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AUGSBURG
Prozessauftakt: Der Fall des Georg Schmid
Justiz: Die Miene ist versteinert. Er starrt geradeaus. Und er schweigt. Wer zum Prozessauftakt eine Erklärung des einstigen CSU-Stimmenkönigs erwartet hat, wird enttäuscht. Nur sein Anwalt spricht – auch von der Existenzangst der Familie Schmid.
Medienandrang beim Prozess gegen Georg Schmid: Rechts warten Schmid und sein Verteidiger Nikolaus Fackler auf den Beginn der Verhandlung. Das Bild ist durch ein Weitwinkelobjektiv verzerrt.
Foto: Peter Kneffel, dpa | Medienandrang beim Prozess gegen Georg Schmid: Rechts warten Schmid und sein Verteidiger Nikolaus Fackler auf den Beginn der Verhandlung. Das Bild ist durch ein Weitwinkelobjektiv verzerrt.
reda
 |  aktualisiert: 03.03.2015 09:58 Uhr

Fast zehn Minuten steht Georg Schmid schon im Gerichtssaal. Dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Seine Miene ist versteinert, er faltet die Hände. Schmid starrt geradeaus, wirkt angespannt. Mehr als ein Dutzend Kameras sind auf ihn gerichtet. Es dürfte der schlimmste Tag im Leben des früheren CSU-Fraktionschefs aus Donauwörth sein. Einst war er der mächtigste Politiker aus Schwaben. Er warf sogar ein Auge auf den Posten des Ministerpräsidenten. Doch die Zeiten sind vorbei. Am Montag ist der Jurist Georg Schmid nur noch ein normaler Angeklagter und wird wie jeder andere am Eingang des Augsburger Strafjustizzentrums auf Waffen hin durchsucht.

Eine Gruppe älterer Männer sorgt laut lachend für Stammtischatmosphäre, als das Schöffengericht mit dem Vorsitzenden Michael Nißl den fast vollen Saal betritt. Staatsanwalt Karl Pobuda trägt die Anklage vor. Schmid soll in 262 Fällen die Sozialkassen betrogen haben. Jeder Monat, den er seine Frau Gertrud nicht sozialversichert und damit als Scheinselbstständige beschäftigt hat, wird einzeln gezählt. Schaden für die Sozialkassen: 347 772,97 Euro. Außerdem soll der langjährige Landtagsabgeordnete Lohnsteuer in Höhe von 127 629,27 Euro hinterzogen haben. Was der Staatsanwalt nicht sagt: Das Ehepaar Schmid hat in dieser Zeit Umsatzsteuer bezahlt, der Schaden für den Fiskus fällt nicht ins Gewicht.

Während die Worte von Pobuda durch den Raum hallen, schüttelt Georg Schmid immer wieder den Kopf. Er ist anscheinend nicht einverstanden mit dem, was in der Anklage steht. Doch der leutselige Händeschüttler wird heute stumm bleiben.

Sein Augsburger Verteidiger Nikolaus Fackler ergreift für ihn das Wort. Er erzählt von den Anfängen der politischen Karriere. Vom Jahr 1979, als er Gertrud heiratete. Von 1990, als Schmid für die CSU in den Landtag ging und ein Abgeordnetenbüro auch in seiner Heimatstadt eröffnete. Als Leiterin des Büros war seine Frau eine „Idealbesetzung“, sagt Fackler. Es sei damals auch „legitim und üblich“ gewesen, dass Abgeordnete Verwandte für sich arbeiten lassen. Das Konstrukt mit dem „Büro- und Schreibservice“ habe ein Steuerberater konzipiert, es war demnach mit dem „Vorsteher des Finanzamts Donauwörth“ abgestimmt. „Gertrud Schmid war unternehmerisch tätig, sie hatte sogar eine Angestellte“, sagt Fackler. Ein klassisches Geständnis hört sich anders an.

Der Verteidiger will auch mit der Behauptung aufräumen, Schmids Ehefrau habe durchgehend 5500 Euro aus Steuermitteln erhalten. „Das ist falsch“, stellt Fackler fest. Richtig sei: Gertrud Schmid habe anfangs zwischen 11 000 und 19 000 Euro brutto pro Jahr bekommen.

