Hunderttausende kranke und behinderte Männer und Frauen haben die Nazis umgebracht. Auch Tausende Kinder fielen dem Euthanasie-Programm zum Opfer. Der 14-jährige Augsburger Ernst Lossa gehörte dazu. Sein Leben und Sterben soll nun für das Kino verfilmt werden.
Ernst Lossa wäre in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden, erlebt hat er nicht einmal seinen 15. Geburtstag. Der Augsburger Bub gehörte der Minderheit der Jenischen an und wurde von den Nazis im Rahmen des sogenannten Euthanasie-Programms ermordet. Vor wenigen Jahren erschien Lossas Geschichte als Buch, nun soll sein Leben verfilmt werden.
Die Volksgruppe den Jenischen setzt große Hoffnungen in den Kinostreifen. „Wir versprechen uns, dass sich die Bevölkerung endlich mit der Geschichte der Jenischen beschäftigt“, sagt der Vorsitzende des Bundesrats der Jenischen Deutschlands, Timo Adam Wagner. Denn Lossas Schicksal sei kein Einzelfall für die Jenischen während der Hitler-Diktatur gewesen. „Es gab kaum eine Familie, die nicht betroffen war.“ Die Jenischen lebten laut Wagner damals überwiegend in Süddeutschland. Doch im Unterschied zu Sinti und Roma sind sie bis heute kaum bekannt. Ihr Bundesrat fordert entsprechend, dass die systematische Verfolgung durch die Nazis erforscht wird. Bislang seien nur Einzelfälle dokumentiert, sagt Wagner.
Genaue Zahlen von Opfern unter den Jenischen gebe es nicht. Der Vorsitzende schätzt, dass es damals rund 100 000 Todesopfer gab. Viele weitere seien inhaftiert oder zwangssterilisiert worden, erklärt Wagner. Auch Ernst Lossas Vater wurde verfolgt, ins Konzentrationslager Dachau gesperrt, er stirbt schließlich im KZ Flossenbürg. Ernst kommt mit seinen beiden Schwestern in ein Augsburger Kinderheim, seine Mutter stirbt in einem Krankenhaus bereits mit 23 Jahren.
Später wird der Junge in ein Nazi-Erziehungsheim gebracht, schließlich landet er in der Heil- und Pflegeanstalt in Irsee und wird – wie viele andere dort – umgebracht. Mit 14 Jahren stirbt Ernst Lossa im August 1944 durch zwei Giftspritzen.
Nach dem Krieg werden die Morde in einem Euthanasie-Prozess in Augsburg verhandelt, doch die Täter kommen mit milden Strafen davon. Vor wenigen Jahren schreibt der Autor Robert Domes die Lebensgeschichte des Buben auf. Sein Buch „Nebel im August“ wird voraussichtlich ab Ende des Jahres im Rahmen einer internationalen Produktion verfilmt. Der Streifen werde in Deutschland, Österreich und Belgien gedreht, berichtet Produzent Ulrich Limmer. Regie soll Uli Edel („Der Baader Meinhof Komplex“) führen.
Obwohl schon viele Filme den Nazi-Terror beleuchtet haben, ist Lossas Geschichte laut Limmer für das Kino Neuland: „Es wird der erste fiktionale Film über das Euthanasierungsprogramm in Deutschland sein.“ Mindestens 120 000 psychisch kranke oder behinderte Menschen haben die Nazis bis 1945 systematisch ermordet. Für Limmer ist insbesondere der Kampf des kleinen Jungen für die Gerechtigkeit faszinierend. Ernst Lossa habe gegen das unmenschliche System gekämpft. „Seine kindliche Moral stand über der Moral der Erwachsenen.“
Autor Domes hat das Thema bereits mehr als 100 Mal in ganz Deutschland bei Schullesungen vorgestellt. Die Schüler beschäftigten sich im Deutschunterricht oder in Geschichte mit dem Buch, sagt er. Er sieht Verbindungen zwischen Ernst Lossas Leben und der berühmten Geschichte von Anne Frank. „Es gibt einige Parallelen, es gibt aber auch Unterschiede.“ Beide seien 1929 geboren und etwa im gleichen Alter gestorben. Andererseits sei Frank aus einer vermögenden Familie gekommen, die Lossas seien bettelarm gewesen. In seiner Heimatstadt Augsburg war Ernst Lossa lange vergessen, das änderte sich erst im Jahr 2007. Damals wurde eine Straße in einer ehemaligen Kaserne nach ihm benannt. Dort entsteht derzeit ein neuer Kinderhort für mehr als 200 Buben und Mädchen.
Massenmord
Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten war der organisierte Massenmord an seelisch leidenden, körperlich oder geistig behinderten Menschen und an chronisch Kranken. Unter dem Begriff Euthanasie (griechisch: schöner Tod) sonderten Ärzte in Pflege- und Heilanstalten ihre Opfer als „lebensunwertes Leben“ aus. „Es war der Probelauf für den Judenmord“, schrieb der Historiker Ernst Klee. Bis zum Kriegsende 1945 fielen nach Expertenschätzungen 120 000 bis 250 000 Menschen dem Euthanasieprogramm zum Opfer. Berüchtigte zentrale Tötungsanstalten befanden sich in Brandenburg/Havel, Schloss Grafeneck, Bernburg, Hadamar, Sonnenstein und Hartheim.
Widerstand aus der Bevölkerung und aus den Kirchen sowie der Weltöffentlichkeit veranlassten Adolf Hitler, die Aktion im August 1941 zu stoppen. Doch die Morde an Behinderten gingen in den Konzentrationslagern oder bei der „wilden Euthanasie“ in Pflegeanstalten weiter. Dort experimentierten gewissenlose Mediziner mit Medikamenten und Elektroschocks. Nach dem Krieg nahmen sich einige Euthanasie-Ärzte das Leben, andere wurden verurteilt. Viele konnten untertauchen. Text: dpa