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Augsburg/Heimertingen/Binswagen
Wenn Unternehmer an der Bürokratie verzweifeln
Der wuchernde Vorschriften-Dschungel verleidet Firmeninhabern vielfach die Lust an ihrer Tätigkeit. Inzwischen ist das für sie das Hauptärgernis.
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Foto: Sebastian Christoph Gollnow, dpa | Bürokratie ist eine Wachstumsbranche in Deutschland. Und vieles läuft nicht einmal digital.
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:25 Uhr

Mit Hannes Proeller über Bürokratie zu sprechen, ist eine besondere Erfahrung. Wie sehr die staatliche Regelungswut den Apotheker und Inhaber eines kleinen Augsburger Betriebs zur Herstellung homöopathischer Arzneien in seinem unternehmerischen Handeln gängelt, ist ihm auch körperlich anzumerken. Nach einem immer tieferen Eindringen in die Verordnungswut steht der 55-jährige, schlanke Mann in einem Zimmer seines Augsburger Firmensitzes auf, um über die für ihn unerträglich wirkenden Dinge mit mehr Bewegungsfreiheit zu sprechen. Er bitte um Nachsicht, müsste es aber nicht, zu haarsträubend, ja existenzgefährdend erscheinen die von ihm und seinen rund 70 Beschäftigten in dem Naturheilkundebetrieb und in den vier Apotheken zu erfüllenden Auflagen. 

Vor zwei, drei Jahren noch beklagten sich Unternehmerinnen und Unternehmer bei ähnlichen Gesprächen auch über die Auswüchse der Bürokratie, meist aber erst am Ende eines Interviews. Doch 2023 brachte eine Zeitenwende. Irgendwann im Frühling und Sommer muss es passiert sein. Wenn Wirtschaftskammern wie die schwäbische IHK die Stimmung der Mitglieder abfragten und nach den zentralen Risiken für die Unternehmen forschten, schob sich plötzlich das Ärgernis der Bürokratie vor die Belastungen durch hohe Energiepreise und den Widrigkeiten des Fachkräftemangels.

Bürokratie wird für Unternehmerinnen und Unternehmer zu einem immer größeren Problem

Wie eine Reise durch das regionale Bürokratistan zeigt, ist die Verzweiflung dermaßen groß, dass Frauen und Männer aus der Wirtschaft, die das Thema lange Verbandsvertretern überlassen haben, selbst Missstände klar benennen. Proeller etwa sieht sich und sein Unternehmertum am Scheideweg: „Ich schaue mir das noch ein Jahr an, dann entscheide ich, ob ich weitermache, meinen Homöopathie-Betrieb ins Ausland verlagere oder ganz aufhöre.“ Er habe nicht mehr so viel Kraft wie früher. Schon im Stehen meint er: „Der Schmerz ist groß bei mir. Bürokratie führt zur Blockade unternehmerischen Tuns und behindert meine Innovationskraft.“ Gerade was kleinere und mittlere Betriebe betrifft, steuert Deutschland seiner Ansicht nach auf ein Fiasko zu. 

Proeller ist eigentlich ein innovativer und risikofreudiger Mensch. 2015 übernahm er die Gudjons GmbH, zog mit dem Betrieb ins Augsburger Textilviertel und eröffnete dort eine gläserne Homöopathie-Manufaktur. Durch die Fenster kann jeder zuschauen, wie die Beschäftigten per Hand Arzneien herstellen. Dass die Firma noch kein Geld mit der Produktion verdient, führt Proeller vor allem auf die enormen Auflagen zurück: „Wir müssen hier die gleichen Bedingungen erfüllen wie ein Pharmakonzern, obwohl viele Auflagen weder die Qualität unserer Produkte verbessern noch das Risiko für den Patienten verringern.“

In seinem Handwerksbetrieb arbeiten fünf Leute in der Herstellung, und drei Mitarbeiter sind ausschließlich für die Dokumentation und das Abarbeiten von Vorschriften nötig. Wenn der Unternehmer die Geschichte mit dem Postversand seiner „Globuli-Zuckerkügelchen mit einer Information an der Oberfläche“ erzählt, schüttelt der Mann den Kopf, als könne er nicht glauben, was ihm an staatlicher Spezialbehandlung zuteilwird. Nach seinen Schilderungen muss die Firma, wenn sie Naturheilkunde-Arzneien von Augsburg etwa auf die Nordseeinsel Amrum schickt, nachweisen, dass bestimmte Temperaturen in dem Paket nicht überschritten werden. 

