. Priorität hatte aber etwas anderes. Söder propagierte im Wahlkampf die "Asylwende". Die Bayerische Grenzpolizei sollte mit ihren zunächst 500 Beamtinnen und Beamten die unerlaubten Einreisen entlang der rund 1200 Kilometer langen Grenze minimieren.
Für ihre Pläne sah sich die Staatsregierung mit scharfer Kritik konfrontiert. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach von einem "unerträglichen Wahlkampfgetöse auf Kosten der Bundespolizei". "Herr Söder soll gefälligst zuerst mal seine eigenen Hausaufgaben machen, bevor er mit seinen großbayerischen Visionen zur Übernahme von Bundesaufgaben die engagierte und professionelle Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen infrage stellt." Heftig polterte auch Söders heutiger Koalitionspartner und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Söders Konzept zur Einführung einer Grenzpolizei sei "ein riesiger China-Böller für den Wahlkampf", schimpfte Aiwanger. Auch er verwies auf die für die Grenzsicherung zuständige Bundespolizei. Zudem warnte er vor "Kompetenzwirrwarr" und teuren Doppelstrukturen. Aiwanger schloss seine Polemik mit einem Hinweis auf die bestehende bayerische Schleierfahndung: "Die hätten nämlich auch gern neue Autos."
Grenzpolizistin: Schlepper pferchen Migranten in fensterlose Transporter
Zurück auf die A7 zu Meier und ihren Kollegen. Nahe Woringen haben die Grenzpolizisten den weißen Transporter herausgefischt. Warum gerade diesen? "Bauchgefühl", sagt Meier. Hier habe eine wichtige Rolle gespielt, dass der Wagen hinten keinerlei Fenster eingebaut hat. Das sei typisch für Schleuserkriminalität. Die Schlepper pferchten die Migranten in ihre fensterlosen Transporter und führten sie über die Grenze. In der Hoffnung auf ein besseres Leben lieferten sich die Menschen den Schleusern aus, sagt Meier. In diesem Fall bestätigt sich der erste Verdachtsmoment aber nicht. Der Mann mittleren Alters reist allein und ist auf dem Heimweg nach Nordrhein-Westfalen.
Es kann auch anders kommen. "Ich hatte mal den Fall eines jugendlichen Asylbewerbers, den wir kurz vor Memmingen aufgegriffen haben", erzählt Meier. Dieser sei 2000 Kilometer bis aus Italien gekommen. "Keinem zuvor ist er aufgefallen." Das Ausländerrecht sei ein "äußerst komplexes Thema", sagt die Polizistin. Nach aktueller Rechtslage hat jeder, der in Deutschland ankommt und Asyl beantragt, das Recht auf die Prüfung seines Antrags. Welchen Sinn hat dann die Bayerische Grenzpolizei? "Wir schreiben zwar eine Anzeige, aber wenn jemand Asyl begehrt, geht es nicht primär um Strafverfolgung", sagt Meier. "Wir sehen uns mehr als Servicedienstleister, die illegal eingereiste Flüchtlinge ins nächstgelegene Ankerzentrum bringen." Die junge Polizeibeamtin sagt: "Diese Menschen wollen nichts Schlimmes, Flüchtlinge haben ein Recht auf eine faire Behandlung. Und so verhalten wir uns auch."
Zahl unerlaubter Einreisen nach Bayern 2023 stark gestiegen
Meier und ihre Kollegen arbeiten für die GPI Lindau, nur wenige Meter entfernt von der österreichisch-bayerischen Grenze. 2015, während der großen Flüchtlingskrise, seien über diese Route viele Asylsuchende gekommen, sagt der stellvertretende Leiter der Dienststelle, Stefan Schwab. Aktuell sei der Migrationsdruck im Bereich der GPI und der nachgeordneten Grenzpolizeistation Pfronten aber geringer als im süd-/ostbayerischen Grenzraum, so Daniela Husseneder, Leiterin der Lindauer Einheit. Der Schwerpunkt der Migrationsbewegungen sei aktuell in Niederbayern und im südlichen Oberbayern zu verorten, vor allem zwischen Burghausen und Passau.
