
Die Rückfallquote bei jungen Straftätern – darüber gab es bisher nur wenig aussagefähige Daten. „Aufgrund der unterschiedlichen Untersuchungsmethoden und der Tatsache, dass jeder den Begriff anders definiert hat, war es bisher ganz schwierig, mit dem Begriff Rückfall und den dementsprechend ermittelten Quoten etwas anzufangen“, erklärt Gerhard Weigand. Jetzt hat der Leiter von Bayerns größtem Jugendgefängnis, der Justizvollzugsanstalt in Ebrach, die ersten wissenschaftlich fundierten und verlässlichen Zahlen auf dem Tisch liegen – und ist vom Ergebnis absolut überrascht, im positiven Sinne.
Bei „seiner“ durchschnittlichen „Klientel“, es sind die entlassenen Häftlinge, die 21 Jahre und älter sind, liegt die Rückfallquote bei 24,3 Prozent. Das ermittelte der Kriminologische Dienst des bayerischen Justizvollzugs. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es 75 Prozent der jungen Erwachsenen im Untersuchungszeitraum von 2013/2014 gelungen ist, sich dauerhaft wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
21 Jahre und älter ist das Durchschnittsalter der zuletzt im Schnitt zwischen 280 und 290 Gefangenen in Ebrach. Dazu Gerhard Weigand: „In diesem Alter werden auch rund 90 Prozent unserer Häftlinge entlassen. Wir haben hier eigentlich nur junge Erwachsene, Jugendliche unter 18 Jahren nur ganz selten.“
Während die jüngsten männlichen Strafgegangenen im Freistaat ab 14 Jahre ihre Strafen in Laufen-Lebenau an der Grenze zu Österreich und die ab 16 Jahre in der JVA Neuburg-Herrenwörth bei Augsburg verbüßen, sitzen in Ebrach erfahrungsgemäß die ganz schweren Jungs bis 24 Jahre, vom Mörder und U-Bahn-Totschläger über den Drogendealer bis hin zum Vergewaltiger.
Konkret hatten in der „Ebracher“ Altersgruppe mit den 21 Jahren und älteren Häftlingen 17,2 Prozent der Verurteilten nach Verbüßung ihrer Haftstrafe neue Straftaten begangen. Bei dem Rest derjenigen, die als rückfällig eingestuft wurden, handelt es sich um Straftäter, die gegen Bewährungsauflagen verstießen. Das ergibt zusammen die 24,3 Prozent.
Die ersten Ergebnisse der Langzeitstudie des Kriminologischen Dienstes zeigen auch, dass es sich in den ersten beiden Jahren nach der Entlassung entscheidet, ob es die Person packt und den Weg dauerhaft zurück in die Gesellschaft findet. Denn danach sind die Aussichten statistisch zumindest gut.
Zu verdanken haben diese Fakten die drei Jugendstrafanstalten in Bayern einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006. Darin hatten die Verfassungsrichter quasi als Arbeitsauftrag festgelegt, dass sich der Jugendstrafvollzug und dessen Ausgestaltung und Umsetzung künftig am Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse orientieren müsse.
Angemahnt wurde hierzu die Erhebung aussagefähiger, auf Vergleichbarkeit angelegter Daten, die eine Ermittlung und Bewertung der Erfolge und Misserfolge des Vollzugs und hier insbesondere der Rückfallhäufigkeiten sowie die gezielte Erforschung der dafür verantwortlichen Faktoren ermöglichen. Vereinfacht ausgedrückt, geht es bei der Rückfallanalyse um die Frage: Was bewirkt der Jugendstrafvollzug?
In Bayern hat sich der an der JVA Erlangen eingerichtete Kriminologische Dienst des bayerischen Justizvollzugs ab Herbst 2012 um die von den Bundesrichtern geforderte „Evaluation“, also Auswertung, gekümmert. Gerhard Weigand: „So etwas hat es in dieser gründlichen Art zuvor noch nicht gegeben.“
Der Unterschied zu den früheren Erhebungen ist, dass diese alle auf unterschiedlichen Methoden und Begriffsdefinitionen beruhten. Meist seien es Doktoranden gewesen, die sich für ihre Doktorarbeit über ein oder zwei Jahre der Rückfall-Thematik angenommen hätten. Herausgekommen sei bei den Dissertationen und Analysen dadurch eine große Bandbreite an Quoten, „bis hin zu den 75 Prozent, die im Jugendstrafvollzug im Raum standen“, so Ebrachs Gefängnisleiter. Gerhard Weigand: „Wir haben selbst gedacht, dass das die eher zutreffenden Zahlen sind.“ Dieser Eindruck sei der subjektiven Wahrnehmung geschuldet gewesen. Weigand unterstreicht: „Gefangene, die wiederkommen, nehmen wir wahr, im Gegensatz zu den vielen anderen, die es geschafft haben.“
Der Leiter der JVA Ebrach betont: „Umso erstaunlicher finde ich deshalb das Ergebnis der Evaluation und umso überraschter bin ich.“ Dieses führe dazu, „dass wir mit einer ganz anderen Euphorie an die der Resozialisierung dienenden Arbeit herangehen.“ Anders ausgedrückt: „Man hat dadurch das Gefühl, dass das, was man macht, nicht umsonst und für die Katz ist, sondern Sinn macht.“
Das Ergebnis rechtfertige auch den enormen Aufwand, der den JVA-Mitarbeitern durch die laufende Eingabe der Daten für die komplexe und umfangreiche Untersuchung durch den Kriminologischen Dienst abverlangt werde, macht Gerhard Weigand abschließend deutlich.