Das Treffen in Dasing an einem Samstag im November fiel auf den Faschingsbeginn. Lustig und bunt war die Zusammenkunft der rechtsextremistischen Identitären Bewegung in einer Halle im Landkreis Aichach-Friedberg am 11. 11. zumindest aus demokratischer Sicht aber nicht. Der österreichische Postfaschist Martin Sellner habe dort sein Konzept für die „Remigration“ von Ausländern sowie deutschen Staatsbürgern mit „ausländischen Wurzeln“ aus Deutschland vor eigenen Anhängern und AfD-Mitgliedern beworben – davon geht jedenfalls der bayerische Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner im Interview mit unserer Redaktion aus.
Auf Nachfrage bestätigte ein Sprecher des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, dass ein Post in den sozialen Medien Sellner als Redner bei der "der Identitären Bewegung" zurechenbaren Veranstaltung in Dasing zeigt. Und auch zwei Landtagsabgeordnete der AfD nahmen an dem geheimen Treffen teil. Dies müsse laut Verfassungsschutz aus einem weiteren Internetbeitrag "am gleichen Tag am gleichen Veranstaltungsort" geschlussfolgert werden. Nach Recherchen unserer Redaktion handelt es sich dabei um die umstrittenen Abgeordneten Franz Schmid (Neu-Ulm)und Daniel Halemba (Unterfranken). Sie sind beide auf einem Foto in sozialen Medien bei dem Treffen zu sehen.
Schmid hatte erst neulich Schlagzeilen gemacht, als er im Zusammenhang mit dem AfD-Parteitag in Greding mit anderen AfD-Leuten eine Disko besuchte. Die Gruppe skandierte, wie auf einem Video zu sehen und zu hören ist, "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Schmid bestritt, diese Parole gegrölt zu haben. Der unterfränkische AfD-Abgeordnete Daniel Halemba war vor der Landtagswahl per Haftbefehl gesucht worden. Gegen ihn ermittelt die Würzburger Staatsanwaltschaft unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Halemba bestreitet die Vorwürfe. Die AfD will Halemba offiziell loswerden. Sie hat offenbar ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn gestartet. Der 22-Jährige hat seine Parteiämter niedergelegt, sein Mandat aber behalten.
Geheimtreffen: Rechtsextremist Sellner begeistert von der Veranstaltung in Dasing
Die Veranstaltung in Dasing mit verkehrsgünstiger Lage am Schnittpunkt von A8 und B300 fand genau zwei Wochen vor dem Rechtsextremisten-Treffen mit Sellner in Potsdam statt, das in diesen Wochen Millionen Menschen in Deutschland zu Demonstrationen gegen rechts auf die Straßen bringt. Dort redete Sellner mit AfD-Politikern und Unternehmern über einen "Masterplan" zur Migrationspolitik.
Sellner selbst spricht in einem Video auf einer sozialen Plattform mit Eintrag vom 11. November, das offenbar während einer Autofahrt nach der Veranstaltung aufgenommen worden ist, geradezu euphorisch von einem "Schwaben-Kongress, Raum Augsburg". Es sei eine "großartige Veranstaltung" gewesen, in einer "vollen Halle, 60+, junge Leute, vor allem junge Leute Parteivorfeld, Gegenkultur-vereint". Dort habe es Phalanx-Stände (Symbol der Bewegung) gegeben, sogar ein "rechtes Kinderbuch" sei vorgestellt worden. Er habe einen Vortrag gehalten und ein Supercut (Montage von kurzen Videoclips) aller Aktionen der Identitären Bewegung in diesem Jahr mit "guter Techno-Musik-Untermalung" sei gezeigt worden. Er sei gerade "voll motiviert" angesichts einer "Aktivismus-Renaissance", die er selber "fast ein bisschen herbeigeschrieben" habe, sagt der Rechtsextremist begeistert. "Der Staffelstab ist weitergegeben und ich bin stolz auf die junge Generation ... Das war genial", endet der Vordenker der Identitären Bewegung.
AfD-naher Aktivist Erik Ahrens forderte Zwangsabgabe von Eizellen in Dasing
Und Sellner war nicht der einzige bekannte Redner aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Der als AfD-nah geltende Aktivist Erik Ahrens hat laut Sellner ebenfalls in Dasing gesprochen. Ahrens, Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Maximilian Krah, hatte im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, als er in einem Post auf X (vormals Twitter) die Musterung von Frauen forderte – und bei Eignung die Zwangsabgabe von Eizellen, "um die Demografie zu stabilisieren". Eine Idee, die an nationalsozialistische Rassenideologie erinnert. Ahrens hat sich vergangene Woche in einem neuen Post von der Aussage distanziert.