Direkt an der Lindauer GPI führen die Beamtinnen und Beamten gelegentliche Schleierfahndungskontrollen durch. "Dabei handelt es sich nicht um vorübergehende stationäre Grenzkontrollen", sagt Husseneder. Diese sind der Bundespolizei vorbehalten. Temporäre eigenständige Grenzkontrollen könne man nur mit Zustimmung der Bundespolizei oder auf deren Anforderung durchführen, erklärt Husseneder. Das Thema ist, auch Jahre nach der Wiedereinführung, noch immer ein Politikum. Trotzdem, so betont die Lindauer Chefin, verlaufe die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei reibungslos, es gebe ein "partnerschaftliches Miteinander". Stellten die Kräfte der Grenzpolizei eine unerlaubte Einreise fest, gehe die Sachbearbeitung unverzüglich an die Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei.
Die Zahl der unerlaubten Einreisen erfuhr in den zurückliegenden Monaten bayernweit einen steilen Anstieg. Allein die Bayerische Grenzpolizei hatte im Zeitraum vom Januar bis Ende August dieses Jahres 2085 Aufgriffe – ein Plus von gut 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Bundespolizeidirektion München registrierte mehr als 17.000 weitere unerlaubte Einreisen. Bei der Schleuserkriminalität stieg die Zahl der Aufgriffe durch die Grenzpolizisten auf 154 – ein Plus von mehr als 50 Prozent. Deshalb kündigte Innenminister Herrmann kürzlich an, die Einheit weiter ausbauen zu wollen. Die Zahl der rund 850 Polizeikräfte soll bis 2028 nahezu verdoppelt werden. Ein ambitioniertes Ziel – verfehlte die Staatsregierung doch ihr Vorhaben von 2018 deutlich, die Grenzpolizei bis 2023 auf 1000 Beamtinnen und Beamte aufzustocken. Zudem soll die Einheit mit Drohnensystemen und Wärmebildkameras ausgestattet werden.
Dann nehmen die Beamten der Grenzpolizei einen roten Opel Corsa ins Visier
Dafür nimmt die Staatsregierung Millionen in die Hand. Dass Bayern damit als einziges Bundesland einen Sonderweg geht, sieht Söder nicht als Problem. Auch verfassungsrechtliche Bedenken wischt er beiseite. 2020 beschäftigte sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit der Grenzpolizei. Die Grünen hatten geklagt, weil aus deren Sicht die bayerische Einheit die Kompetenzen der Bundespolizei überginge. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs: Die Grenzpolizei ist in Teilen verfassungswidrig. Das damalige Polizeiaufgabengesetz gestattete den Beamten Befugnisse, die eigentlich nur Bundesbehörden zustünden. Seither sind die Kompetenzen wieder klarer abgesteckt. Die Bayerische Grenzpolizei beschränkt sich bis auf wenige Ausnahmen auf die Schleierfahndung.
Auf einem Rastplatz an der A96 in Richtung Lindau haben Meier und ihre Kollegen einen roten Opel Corsa mit Schweizer Kennzeichen ins Visier genommen. Warum ausgerechnet dieser und nicht der ebenfalls auf dem Rastplatz stehende Wagen aus Polen? "Bauchgefühl", sagt Meier erneut. Es sind zwei rumänische Bauarbeiter, die auf dem Weg zur Arbeit in der Schweiz sind. Mit den Papieren sei alles in Ordnung, Fahrer und Beifahrer verhielten sich aber auffällig, sie wippten, die Augen seien glasig.
In einer der Pullovertaschen auf der Beifahrerseite stoßen die Beamten auf kristallines Pulver: Crystal Meth. "Ein Seltenheitsdelikt", sagt einer der Polizisten. Normalerweise eher Richtung Tschechien oder Niederlande zu entdecken. Der Beifahrer wird sicherheitshalber in Handschellen genommen. "In diesem Fall eine Vorsichtsmaßnahme. Menschen, die Crystal Meth genommen haben, bekommen Stimmungsschwankungen. Sie können aggressiv oder depressiv werden." Nach einem Drogentest kommt heraus, dass beide Männer unter dem Einfluss der Substanzen stehen. Meier und ihre Kollegen nehmen die Drogenschmuggler schließlich mit zur GPI Lindau. Hier sind die Zuständigkeiten klar.