
"Ganz Bayern hasst die AfD": Dieser Ruf war in den vergangenen Wochen immer wieder bei den bayernweiten Demonstrationen gegen rechte Umtriebe und Demokratiefeindlichkeit zu hören. Dass das nicht stimmt, zeigen regelmäßige Umfragen zur Parteipräferenz unter den Menschen im Freistaat – und die Ergebnisse der Landtagswahl. Die AfD brachte es auf 14,6 Prozent der Gesamtstimmen. Besonders gut abgeschnitten hat die selbst ernannte "Alternative" vor allem in der Oberpfalz und Niederbayern, doch auch in Schwaben lag ihr Gesamtergebnis über dem Schnitt.
Die AfD-Hochburgen liegen größtenteils im Unterallgäu, darunter Oberrieden bei Mindelheim. Die AfD wurde dort stärkste Kraft, jeder Dritte hat die Rechtspopulisten gewählt. Nirgendwo in Schwaben waren es mehr. Auch im Kreis Dillingen näherte sich die AfD in mehreren Gemeinden den 30 Prozent. In Günzburg schaffte sie es landkreisweit auf 23 Prozent. Geht es rein nach den Wahlergebnissen, sind die Landkreise Unterallgäu, Günzburg und Dillingen die rechten Hochburgen Schwabens.
Kenner der Szene führen die Ergebnisse unter anderem auf die jeweiligen Direktkandidaten der Partei zurück. Das ist vor allem beim Vergleich des Unterallgäus mit dem Stimmkreis Günzburg spannend. Während in letzterem mit Gerd Mannes einer der letzten gemäßigten AfDler für den Landtag kandidierte, stand im Stimmkreis Memmingen mit Christoph Maier einer der radikalsten im Landtag als Direktbewerber auf der Liste. Beide scheinen bei den Wählerinnen und Wählern verfangen zu haben. Mannes selbst sagte im Herbst, er wolle nicht aus Protest, sondern aus Vertrauen gewählt werden. Mit 24,4 Prozent Erststimmenanteil wurde Mannes zum bayernweiten Stimmenkönig seiner Partei.
Das Unterallgäu "ist ein Zentrum rechter Aktivitäten"
Der Unterallgäuer Christoph Maier hingegen gilt als Anhänger von Björn Höckes "Flügel". 2018 zog der 39-Jährige erstmals in den Landtag ein. Auch ihm gelang es, eine bestimmte Klientel zu aktivieren. Sebastian Lipp, Chefredakteur des Dokumentationsportals Allgäu rechtsaußen beobachtet Maier genau. "Die Tatsache, dass extreme Rechte wie er im Landtag sitzen können, legitimiert und normalisiert das Gedankengut auch für die Normalbevölkerung", sagt er. Rechtsextreme Sprache und Ideen verlieren ihre Schrecken, je selbstverständlicher sie verwendet werden. Und das gelingt im Unterallgäu offensichtlich besonders gut.
So weit wie Mannes und Höcke auseinanderliegen, so breit ist auch das Spektrum zwischen rechts und rechtsextrem. Nicht jeder Wähler der AfD ist rechtsextrem – und doch gibt es unbestreitbare Überschneidungen im Gedankengut. AfD-Politiker wie Franz Schmid aus Babenhausen (Unterallgäu) zeigen sich ungeniert mit Mitgliedern der völkischen Identitären Bewegung. Inwieweit radikal rechte Tendenzen in den schwäbischen AfD-Hotspots auch in die Gesellschaft eingesickert sind, untersucht Extremismus-Experte Sebastian Lipp. Hier lohnt vor allem ein Blick ins Unterallgäu und nach Dillingen.
Lipp legt in seinen Analysen einen Schwerpunkt aufs Allgäu – und kennt die Strukturen dort seit Jahren. Vor allem das Unterallgäu sei "ein Zentrum rechter Aktivitäten", erklärt er. "Die extreme Rechte ist dort besonders gut organisiert, kann auf bestehende Strukturen zurückgreifen und dadurch schnell Protestformen auf die Beine stellen. Sie sind da, wenn sich die Gelegenheit bietet."
