Missbrauch und kein Ende: Jetzt sagt Ex-Profi Gary Johnson, 2015 habe ihm der FC Chelsea 50 000 Pfund Schweigegeld bezahlt um zu verhindern, dass er an die Öffentlichkeit geht. Der Brite sagt, er sei als Jugendlicher von Chefscout Eddie Heath zwei- bis dreimal wöchentlich missbraucht worden. Inzwischen ermitteln über ein Dutzend Polizeibehörden in Großbritannien, bei denen sich schon rund 350 Opfer gemeldet haben.
Sexualisierte Gewalt im Sport ist weit verbreitet, nicht nur im Fußball und nicht nur in England. Auch im deutschen Spitzensport sind die Zahlen alarmierend: Gut ein Drittel der Athletinnen- und Athleten in den Leistungssport-Kadern sind laut einer gerade veröffentlichten Studie der Sporthochschule Köln und der Universität Ulm schon einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Rund 1800 Kaderathletinnen beteiligten sich an der Studie. Von den von sexualisierter Gewalt Betroffenen war die Mehrheit bei den ersten Erfahrungen unter 18 Jahre alt. „Das sind besorgniserregende Zahlen“, sagt Sportsoziologin Bettina Rulofs, Koordinatorin des Projekts auf Anfrage dieser Redaktion. Sexualisierte Gewalt gebe es mit und ohne Körperkontakt. Die Spanne reiche vom Cybermobbing, eindeutigen Berührungen bei Hilfestellungen, unnötige Massagen an intimen Stellen bis hin zu schwerem und andauernden sexuellen Missbrauch, von dem eine/r von neun Athlethen und Athletinnen betroffen sei.
Insgesamt sind deutlich mehr Mädchen betroffen, bei sexualisierter Gewalt ohne Körperkontakt ist der Unterschied mit 18 Prozent Mädchen und 13 Prozent Jungen geringer.
In Deutschland sind über sieben Millionen Kinder in 91 000 Sportvereinen aktiv. Aufklärung tue not, so Rulofs, denn noch immer werde das Thema beiseite geschoben. „Vor allem als Eltern darf und muss man Transparenz einfordern. Dazu gehört, auch mal beim Training dabei zu sein, genau zu erfahren, wer mit wem im Privat-PKW wohin fährt, wo genau übernachtet wird“, so Rulofs. Gemeinsames Duschen mit dem Trainer sollte ohnehin tabu sein. „Die im Sport entstehende Nähe und Bindung können ausgenutzt werden“, sagt Rulofs. Dennoch weigerten sich viele Verantwortliche, diesen Tatsachen ins Auge zu blicken. „Das Thema wird oft nicht als so relevant erachtet“, sagt Rulofs. Entweder stehe der Leistungsgedanke ganz oben und verdränge alles andere, oder kleine Verbände glaubten, sie könnten Überprüfungen im Verein finanziell und zeitlich nicht stemmen. Dabei reichten Selbstverpflichtungen oft schon aus, um für mehr Sicherheit im Verein zu sorgen. Der Bayerische Tischtennisverband etwa agiert vorbildlich.
Seine Schutzvereinbarungen dienen nicht nur dem Schutz der Kinder, sondern auch dem der Trainer bei einem falschen Verdacht. Es gilt dort: keine Einzeltrainings ohne Kontrollmöglichkeit (offene Türen), keine Privatgeschenke an Kinder, Kinder werden nicht in den Privatbereich mitgenommen. Kein gemeinsames Duschen und keine Übernachtungen im selben Zimmer. Keine Geheimnisse mit Kindern. Körperliche Kontakte zum Trösten müssen von den Kindern gewünscht sein und dürfen das pädagogisch sinnvolle Maß nicht überschreiten.
Mittlerweile haben alle Landessportbünde einen Ansprechpartner, den die Vereine bei Verdachtsfällen kontaktieren können. Bei den Tätern, so sagt der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, handele es sich nicht nur um Menschen mit sexuellen Neigungen zu Kindern, die gezielt Sportvereine aufsuchen. Auch Befriedigung durch Erniedrigung spiele eine Rolle. Rörig hat mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Vereinbarungen getroffen. Dazu gehört die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen im Breiten- und Leistungssport. „Kein Verein steht unter Generalverdacht. Die Missbrauchsfälle in England sollten aber Anlass sein, kritisch zu überprüfen, wie die Vereinbarungen im eigenen Verein umgesetzt werden.“ 2013 hatte eine von Rörig in Auftrag gegebene Studie gezeigt, dass Sportvereine bei Prävention, Verfolgung und Aufarbeitung von Missbrauch Schlusslichter sind hinter Kirchen, Schulen und Heimen.