Seit Wochen gehen Millionen von Menschen in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Während die Frage nach der Gefahr des Rechtsextremismus verstärkt in den Fokus rückt, betonen einige Politikerinnen und Politiker, dass auch der Linksextremismus beachtet werden muss. Ist es angemessen, die beiden Extreme gleichzubehandeln?
Zahlen des bayerischen Verfassungsschutzes deuten darauf hin, dass in Bayern die linksextreme Szene größer ist als die rechtsextreme. Etwa 3200 Menschen – 880 davon gelten als gewaltorientiert – lassen sich dem Linksextremismus zuordnen. Etwa 2650 Menschen werden der rechtsextremen Szene zugeordnet. Mit 1070 Menschen ist hier der Anteil von gewaltorientierten Anhängern höher.
Das erhöhte Gewaltpotenzial zeigt sich in der Verteilung der Straftaten, die in Bayern von extremistischen Gruppierungen verübt werden. Jedes Jahr werden mehr Straftaten von rechtsextremistischen als von linksextremistischen Akteuren begangen. 2022 etwa wurden insgesamt 1151 Straftaten extremistischen Szenen zugeordnet. Knapp ein Drittel davon wurde von Linksextremisten begangen. Sachbeschädigungen machten, wie in den vergangenen Jahren auch, den größten Teil aus. Auch Straftaten gegen andere Menschen wurden begangen. So wurden neun Fälle von Körperverletzung und zwölf Fälle von gefährlicher Körperverletzung registriert.
Von rechtsextremer Seite machte von 787 nachweislich begangenen Straftaten das sogenannte "Verwenden von verfassungsfeindlichen Kennzeichen" den größten Teil aus. Dazu gehört unter anderem das Zeigen des Hitlergrußes. In 190 Fällen kam es zu Volksverhetzung. 2022 wurden in Bayern 14 Fälle von Körperverletzung und sechs Fälle von gefährlicher Körperverletzung registriert. Außerdem kam es zu einem Mord, der der rechtsextremen Szene zugeordnet wird. In den Jahren davor war die Zahl der Körperverletzungsdelikte im rechtsextremen Spektrum deutlich höher als auf linksextremer Seite.
Sowohl Linksextremismus als auch Rechtsextremismus sind gefährlich
"Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit geht von beiden Extremen aus", sagt Jürgen P. Lang, Extremismusforscher aus München. Einen speziell bayerischen Extremismus gebe es nicht. Beim Linksextremismus etwa liege der Schwerpunkt in Städten wie Leipzig oder Hamburg. Rechtsextremismus in Bayern konzentriert sich laut Lang hauptsächlich auf die AfD. So sei die bayerische AfD ein Beispiel für die Radikalisierung der Partei, die man sonst eher im Osten Deutschlands vermuten würde. "Die verbliebenen gemäßigten Kräfte werden immer weiter an den Rand gedrängt. Aktuell sind es die radikaleren Kräfte, die die Macht im Bayerischen Landtag haben", sagt Lang. Zur bayerischen AfD-Fraktion gehören etwa die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner, die Björn Höcke, dem rechtsextremen Vorsitzenden der AfD in Thüringen, nahesteht, sowie Daniel Halemba, gegen den aktuell wegen Volksverhetzung ermittelt wird.
Ein Beispiel für Linksextremismus in Bayern ist eine Bewegung, die sich gegen Gentrifizierung, also die Verdrängung Status-niedriger Haushalte, wendet. "In München fallen die Linksextremisten vor allem durch Sprühaktionen in betroffenen Vierteln auf", sagt Extremismusforscher Lang. Es handle sich insgesamt vermehrt um Aktionen von Kleingruppen. "Innerhalb des Linksextremismus gibt es immer mehr Aufspaltungen", meint Lang.
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Extremen ist die mediale Präsenz. Wer im Internet auf Spurensuche geht, findet ein deutliches Ungleichgewicht. Während die Anfrage "Rechtsextremismus Bayern" 2,6 Millionen Ergebnisse anzeigt, sind es bei dem Suchbegriff "Linksextremismus Bayern" nur 116.000 Ergebnisse. Diesen Unterschied erklärt Jürgen P. Lang so: "Zum einen ergibt sich der Fokus auf den Rechtsextremismus durch die deutsche Nazi-Vergangenheit. Zum anderen weist der Linksextremismus im Vergleich gewissermaßen ein moralisches Plus auf", sagt Lang. So gebe der Linksextremismus vor, gegen Ungerechtigkeiten in der Welt vorzugehen. "Dagegen wäre erst mal nichts einzuwenden. Die Frage ist, mit welchen Mitteln wird das dann umgesetzt", meint der 59-Jährige.
Der Rechtsextremismus hingegen fuße auf Ideologien, die die Ungleichheiten von Menschen in den Mittelpunkt stellen, wie sich auch an der Idee der "Remigration" zeige. "Rechtsextremisten stellen sich gegen alles, was mit universellen Menschenrechten zu tun hat", sagt Lang. Die Vorstellung, dass alle Menschen gleichwertig sind, werde als Propaganda dargestellt. Was die aktuelle Entwicklung betrifft, gibt der Extremismusforscher eine klare Einschätzung: "Aktuell ist der Rechtsextremismus gefährlicher als der Linksextremismus."