Anwalt sieht „dramatische Folgen“

Der Anwalt beschreibt die Folgen des Strafverfahrens als „dramatisch“, während sein Mandant scheinbar mit den Tränen kämpft. Schmid habe alle Ämter niedergelegt und nicht mehr für den Landtag kandidiert. „Er hat seinen Beruf und seine Lebensaufgabe als Politiker aufgegeben“, erklärt Fackler. Sollte Schmid zu mehr als elf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt werden, verliere er seine kompletten Pensionsansprüche als Oberregierungsrat, als Staatssekretär und als Abgeordneter. So stellt es der Anwalt dar. Schmid leide an Existenzangst. Er und seine Frau hätten sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Fackler schließt mit den Worten: „Herr Schmid hat bereits alles, was er in seinem Leben aufgebaut hat, verloren.“

Die ausführliche Schilderung des Sturzes vom erfolgreichen Politiker und Stimmenkönig der CSU in die totale Bedeutungslosigkeit soll offenkundig Emotionen wecken. Schaut her, hier ist einer, der schon alles verloren hat – das ist die Botschaft. Beinahe unter geht dabei, dass Anwalt Fackler für seinen prominenten Mandanten die Kernvorwürfe der Staatsanwaltschaft einräumt: dass Schmid seine Frau nicht sozialversichert hat. Das war bereits vor Beginn des Prozesses unstrittig.

Klassische Scheinselbstständigkeit?

Der Verteidiger erklärt es damit, dass dies Schmids Rechtsauffassung entsprach. Die Ehefrau habe ein eigenes Büro gehabt und eigenverantwortlich gearbeitet. Georg Schmid bleibt also dabei: Er hält das Beschäftigungskonstrukt mit seiner Frau für nicht beanstandenswert, obwohl die allermeisten Juristen in seinem Fall eine klassische Scheinselbstständigkeit sehen. Er will aber auch das Gericht nicht verärgern und sagt daher: Ja, es war so. Aber ich habe nichts Illegales darin gesehen. Er deutet an, dass er sich ganz in die Entscheidungsgewalt des Gerichts begeben wird.

Nach dem Ende dieser Erklärung ist auch klar, dass im Gerichtssaal nichts Spektakuläres mehr passieren wird. Die entscheidenden Schlachten sind vorher geschlagen worden. Das wird klar, als Richter Nißl von Verhandlungen im Vorfeld des Prozesses berichtet. Schmid kämpft scheinbar um seine Existenz.

Die Verteidiger des Ehepaars Schmid haben mehrfach versucht, mit der Staatsanwaltschaft eine Verfahrensabsprache, einen „Deal“, zu erzielen. Im Fall Gertrud Schmid ist das kurz vor Beginn der Hauptverhandlung geglückt. Das Amtsgericht erließ einen Strafbefehl über 13 200 Euro wegen Beihilfe zum Betrug der Sozialkassen. Als Zeugin aussagen muss sie auch nicht. Sie macht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, das ihr als Ehefrau zusteht.

Bei ihrem Mann ist die Lage weit komplizierter. Die Verteidiger haben bereits am 30. Januar ein Teilgeständnis bezüglich des Sozialversicherungsbetrugs angeboten. Im Gegenzug wollten sie eine Bewährungsstrafe unter einem Jahr. Diese zwölf Monate sind für Georg Schmid die Schmerzgrenze, ab der er seine Pensionsansprüche zu großen Teilen verlieren würde. Das will er nicht hinnehmen. Die Schmerzgrenze des Staatsanwalts lag in dieser ersten Verhandlung bei mindestens eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe zur Bewährung. Eine Einigung kam nicht zustande.

Schmid angeblich vor der Pleite

Auch nicht in einem zweiten Gespräch am 5. Februar. Das Verfahren liegt nun in den Händen von Amtsrichter Nißl und zwei Schöffinnen. Um das Gericht nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen milde zu stimmen, überwies Georg Schmid unmittelbar vor dem Prozess 450 000 Euro Schadenswiedergutmachung an die Deutsche Rentenversicherung. Das war nichts anderes als die Reißleine. Die Sozialkasse will 780 000 Euro von Schmid.

Folgt man Rechtsanwalt Fackler, würde Georg Schmid mit dem Verlust der Pensionsansprüche vor der Pleite stehen. Schmid war Oberregierungsrat im Landratsamt Donauwörth, Staatssekretär im Sozial- und Innenministerium, CSU-Fraktionschef und 23 Jahre lang Landtagsabgeordneter. In seiner besten Zeit verdiente er über 24 000 Euro im Monat. Ihm würden mehr als 5000 Euro Pension zustehen. Ob er aber bei einer Verurteilung von zwölf Monaten oder mehr alle Ansprüche verlieren würde, ist unter Juristen hoch umstritten. Das Landtagsamt etwa widerspricht der Darstellung des Anwalts. Die komplexen Fragen müssen also möglicherweise nach dem Strafprozess auf verwaltungsrechtlichem Wege geklärt werden.