Proeller versteht das staatliche Misstrauen nicht, handle es sich doch bei der Fracht nicht um Impfstoffe oder komplizierte Antibiotika. Der Unternehmer belässt es nicht bei Entsetzen und Verzweiflung ob all der ihm Geld und seinen Beschäftigten Zeit kostenden Regularien. Er setzt auf Kooperation mit den Behörden und schlägt vor, in derartigen Fällen unbürokratisch eine Hochrechnung vorzunehmen: „Wenn etwas wie der Postversand von homöopathischen Produkten lange gut gegangen ist, kann man davon ausgehen, dass auch in der Zukunft keine Probleme auftauchen.“ Die Umsetzung seines Vorstoßes würde einen radikalen staatlichen Mentalitätswechsel auf deutscher wie auch in der Brüsseler EU-Bürokratiemaschine voraussetzen. An die Stelle von Misstrauen gegenüber Unternehmern müsste Vertrauen treten. Und Behörden dürften in der von dem bayerischen Apotheker erträumten besseren Wirtschaftswelt Risiken nicht immer weiter abwälzen, bis am Ende Firmeninhaber viel Geld für die Einhaltung komplizierter Vorschriften und das Engagement teurer Bürokratie-Verhaltensberater aufbringen müssen.

Permanente Absicherung und Misstrauen als Grundprinzip

Am Ende dient der Verantwortungs-Verschiebebetrieb dazu, dass, wenn wirklich einmal etwas passieren sollte, jeder von sich behaupten kann, er sei unschuldig und habe alles mit viel Geld unternommen, um Fehler zu vermeiden. Die permanente Absicherung durch die Erfüllung nicht enden wollender Dokumentationspflichten mündet in einer Formel des Schreckens. Proeller überschreibt sie mit: „Bürokratie frisst Marge.“ Die Gleichung wirkt auch im Apothekengeschäft. Wiederum waltet das Prinzip des Misstrauens. So hätten Ärzte früher etwa bei sich stark entzündenden Insektenstichen pragmatisch eine Salbe mit drei Wirkstoffen verschrieben. In so einem Präparat steckte ein Antibiotikum, ein Antimykotikum und Cortison. Das half meistens. Damals, erinnert sich der Unternehmer, habe ein Apotheker fünf Euro für die Herstellung einer solchen Salbe verdient. Jetzt müsse man für jede Rezeptur ein Dokument anlegen und nachweisen, ob das wirklich gut sei, was der Arzt verschreibt.

Proeller geht auf und ab, es arbeitet in ihm: „Wegen des Aufwands verdient ein Apotheker fast nichts mehr, wenn er eine Salbe herstellt.“ Dabei setzen ihm nicht nur die Auflagen der Aufsichtsbehörden zu, sondern auch die bürokratischen Anforderungen der gesetzlichen Krankenkassen, „die den staatlichen Vorgaben im täglichen Betrieb in der Zwischenzeit den Rang ablaufen“. Bürokratie frisst nicht nur Marge und Innovation auf, sie gefährdet Existenzen. „Man verliert die Lust, überhaupt noch etwas in Deutschland zu machen“, sagt Proeller jetzt ganz ruhig. Von seinen vier Apotheken, zwei in Augsburg und je eine im nahen Friedberg und Affing, muss er wohl zwei schließen, sollte sich nichts ändern, auch wenn er nach wie vor Lust hat, Unternehmer zu sein.

Weiß die Politik, wie schwer sie es Unternehmen mit viel Bürokratie macht?

Wenn das kein Hilfeschrei an die Verantwortlichen ist. Doch der deutsche Handwerkspräsident Jörg Dittrich hat den Eindruck gewonnen, „dass der Politik nicht bewusst ist, wie sehr Bürokratie Unternehmen abwürgt“. Kein Wunder, dass nach einer Umfrage vier von fünf ausgebildeten Handwerksmeistern angeben, sich nicht selbstständig machen zu wollen, weil sie keinen Nerv auf die ganze Regelungswut hätten. Zu rund 85 Prozent geht der Auflagen-Wust auf Brüsseler Quellen zurück. Kamen 2022 auf eine abgeschaffte EU-Regelung 3,5 neue, waren es zuletzt fast fünf. 

