Wenn die Nachrichten gerade von Jugendlichen berichten, die sich in Frankreich Straßenschlachten mit der Polizei liefern, hört Francoise Gribonval-von Robakowski genau hin. Die 58-Jährige stammt aus St. Denis, einer der berüchtigten Vorstädte von Paris. Sie hat erlebt, wie das Viertel, in dem sie aufwuchs, immer mehr von Gewalt und Kriminalität überschattet wurde. Gribonval-von Robakowski wirft der Politik vor, bewusst die Augen vor den Problemen in diesen Siedlungen verschlossen zu haben.
Vorort entwickelt sich zur rechtsfreien Parallelwelt
Wie mehrfach berichtet, hat der Tod eines 17-Jährigen, der bei einer Polizeikontrolle erschossen wurde, eine Welle von Gewalt in Frankreich ausgelöst. Gribonval-von Robakowski ist entsetzt über den tödlichen Schuss. Und sie musste mit ansehen, wie in ihrer Kindheit und Jugend in St. Denis eine rechtsfreie Parallelwelt entstand.
Ihr Vater sei während seiner Militärzeit in Marokko und Tunesien gewesen. Danach habe er in St. Denis die Bäckerei und Konditorei der Großeltern übernommen. Freunde aus Nordafrika seien damals in der Backstube ein- und ausgegangen. Doch die erste Generation von Einwandern aus den ehemaligen französischen Kolonien habe in unhygienischen Slums leben müssen. In den 60er Jahren sei die Idee entstanden, Hochhäuser zu bauen, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Diese prägen bis heute den Vorort von Paris. „Anfangs waren die Leute glücklich“, sagt Gribonval-von Robakowski.
Kinder der Einwanderer wurden nirgendwo akzeptiert
In den 1980er bis 2000er Jahren habe sich das aber schlagartig geändert. Viele dieser Einwanderer hätten sechs bis acht Kinder bekommen, die zwar in Frankreich geboren wurden – und deshalb auch die französische Staatsbürgerschaft erhielten. Doch die Erziehung habe der ihres Herkunftslandes entsprochen. Mit Folgen: „Diese Kinder wurden in Frankreich nicht akzeptiert und in ihrem Herkunftsland auch nicht“, schildert die 58-Jährige, die seit 1986 in Immenstadt lebt.
Während ihrer Schulzeit seien drei Kinder mit Migrationshintergrund in ihrer Klasse gewesen, mit denen sie gespielt habe. Fünf Jahre später seien in der Klasse ihrer Schwester dreimal so viele gewesen. „Diesen Jugendlichen hat man keine Zukunftsperspektive gegeben“, kritisiert Gribonval-von Robakowski. Schon damals hätten sich viele Cliquen angeschlossen und seien in Diebstahl und Drogen abgerutscht.
Bewaffneter Überfall auf Bäckerei ihres Vaters
Als sie zwölf Jahre alt war, habe der Vater ihr verboten, bestimmte Gegenden zu betreten – aus Sorge um die Tochter. Es seien Frauen vergewaltigt, Busfahrer angeschossen, Läden ausgeraubt worden. Auch die Bäckerei des Vaters sei einmal mit Schusswaffen überfallen worden. Kurz vor Ladenschluss habe sie einen lauten Knall gehört. Die Verkäuferin, die zu dieser Zeit allein im Laden stand, hätten zwei Schüsse knapp verfehlt. Die Frau habe den Gaunern an der Kasse die Finger eingequetscht, der Vater die Polizei gerufen. „Aber die hat nichts gemacht, weil es nur kleine Fische waren“, berichtet Gribonval-von Robakowski.
Nach diesem Überfall habe ihr Vater beschlossen, sich selbst zu verteidigen. Als er einmal bedroht wurde, habe er auf einer Matratze in der Bäckerei geschlafen – mit dem Jagdgewehr neben sich. „Das ist das Leben in St. Denis“, sagt die Immenstädterin.
Mit 15 Jahren Opfer eines Überfalls
Sie selbst sei im Alter von 15 Jahren nachmittags von zwei Mädchen überfallen worden, die auf sie einschlugen, weil sie zu wenig Geld dabei hatte. Die Passanten hätten ihre Hilferufe ignoriert. Bis auf drei Männer aus dem Viertel. Sie hätten ihr aus der brenzligen Situation geholfen und sie sogar mit dem Bus nach Hause gebracht.
Im Viertel gebe es nur noch wenige Geschäfte von damals. Auch ihr Vater, der vor einigen Jahren verstorben sei, habe seinen Laden zuvor aufgegeben.
Polizeipräsenz, aber auch Gewalt nimmt seit 2015 weiter zu
Seit den islamistisch motivierten Terroranschlägen von 2015 hätten die Polizeikontrollen in den Siedlungen enorm zugenommen. Doch die Polizei werde damit nicht fertig. Die Gewalt nehme weiter zu.