Das Leben des Ex-Politikers besteht seit knapp zwei Jahren vor allem aus juristischen Scharmützeln. Schmid hat seine immerwährend gute Laune verloren. Er ist heute nicht mehr der „Schüttel-Schorsch“, wie ihn Ex-CSU-Chef Theo Waigel wegen seiner Neigung zum ständigen Händeschütteln taufte. Sein Fall geht ins Bodenlose.

Am Abend des 20. April 2013 hatte er noch groß im Tanzhaus Donauwörth seinen 60. Geburtstag gefeiert. Zu Beginn jener Woche gab es einen Geburtstagsempfang im Senatssaal des Landtags. Auf der Bühne standen Parteifreunde und sangen lauthals: „Georg Schmid bleibt Superstar. Wir, die Freunde feiern ihn. Heut? ist Schüttel-Schorsch-Termin. Trulla, Trulla, Trullala.“

Doch vor dem Fest hatte sich auf den Gängen des Maximilianeums die Nachricht verbreitet, dass der CSU-Fraktionschef am tiefsten in die Verwandtenaffäre verstrickt sei. Viele hatten nahe Angehörige beschäftigt, aber der Fall Schmid übertraf alles. Ministerpräsident Horst Seehofer sagte die Party urplötzlich ab. Am 25. April 2013, fünf Tage nach seinem 60. Geburtstag, trat Schmid als Fraktionschef zurück.

Die Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag

Der Anfang: Die Verwandtenaffäre kam im Frühjahr 2013 ins Rollen. Auslöser war das Buch „Die Selbstbediener. Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen“ des Parteienkritikers Hans Herbert von Arnim. Zahlreiche Landtagsabgeordnete nutzten damals noch eine 13 Jahre alte Altfallreglung: Sie beschäftigten Eheleute oder Kinder, obwohl dies im Jahr 2000 eigentlich verboten worden war – und nur für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse eine Ausnahme gemacht wurde. Mehrere Parlamentarier schlossen im Jahr 2000 sogar noch Last-Minute-Verträge mit Angehörigen ab. Die Hauptbetroffenen: Auf dem Höhepunkt der Affäre trat der damalige CSU-Fraktionschef Georg Schmid zurück. Er hatte seiner Frau bis zu 5500 Euro pro Monat bezahlt. Da er dabei auch die Sozialkassen geprellt haben soll, wurde gegen ihn Anklage erhoben. Der schwäbische SPD-Mann Harald Güller wurde zu einer Geldstrafe von 18 000 Euro verurteilt, weil er 2009 seinen Stiefsohn beschäftigt hatte. Der Chef des Haushaltsausschusses, Georg Winter (CSU), der seinen 13- und 14-jährigen Söhnen Jobs verschafft hatte, verlor seinen Posten. Von der Affäre betroffen waren auch Kabinettsmitglieder, etwa Kultusminister Ludwig Spaenle und Agrarminister Helmut Brunner (beide CSU). Die Unterfranken: Auch der heutige Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU) hatte im Jahr 2000 mit der Anstellung seiner Ehefrau noch selbst eine Altfallregelung geschaffen. Eck soll seiner Frau für Bürotätigkeiten rund 750 Euro im Monat bezahlt haben. Für die Zeit seit seinem Eintritt ins Kabinett im Jahr 2009 zahlte er 2013 die Summe von 31 416,65 Euro zurück. Mehrere frühere unterfränkische MdL hatten bis 2008 ebenfalls von der Altfallregelung Gebrauch gemacht: Franz Brosch, Manfred Ach, Henning Kaul, Hans Gerhard Stockinger, Robert Kiesel (alle CSU), Gerhard Hartmann, Heinz Mehrlich, Rainer Boutter, Heinz Kaiser (alle SPD) sowie der frühere Grünen-MdL Volker Hartenstein. Die Aufarbeitung: Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte nach anhaltendem öffentlichen Druck Anfang Mai 2013 eine Liste der betroffenen Politiker. Weil die Information nur scheibchenweise erfolgte und Kritikern nicht weit genug ging, manchen Betroffenen hingegen zu weit, musste Stamm für ihr Krisenmanagement viel Kritik einstecken. Zum 1.Juni 2013 wurde die Beschäftigung von Verwandten vom Landtag endgültig verboten. Im August 2013 kam der Oberste Rechnungshof nach einer Sonderprüfung zu dem Schluss, dass die Beschäftigung der Verwandten ab Juli 2004 ohne Rechtsgrundlage erfolgte. Im Mai 2014 entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof schließlich nach einer Klage der SPD, dass die Staatsregierung Auskunft geben muss, wieviel Geld die betroffenen Kabinettsmitglieder Spaenle, Brunner, Eck, Merk, Pschierer und Sibler ihren Verwandten gezahlt hatten. Seit 1997 waren demnach über 1,3 Millionen Euro geflossen. TexT: rys/AZ

 
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