Andrea Thoma-Böck hat den Glauben an den politischen Willen verloren, unter dem Strich die Regelungswut einzudämmen. So ist die Unternehmerin aus Heimertingen, einem Ort nördlich von Memmingen, davon überzeugt, dass auch das vierte deutsche Bürokratieentlastungsgesetz nicht den gewünschten Erfolg erbringt, weil im Gegenzug neue Bestimmungen wie das Gebäudeenergie- und das Energieeffizienzgesetz den Regelungsberg insgesamt weiter anschwellen lassen. Thoma-Böck wirkt desillusioniert. Während der Apotheker Proeller all das manchmal nur noch im Stehen erträgt, klopft die Unternehmerin aus dem Unterallgäu gelegentlich mit dem Stift auf den Tisch, wenn sie über ihre Bürokratie-Leiden berichtet. Thoma-Böck sagt: „So geht es nicht weiter. Wir Unternehmer fühlen uns in Fesseln gelegt.“ Viele Firmeninhaber hätten keine Lust mehr. Einige wanderten ins Ausland ab, andere ließen ihre Betriebe einfach auslaufen.

Die 56-Jährige will sich weiter für den Fortbestand der Firma mit 130 Beschäftigten einsetzen. Sie und ihre Schwester haben in jungen Jahren nach dem Tod des Vaters den Betrieb Thoma Metallveredelung übernommen und sich durchgekämpft. In diesem Jahr wird die Firma 100 Jahre alt. Und viele deutsche Unternehmen, ob sie Bagger, Kräne, Flugzeug- oder Autoteile herstellen, hätten ohne den Galvanik-Spezialisten massive Probleme. Denn nur wenn metallische Bauteile mit bestimmten Oberflächenverfahren behandelt werden, rosten sie nicht und behalten langfristig ihre Materialeigenschaften. Die Auftraggeber, oft Weltmarktführer, können nicht lange warten, bis ihre Produkte eine solche Spezialbehandlung erfahren. Werden die Teile in Deutschland nicht mehr veredelt, lassen sie sich hierzulande nicht mehr herstellen. Die Arbeit kann nur schwer ins Ausland verlagert werden, weil der Transport teuer ist und die Unternehmen nicht lange auf die Oberflächenbeschichtung warten wollen. Insofern ist die Firma Thoma in einer Maschinenbauregion systemrelevant.

Bürokratie frisst wertvolle Zeit

Derlei Zusammenhänge scheinen in Brüssel nicht von Belang zu sein. Sonst, ist sich Thoma-Böck sicher, würden EU-Verantwortliche gerade mittelständischen Unternehmen, etwa mit der Europäischen Chemikalienverordnung, das Leben nicht so schwer machen. Die Firmeninhaberin muss dafür kämpfen, weiter eine spezielle Chemikalie für ein Verfahren einsetzen zu dürfen, das für den gesamten Maschinenbau von existenzieller Bedeutung ist. Denn ohne die Methode lassen sich Oberflächen von Industrieprodukten nicht behandeln. Thoma-Böck spricht schneller und etwas lauter, schnauft einmal durch: „Ich habe im vergangenen Jahr eineinhalb Monate meiner Arbeitszeit aufgebracht, um den Behörden zu belegen, dass dieses Verfahren für uns und vor allem die Bauteile der Kunden essenziell ist.“ Zudem waren 2023 noch zwei Techniker und ein externer Berater mit der Überlebensfrage für die Firma beschäftigt. Etwas genervt meint sie: „Pfingsten habe ich Tag und Nacht durchgearbeitet und meinen Mann in die Berge geschickt.“ Die Hängepartie, die nunmehr ein Jahrzehnt andauert, setzt Thoma-Böck zu und macht sie wütend: „Die Bürokarten sitzen am Schreibtisch und handeln fernab jeder Realität, ohne jegliche Expertise und mit Willkür fernab des Gleichbehandlungsgrundsatzes.“ Deutschland habe die strengsten Grenzwerte, die niedriger seien als in den restlichen EU-Staaten und bei Thoma weit unterschritten würden.

