Sie sitzen aufrecht vor der Leinwand, auf der eine Stunde zuvor das Internetvideo ihres Sohnes lief. Erhan A. hatte sich selbst gefilmt, beschimpft darin minutenlang Jesiden. Rechtfertigt den Terror. Leugnet das Morden in Syrien. Nun sagt Verwaltungsrichter Nikolaus Müller, dass Erhan A., der Kemptener Islamist aus dem Video, nicht zurückkommen darf. Seine Abschiebung war rechtens.
Der 22-Jährige musste im Oktober in seine Heimat Türkei ausreisen, nachdem er in der „Süddeutschen Zeitung“ die Enthauptungen westlicher Journalisten durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gerechtfertigt hatte. Er hatte auch erklärt, sogar seine Familie umzubringen, wenn die sich gegen den IS stelle. Wortlos bewegt die Mutter des 22-Jährigen im Gerichtssaal die Lippen. Erhan A. sagt, er habe eigentlich nur für sie geklagt.
Wer ist Erhan A.? Welche Rolle hat er in Kempten gespielt, wo sich nach dem Tod seines Freundes David G. in Syrien eine islamistische Zelle mit knapp einem Dutzend Mitgliedern gebildet hatte? Erhan A. sei eine treibende Kraft gewesen, sagt der zuständige Polizist vor Gericht aus. Er habe es verstanden, andere zu beeinflussen, mitzuziehen. Während er in Kempten war, sei dort die Islamistenszene gewachsen.
Und heute? Mittlerweile habe sich die Situation entspannt, sagt der Polizist. Die Familien hätten wieder Zugang zu ihren Söhnen. Eine Mutter beispielsweise dürfe Bilder in der Wohnung aufhängen, die ihr radikalisierter Sohn noch Monate zuvor demonstrativ aus dem Fenster geworfen habe.
Die Jugendlichen gehören der Salafistenszene an. Gut 5000 dieser extrem konservativen Muslime gibt es in Deutschland. Sie berufen sich auf den Koran, legen ihn wörtlich aus, lehnen Demokratie, Fortschritt und Gleichberechtigung ab. Viele träumen davon, in einem Land unter den Regeln des islamischen Rechtssystems Scharia zu leben – notfalls unter Einsatz von Gewalt.
Auf dem Weg nach Syrien
Erhan A. wollte gar über die Türkei nach Syrien, um für den IS zu kämpfen. Es waren seine Eltern, die ihn kurz darauf aufhielten und nach Hause zurückbrachten. Entradikalisiert hat ihn das nicht. Im Gegenteil, sagt der zuständige Polizeibeamte. Erhan A. habe von zu Hause aus einen neuen Anlauf in Richtung Kriegsgebiet unternehmen wollen. Doch da lesen Polizei und Verfassungsschutz längst mit.
Nach Angaben des Gerichts ist es Erhan A. nach seiner Ausweisung schnell gelungen, beruflich Fuß zu fassen, sodass er in der Türkei leben kann. Er wohnt bei Verwandten und arbeitet für einen Milchlieferanten.
Sein Anwalt, Michael Murat Sertsöz, vertrat die Auffassung, dass eine messbare Unterstützungshandlung für eine Terrorvereinigung nicht gegeben sei. Zudem hielt er es für widersprüchlich, dass gegen Erhan A. zuerst ein Ausreiseverbot erlassen wurde, danach aber die Ausweisung erfolgte. Wie ein Vertreter der Regierung von Oberbayern sagte, sei es dabei um Gefahrenabwehr gegangen, nicht um Strafverfolgung.
Wenn er die Gelegenheit hätte, etwas aus den vergangenen zwei Jahren anders zu machen – was würde er ändern? „Nichts“, sagt Erhan A., „alles, was im Leben geschieht, ist Weisheit, und Allah bestimmt nur das Gute für uns.“