Bei den Bauernprotesten versuchten rechte Kräfte, Einfluss zu gewinnen
Schon weit vor Corona seien Kräfte wie die AfD, Neonazi-Vereinigungen oder die Querdenken-Bewegung dort gut organisiert gewesen. "Einzelne Themen sind für rechtsradikale Organisationen nur Anlässe, um neues Potenzial zu erschließen", erklärt Lipp. "Ihnen geht es um einen Umsturz der Verhältnisse. Indem sie Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen veranstalteten oder sich jetzt mit den Bauernprotesten gemein machen, erreichen diese Kräfte neue Leute", sagt Lipp. In Telegram-Gruppen, in denen sich einst die "Spaziergänger" gegen die Coronamaßnahmen organisierten, werden heute Bauernproteste und die AfD beworben. Im Hintergrund spielen auch Rechtsextreme eine Rolle: Auffällig oft tauchten Videos von "Spaziergängen" im Unterallgäu etwa auf dem Telegram-Kanal des Schweizer Rechtsradikalen Ignaz Bearth auf, der sie auch bewarb. Wie sehr sich die Gruppierungen im Allgäu vermischen, zeigte sich jüngst bei den Bauernprotesten in Kempten, organisiert von einem Landwirt, der selbst als AfD-Kreisrat fungiert. Neben Bauern liefen laut Polizei auch Corona-"Spaziergänger" und Mitglieder der Querdenken-Bewegung mit, die zuletzt teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.
Einer, der die Bauernschaft im Allgäu gut einschätzen kann, sagt: "So manchem Landwirt ist erst vor Ort klar geworden, wem er sich da angeschlossen hat." Auch bei anderen Demos, die die Landwirte aus Wut über die Kürzungspläne der Ampelregierung organisierten, hätten rechte Kräfte versucht, Einfluss zu gewinnen – in der Regel allerdings ohne Erfolg. Der Bauernverband achte etwa penibel darauf, sich von Rechten abzugrenzen – gerade, seit die Gefahr einer möglichen Unterwanderung der Bauernproteste thematisiert wurde.
Alex Eder, Landrat im Unterallgäu, tut sich schwer, das Ausmaß rechter Umtriebe einzuordnen. "Ich kann aus meiner Warte nicht beurteilen, wie gut rechtsextreme Organisationen im Unterallgäu organisiert sind. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass eine rechtsextreme Gesinnung sich verbreitet, wenn es in einer Gemeinde umtriebige Menschen mit dieser Sichtweise gibt." Ähnliches hatte der Bürgermeister der AfD-Hochburg Oberrieden (Stimmkreis Kaufbeuren) nach der Wahl unserer Redaktion gesagt. In den Vereinen etwa gebe es einige Ältere mit rechter Gesinnung, die als Multiplikatoren aufträten.
Bei Protestveranstaltungen falle ihm auf, sagt Landrat Eder, "dass die Themen immer mehr vermischt werden. Es gibt Leute, die einfach grundsätzlich unzufrieden sind und dann beinahe themenunabhängig bei jeder Demo ihre Fahne schwenken." Es sei völlig legitim, dass man gegen das Heizungsgesetz auf die Straße gehe oder gegen den Kurs der Ampelregierung bei der Migration. "Ich finde, dass man diese Leute inhaltlich erreichen muss, ihre Sorgen ernst nehmen und sie nicht in die Schmuddelecke stellen. Aber dass diese Proteste in ein extremistisches Milieu abgleiten, das will keiner."
Auch der Landkreis Dillingen stand in den vergangenen Jahren wegen rechter Umtriebe im Fokus. Zeitweise beobachtete der Verfassungsschutz ein rechtsextremes Netzwerk, das einen Blog betrieb und sich als Sprachrohr der Menschen gerierte. Laut Verfassungsschutz folgten die Mitglieder dem Muster, ihre rechtsextremistischen Grundpositionen zu verschleiern und für breitere Bevölkerungsschichten anschlussfähig zu werden. Auch während der Proteste gegen die Coronaschutzmaßnahmen registrierten die Behörden, dass Demokratiefeinde die Demonstrationen teils unterwandert hatten. Das geht aus einer Anfrage der Grünen an die Staatsregierung hervor. Allein im Jahr 2021 tauchten demnach "Rechtsextremisten, Reichsbürger oder Personen, die dem Sammel-Beobachtungsobjekt sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen zugeordnet werden" auf mindestens 19 Demonstrationen in Dillingen auf, teils waren es rund 200 dieser mindestens fragwürdigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Kein anderer schwäbischer Landkreis ist öfter registriert.