Doch längst nutzt es Betrieben wie Thoma Metallveredelung nichts, dass die Gesundheit der Beschäftigten und Verbraucher in Deutschland von Unternehmen in hohem Maße geschützt wird. Politiker und Behörden ersinnen immer neue Auflagen. Ihre Motivation dafür, das zeigt die Reise durch Bürokratistan, speist sich aus dem Antrieb, Menschen etwas Gutes zu tun, sie eben gegen möglichst viele Gefahren abzusichern. Hinzu kommt ein Grundmisstrauen gegenüber Unternehmern. So werden „die Handschellen“, wie Thoma-Böck die Auflagen nennt, fester zugezogen. Immer mehr Firmeninhaber sagten ihr: „Ich kann nicht mehr. Ich schaffe das nicht mehr.“ Es mache von Bürokraten drangsalierten Unternehmern keinen Spaß mehr, Unternehmer zu sein. Das ist neu für die Frau, die mit 21 Jahren nach einer Lehre als Bankkauffrau in den Familienbetrieb eingestiegen ist. 

Thoma-Böck hat sich auf Ursachenforschung begeben, wie es so weit kommen konnte, dass sich die Ausgaben für Dokumentationen und die Erfüllung von Vorgaben mittlerweile finanziell die Waage mit den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Unternehmen halten. Im Zuge der Fahndungsaktion landete die Unternehmerin neben „einer übergriffigen deutschen und EU-Verbotspolitik“ auch beim eigenen Berufsstand. Selbstkritisch meint sie: „Wir haben uns zu lange nicht zu Wort gemeldet und uns vom politischen Engagement, anders als noch viele unserer Eltern, zurückgezogen.“ Deshalb gebe es heute in der Politik derart wenig wirtschaftlichen Sachverstand. Thoma-Böck will nicht aufgeben. Das Unternehmen sei ihr Leben. „Das lasse ich mir nicht kaputt machen“, sagt sie und ihre Augen leuchten. Sie wolle die Firma unbedingt erhalten.

Für viele ist die ganze Bürokratie bereits zur Normalität geworden

Das mit dem Kämpfen will geübt sein und bedarf eines Bewusstseins für das Ausmaß der Probleme, wie die dritte Station des Bürokratistan-Trips offenlegt. Sie führt nach Binswangen bei Wertingen im Landkreis Dillingen zum Holzbau-Unternehmer Alexander Gumpp. Der Diplom-Ingenieur nähert sich Themen analytisch und fragte daher einige der etwa 130 Beschäftigten, was sie im Bürokratie-Land Deutschland störe. Dabei fiel dem 58-Jährigen auf: „Es sprudelte gar nicht aus den Kolleginnen und Kollegen heraus, derart gefangen sind sie im System der Regulierung, das für sie zur Normalität geworden ist.“ Diese Normalität bleibt nicht ohne Folgen. Der Nationale Normenkontrollrat, der Gesetze vorab auf ihre Bürokratiekosten abklopft, hat ermittelt, dass allein die Wirtschaft in Deutschland jährlich mit 65 Milliarden Euro unter Regelungen und Dokumentationspflichten ächzt. 

Gumpp forschte bei Beschäftigten weiter nach und erkannte: „500.000 bis 600.000 Euro jährlich gehen bei uns für die Erfüllung sinnfreier Bürokratie drauf.“ Das entspricht rund fünf Prozent des Umsatzes der Firma, die auch mehrgeschossige Häuser und Kirchen aus Holz baut. Der Unternehmer ist überzeugt, es würde keinem auffallen, wenn all die sinnbefreiten, aber in der Summe teuren Vorschriften wegfielen. Gumpp hat eine lange Liste solcher Regelungen erarbeitet. Er ist ein gelassener Mensch. Sein Befremden über den Bürokratie-Wust äußert sich nicht so offensichtlich wie bei Apotheker Proeller und Galvanik-Unternehmerin Thoma-Böck. Erstaunen und Missfallen über all die Regelungs-Daumenschrauben zeigt er durch ein Schmunzeln, in das sich ein Hauch Entsetzen mischt. Der Unternehmer erzählt, wie bis Juni 2023 ein bestehendes Baugebiet dank eines vereinfachten Verfahrens unkompliziert um einige Plätze erweitert werden konnte. Nach einer Regelung aus Brüssel gehe das nicht mehr: „Nun dauert es zwei bis drei Jahre, wenn es schnell geht, schließlich muss das Verfahren komplett neu aufgerollt werden.“ Irgendjemand habe gegen die alte, unkomplizierte Methode geklagt. Wie es halt so geht in der Misstrauens- und Missgunst-Republik Deutschland. 

