Zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag und Dreikönig heißen die Nächte „Rauhnächte“. Eine Zeit, in der – dem alten Volksglauben nach – Geister ihr Unwesen treiben, aber auch eine Zeit des Reinigens und Neuanfangs. Dazu gehören viele Bräuche – so wie das Räuchern, allgäuerisch „Üsrichre“. Es soll böse Geister vertreiben, Häuser und Ställe reinigen sowie Mensch und Vieh im neuen Jahr vor Unwetter und Gefahr schützen.
In den zwölf Nächten rund um den Jahreswechsel war nach einer alten Volkssage das „wilde Heer des Wuetes“ unterwegs, das „wilde Gejaid“. Handelt es sich dabei tatsächlich um die Überlieferung zu Wotans Heer, dann könnte sie aus der Zeit der Besiedelung des Allgäus durch die Alemannen stammen. Mit Sicherheit sind diese Nächte ein Überrest aus der Zeit des vorchristlichen Mittwinterfestes und Totenkultes.
Rauhnächte: Das Heer Wotans zieht durch die Nacht
Nach dem Volksmund soll dabei das Heer verstorbener Seelen und anderer geisterhafter Erscheinungen unterwegs gewesen sein. Sie und ihr Sturm rüttelten an den Fensterläden und Türen und versetzten die Menschen in Furcht und Schrecken. Die vornehmste dieser Nächte war die Christnacht, in der angeblich sogar Kühe und Pferde reden konnten und der Ochs und der Esel an der Krippe einen Diskurs anfingen.
Auch heute noch werden die „Rauhnächte“ mit esoterischen Aspekten in Verbindung gebracht und es wird zum Räuchern eingeladen. Ein Brauch, den schon früh die katholische Kirche übernommen hat. Bis in die Mitte der 1950er Jahre vollzogen die Patres des Immenstädter Kapuzinerklosters St. Joseph gegen einen geringen Geldbetrag das Weihen und Ausräuchern der Behausungen und Viehställe.
Brauch im Oberallgäu: Mit einem glühenden Kohlestück
Es wurde in der Regel so verfahren, dass aus dem Herdfeuer ein glühendes Kohlestück auf eine Schaufel gelegt wurde. Der Mönch brachte aus dem Kloster den Weihrauch mit und streute ihn darüber. Dann zog man betend und singend durch die Räume und „räucherte“ diese, wobei die Kohlenschaufel stark bewegt wurde.
In den Wohnzimmern war dies wegen der Feuersgefahr besonders kritisch, weil dort meist noch der trockene Christbaum stand, der damals in der Regel eine einfache Allgäuer Fichte war. Manchmal hatte der Mönch auch ein Rauchfässle dabei, dann entfiel die Sache mit der Kohlenschaufel. Der Pater führte zusätzlich Weihwasserkessel und Wedel mit, mittels denen die Räume auch noch einen mehr oder weniger „feuchten“ Segen erhielten.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass meine Großmutter ins Wohnzimmer kam und auf einer Schaufel eine glühende Kohle aus dem Kachelofen zum „Üsrichre“ holte: „D’r Kapuziner isch scho do.“ Und dann ging es durch die Zimmer der Wohnung mit Rauch, Beten und Gesang. Oft wollte der Pater gar nicht mehr aufhören mit dem Beten. Der Pater erhielt dann von der Großmutter einen kleinen finanziellen Beitrag für seine Bemühungen und die Wohnung war für das kommende Jahr geweiht und angeblich von allem Unglück befreit.
Räuchern wird auch heute noch praktiziert
Das ging solange, bis sich die Kapuziner-Patres aus personellen Gründen nicht mehr in der Lage sahen, alle Räucherwünsche in der Stadt zu befriedigen. Vielleicht hat auch eine gewisse Glaubensmüdigkeit dazu beigetragen. Heutzutage lässt sich das Räuchern als solches hervorragend mit esoterischem Gedankengut verbinden und ist dann einer gewissen Mystik wesentlich näher als dem kirchlich geprägten Brauchtum.