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Polit-Interview:„Terrorismus fällt nicht vom Himmel“
Glaubt, dass die Erwartungen der Öffentlichkeit an den NSU-Prozess überzogen sind: Politologe und Sozialforscher Wolfgang Kraushaar.
Foto: dpa | Glaubt, dass die Erwartungen der Öffentlichkeit an den NSU-Prozess überzogen sind: Politologe und Sozialforscher Wolfgang Kraushaar.
dpa
 |  aktualisiert: 04.09.2013 18:48 Uhr

Nach rund einem Monat Sommerpause geht am Donnerstag der NSU-Terrorprozess gegen Beate Zschäpe und andere weiter. Der Politologe Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) warnt vor zu hohen Erwartungen. Und empfiehlt im Interview, die Gesellschaftsprozesse der 90er Jahre genauer zu untersuchen.

Frage: Seit Mai versucht das Oberlandesgericht München die Mordserie der NSU-Terrorzelle aufzuklären. Bis mindestens Ende 2014 wird sich der Prozess wohl noch hinziehen. Wie bewerten Sie das Verfahren?

Wolfgang Kraushaar: Der Prozess ist vor allem für die Angehörigen der Opfer gut und wichtig. Aber ich glaube, dass die Erwartungen der Öffentlichkeit überzogen sind. Die Angeklagte Beate Zschäpe hat von Anfang an erklärt, dass sie keine Aussage zur Sache machen wird. Ich erwarte daher kaum einen Erkenntnisgewinn über die NSU-Strukturen.

Der Prozess gegen Zschäpe wird also nicht über die persönliche Schuld der Angeklagten hinausgehen?

Kraushaar: Dass es zu einer solchen rechtsterroristischen Serie hat kommen können, hat mit Gesellschaftsprozessen zu tun, die sich in den 90er Jahren abgespielt haben. Wer das Phänomen der NSU-Morde wirklich verstehen will von ihrem gesellschaftspolitischen Gehalt her, der muss weit über ein Gerichtsverfahren hinausgehen.

Wie kommen Sie darauf?

Kraushaar: Seit den Brandanschlägen von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 sind mehr als 60 Menschen umgebracht worden – inoffiziell sind es sogar dreimal mehr. Und da ein Brandanschlag eine primitive Form des Terrorismus ist, hätte man schon längst die Frage nach einem möglichen Rechtsterrorismus aufwerfen können. Doch dem ist viel zu wenig nachgegangen worden. Es ist immer darauf gepocht worden, wir hätten es mit Einzelfällen zu tun. Ich habe das schon immer für sehr voreilig gehalten und glaube, dass es wichtig wäre, sich diese ganze Phase noch einmal genauer anzuschauen.

Worauf würde man stoßen?

Kraushaar: Terrorismus fällt ja nicht einfach vom Himmel – weder der linke der Vergangenheit noch der rechte der jüngsten Gegenwart. Dass sich eine solche terroristische Gruppe hat etablieren können, liegt auch daran, dass es den fremdenfeindlichen Akteuren gelungen war, sich zu kulturalisieren, etwa eine eigene Musik- und Jugendkultur auszuprägen.

Nun hat ja erst vor einigen Tagen der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSU-Terrorserie und zum Versagen der Behörden seinen Abschlussbericht vorgelegt.

Kraushaar: Ich finde es zunächst einmal bemerkenswert, dass dieser Bericht einstimmig vorgelegt worden ist. Das kann man nicht hoch genug würdigen und belobigen. Das spricht einerseits für die Tiefe dieser Schockwirkung durch die NSU-Morde, andererseits aber auch für die Ernsthaftigkeit, sich damit im Sinne der Aufklärung auseinanderzusetzen.

Also alles gut?

Kraushaar: Nein, ich befürchte, dass die vom Ausschuss gemachten Vorschläge nicht weitreichend genug sind. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat sich ja bereits für eine stärkere Zentralisierung und für eine bessere Kommunikation zwischen den Diensten starkgemacht. Aber die Frage ist ja, ob überhaupt die richtige Diagnose gestellt worden ist. Ich würde nach wie vor nicht automatisch davon ausgehen wollen, dass das, was schiefgelaufen ist, nur im Bereich von Schlamperei oder Fehlern zu sehen ist.

 
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