Bürokratie verzögert den dringend benötigten Bau von Wohnraum. „Und die Regelungswut macht Bauen teurer“, beklagt der Praktiker. Kostensteigerungen ergeben sich seiner Erfahrung nach aus den Tücken des öffentlichen Ausschreibungsverfahrens: „Denn wir müssen die Unterlagen so ausfüllen, wie das vorgegeben ist.“ Veränderungen seien nicht zulässig, selbst wenn die Angaben Normen widersprechen. Gumpp und seine Mitarbeiter müssen im Bewusstsein, dass eine behördliche Vorgabe etwa dem Brandschutz widerspricht, dennoch die bürokratischen Vorgaben erfüllen. Da sie wissen, dass sich eine solche Bestimmung nicht umsetzen lässt, ja man so nicht bauen darf, schreiben betroffene Firmen oft nur einen sehr niedrigen Betrag in die Dokumente. Am Ende muss jedoch umgeplant werden. Der Arbeitsschritt wird teurer. Gumpp kritisiert: „Das Vergaberecht ist in hohem Maße an Baukostensteigerungen bei öffentlichen Projekten schuld.“ 

Die Reise nach Binswangen zahlt sich aus. Es wird klarer, warum Riesenprojekte wie die Elbphilharmonie in Hamburg um derart viele 100 Millionen Euro teurer als angesetzt wurden. Gumpp hat gelernt: „Projekte, die einmal aus dem Ruder gelaufen sind, fängt man nicht mehr ein.“ Dass die Bürokratie aus dem Ruder gelaufen ist, verursacht einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden. Für den Unternehmer steht fest, dass „wir ohne so viele Vorschriften mehr bauen könnten, weil dadurch Beschäftigte deutlich Zeit gewinnen würden“. Wie fragwürdig Regelungen oft sind, zeigt sich für Gumpp wiederum am öffentlichen Vergaberecht. Hier müssten die Firmen die Qualifikationen der Mitarbeiter, die auf Baustellen arbeiten, angeben, also etwa das Abschlusszeugnis des Projektleiters beilegen. Das läuft nach Einschätzung des Unternehmers der Datenschutz-Grundverordnung zuwider. Gumpp lächelt: „Eine bürokratische Auflage widerspricht der anderen.“ 

Bürokratistan, dieses kafkaeske Land, ist auch ein Absurdistan, sonst gäbe es nicht 16 Landesbauordnungen in Deutschland. Am Ende bleibt nach der Reise durch das Regelungs-Dickicht die Frage, wie es so weit kommen konnte, ist doch schon so lange das Bewusstsein in Politik und Wirtschaft vorhanden, wie sehr der Zustand die Wirtschaft lähmt. Und hat nicht Edmund Stoiber nach seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident über viele Jahre auf EU-Ebene als Anti-Bürokratie-Beauftragter fleißig gewirkt? Sein Optimismus von 2015, trotz gelegentlicher Rückfälle sei ein „grundsätzlich neues Denken“ in Brüssel eingekehrt, seine Arbeit sei also getan, sollte sich nicht bewahrheiten. Dass es zu permanenten Rückfällen kommt, sei auch der wachsenden Schar an Lobbyisten zu verdanken, glaubt Holzbau-Unternehmer Gumpp. Ob auf EU- oder nationaler Ebene wirkten sie bei Gesetzen tatkräftig mit, um die Interessen ihrer Branchen und Verbände durchzusetzen. Letztlich fördern damit selbst Wirtschaftsvertreter die Bürokratie. Zumindest boomt nach wie vor die Branche der Berater und Trainer, die erfolgreich verzweifelten Unternehmern ihre Dienste zur Erfüllung der Regelungspflichten anbieten. 

Warum haben Unternehmer in den vergangenen Jahren nicht entschiedener Widerstand gegen die Verwandlung Deutschlands in eine Bürokratie-Republik geleistet? Weshalb gehen sie erst jetzt wie in Ulm mit Beschäftigten auf die Straße, um gegen die Überforderung zu demonstrieren? Für Thoma-Böck, die Galvanik-Unternehmerin aus dem Unterallgäu, könnte das daran liegen, „dass es unseren Firmen lange so gut ging und die Schmerzen nicht zu groß waren“. Doch die Deindustrialisierung hat begonnen. Schmerzen werden nicht mehr unterdrückt. 

 
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