In Dasing selbst sind die Neofaschisten offenbar nicht aufgefallen. Der Dasinger Bürgermeister Andreas Wiesner hat jedenfalls nichts mitbekommen, auch nicht im Nachhinein. Von unserer Redaktion befragte führende AfD-Mitglieder aus der Region wie Paul Traxl (AfD-Kreisvorsitzender und Kreisrat) wollten keine Stellungnahme abgeben, ob sie von dem besagten Treffen in Dasing wussten oder teilgenommen haben.
Rainer Kraft (AfD-Bundestagsabgeordneter und Landesgruppensprecher aus Langweid) oder Josef Settele (AfD-Fraktionschef im Kreistag) gaben an, dass sie keine Kenntnis davon hatten. Das sagte zunächst auch Simon Kuchlbauer (Kreisrat und wissenschaftlicher Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion). Am Abend nahm der im Herbst als Landtagskandidat im Stimmkreis Aichach-Friedberg angetretene AfD-Politiker (15,8 Prozent) dann so Stellung: "Nach meinem Kenntnisstand handelte es sich nicht um eine Veranstaltung der Identitären Bewegung, sondern um eine Veranstaltung junger Aktivisten, die unter anderem auch Martin Sellner eingeladen hatten. Ich war auch anwesend und konnte mir so persönlich ein Bild machen. Dies gehört zu meinen Aufgaben als Kreisrat."
Identitäre Bewegung ist vor allem in Schwaben und Franken aktiv
Laut Recherchen des Investigativ-Portals Correctiv war der 35-jährige Sellner, führender Kopf der Identitären Bewegung, am 25. November Vortragender bei einem Geheimtreffen in Potsdam von Rechtsextremisten. Teilnehmer waren unter anderem AfD-Politiker und mindestens ein CDU-Mitglied, gegen das ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet wurde, sowie Mitglieder der sehr konservativen WerteUnion. Agitator Martin Sellner, dem in Deutschland mittlerweile ein Einreiseverbot droht, sprach nach eigenen Angaben über „Remigration“. Wenn Rechtsextremisten diesen Begriff verwenden, meinen sie in der Regel damit, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land zwangsweise verlassen muss, also Vertreibung.
Der ideologische Kern der „Identitären“, die Politikwissenschaftler als neofaschistisch einstufen, ist ein Strategiewechsel: Anstatt wie die „alten“ Neonazis auf Holocaust-Verharmlosung und offene Sympathien für den NS-Staat setzt die sogenannte „Neue Rechte“ vor allem auf die Vordenker der Nazis und eine Strömung aus der Zeit der Weimarer Republik bis 1933, die „konservative Revolution“. In Bayern gliedert sich die Identitäre Bewegung (IB) nach Angaben des Verfassungsschutzes im Freistaat nicht nach Regierungsbezirken, sondern nach vermeintlichen „Volksgrenzen“. Es existierten die drei Gruppierungen IB Bayern, IB Schwaben und IB Franken - alle drei Ableger seien aktiv.
Nach Rauchkörpern vor einer Asylunterkunft gab es Festnahmen bei Dasing
Der Landkreis Aichach-Friedberg ist kein Brennpunkt für rechtsextreme Vorfälle, aber auch kein unbeschriebenes Blatt. Aktionen der IB gab es in der Vergangenheit vor allem in Mering. Die AfD im Kreis gilt als eine Hochburg des rechtsnationalen Flügels der Partei. Kreisvorsitzender Paul Traxl war bis zur offiziellen Auflösung vor drei Jahren Obmann in Bayern. Diese Gruppierung gibt mittlerweile in den meisten Bundesländern den Ton an. Vor der Landtagswahl im Oktober wollte die AfD den Rechtsaußen Björn Höcke, Kopf des Flügels, aus Thüringen zu einer Kundgebung in den Landkreis holen. Nach Ankündigung von Gegenprotesten und wegen "hoher Auflagen des Landratsamtes", so die AfD damals, wurde der Auftritt des umstrittensten Politikers Deutschlands auf dem Aichacher Volksfestplatz abgesagt.
Im Spätsommer teilte die Polizei mit, dass eine Aktion zu Jahresbeginn 2023 mit Rauchkörpern vor einer Asylunterkunft gleich hinter der Grenze des Wittelsbacher Landes in Peutenhausen (Gachenbach, Kreis Neuburg-Schrobenhausen) mehreren Angehörigen der Identitären Bewegung zuzuordnen ist. Nach Hausdurchsuchungen in Oberbayern und Schwaben sowie Baden-Württemberg und drei Schweizer Kantonen werfen die Ermittler sieben Männern und einer Frau unter anderem Volksverhetzung und Nötigung vor. Sechs teils vermummte Personen entrollten ein großes Transparent und zündeten Rauchkörper. Sie sollen die Aktion auch gefilmt haben. Die Tatverdächtigen sollen zwischen 20 und 33 Jahre alt sein. Drei Männer waren damals vorläufig festgenommen worden, die Polizei hatte sie auf einem Rastplatz bei Dasing aufgegriffen.