Ja. Es ist schlimm. Ganz schlimm, was sich der Fremdenverkehrsverein der unterfränkischen Stadt Miltenberg mit seinem Geschenk an die Stadt da geleistet hat. Pinkelnde Männer! Direkt am Schnatterloch! So nennen die Miltenberger ihren Marktplatz. Die Empörung bei den Einheimischen über die Brunnen-Pisser aus Bronze hält sich zwar in Grenzen, allerdings sind Außenstehende jetzt vermehrt auf den Plan gerufen.
Die Diskussion um öffentliche Ärgernisse und ums Wildpinkeln ist entfacht, die „Staffelbrunser“ sind eben auch wildpinkeltechnisch als problematisch einzustufen. Der realgetreue Anblick, so meinen Betrachter der illustren Fotos von der Einweihung der Brunnen-Figuren gar, sei eine Zumutung. Aus „Wasser marsch!“ wurde in Miltenberg direkt vor dem öffentlichen WC ein „Pipi marsch“.
Urinieren ist ein menschliches Grundbedürfnis, allerdings wollen die meisten Menschen dessen Verrichtung lieber nicht sehen, geschweige denn vor ihrer Haustür riechen müssen.
Die Bronzefiguren in Miltenberg schlagen insofern zu einem schlechten Zeitpunkt auf. Man fühlt sich ja auch sofort erinnert an die vier US-Schwimmer der eben zu Ende gegangenen Olympiade in Rio. Nicht wegen des Stichworts Bronze, die hatten ja Gold gewonnen. Aber eben auch öffentlich gepinkelt. An die Wand einer Tankstelle. Und: Sie waren eindeutig erkennbar. Genau wie die „Staffelbrunser“.
Vielleicht hätte der Erschaffer der drei bronzenen Pisser in Miltenberg vorab seinen Künstler-Kollegen in Lohr zu Rate ziehen sollen. Der durfte vor einiger Zeit das städtische Schneewittchen entwerfen und hat dieses wenigstens bis zur Unkenntlichkeit modelliert. Ganze Generationen werden dort im Gegensatz zu den Familien in Miltenberg auch in hundert Jahren noch rätseln, was das klumpige Wesen mit den dicken Fingern mit Schneewittchen zu tun haben mag.
Beim Thema Männeken Piss also hätte jener Künstler sicher auch gute Ideen gehabt, zumindest aber solche, die weit weg gewesen wären von Männern, die sich an den Hosenschlitz greifen und beseelt lächeln. Ein Umstand, der in Miltenberg ohne Wasserstrahlen durchaus als erschreckend und obszön gewertet werden könnte. Von 22 Uhr bis früh um sechs wird den Jungs nämlich der Saft abgedreht. Da würde man sich wünschen, man könnte die Burschen eindeutiger den garstigen Wildpinklern zuordnen.
Der Bürgermeister der Stadt Miltenberg, Helmut Demel, findet indes klare Worte zu seinem Geschenk. Im Radio verkündete er der staunenden Hörerschaft: „Wir haben ein großes, altes Rathaus, eine wunderschöne, alte Brücke und wir haben nicht nur ein Männchen, das da hinbieselt, sondern wir haben drei ordentliche Staffelbrunser!“
STAFFELBRUNSER! Was für ein herrliches Wort! Übersetzt heißt das „Von-der-Haustreppe-hinunterurinieren“. Oder so ähnlich. Die Miltenberger haben angeblich früher immer bei Hochwasser direkt in den Main hinein gemacht. Aber solche Traditionen in die heutige Zeit hinüber zu retten, kommt nicht immer und bei jedem gut an. Sind die „Staffelbrunser“ also ein schlechtes Vorbild? Und viel wichtiger: wer übernimmt die Bußgelder für sie?
Dreiste Wildpinkler erwarten in vielen Städten empfindliche Geldstrafen, manchmal bis zu 1000 Euro! Okay, in Würzburg sind es laut „Deutscher Wildpinkler Verwarn- und Bußgeldatlas“ zum Beispiel nur zwischen fünf und 35 Euro. Trotzdem! Hat man mal ausgerechnet, was das Geschenk in Miltenberg den Steuerzahler auf Dauer kosten wird, wenn Klugscheißer die Brunnen-Pisser anzeigen?
Wenigstens sind die Jungs nicht noch wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses dran. Denn sie zeigen beim Pieseln weder ihre nackten Hintern, noch ihre Strullermänner. „Die wurden nicht bis ins feinste Detail ausgearbeitet“, heißt es in der Stadt. Na, Gott sei Dank! In Deutschland fällt Wildpinkeln nämlich unter bestimmten Umständen in die Kategorie „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ und das ist laut § 183a StGB eine Straftat. Wer also gänzlich ungeniert seine naturgegebene Ausstattung zeigt und die Blicke anderer nicht scheut, muss mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr rechnen.
Ja. Das Wildpinkeln ist ein ernstes Thema, eines, das es mittlerweile sogar auf die Titelseiten seriöser Tageszeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschafft hat. Das indes verwundert nicht in Zeiten, in denen Wildpinkler nicht mal vor der Bayerischen Polizei halt machen. So hat sich ein Betrunkener vor wenigen Tagen am Radkasten eines nagelneuen Streifenwagens am Münchener Hauptbahnhof erleichtert. Das dürfte die Beamten mal so richtig angepisst haben.
Aber auch hier könnte man wieder auf Miltenberg verweisen und auf das Gedicht von Altbürgermeister Joachim Bieber zu Ehren der pinkelnden Bronzefiguren. In seinem Werk heißt es am Ende: „Es gilt: ein jeder Platz ist unser, wenn's im Manne heftig drückt. Wir sind gerne Staffelbrunser!“
Nun ist das Bedürfnis, sich zu erleichtern, aber eindeutig kein rein männliches. Immer öfter, so hört man, hockten sich auch Damen völlig ungehemmt auf den Boden der Öffentlichkeit. Da Frauen bekanntermaßen ja nur selten alleine aufs Klo gehen, ist das Ärgernis in diesen Fällen natürlich besonders groß. Blöderweise hilft da auch nicht das neue Antipinkel-Konzept mittels eines Speziallackes. Der wirkt nur an Hauswänden und dort kommen Frauen beim Pinkeln naturgegeben nur schlecht dran.
Dieser Lack, unter anderem probiert man ihn in Mainz aus, hat einen tollen Effekt: die Wand pinkelt zurück! Durch den Abperleffekt wird der Urinstrahl in einem ähnlichen Winkel zurückgeworfen, in dem er zuvor die Wand getroffen hat. Das Ergebnis: nasse Hosen und Schuhe. Leider ist der Lack sehr teuer und die Strafe ja auch nur geringfügig, betrachtet man mal die Ausmaße der Schäden, die der Wildpinkler anrichtet.
Angst und Bang kann es einem da werden. Zumindest, wenn man den aktuellen Kommentar zum Thema Wildpinkeln in der „Welt“ liest.
„Der Urin, die Stadt und der Tod“ heißt es dort in der Überschrift. Im Text ist von „ätzenden Körperflüssigkeiten“ die Rede, vom Zerfall wertvoller Bauwerke, der Sitten, und vor allem von einem zu Tode gepissten Baum in Frankfurt. Oder war es eine Nelke? Egal. Die Stimmung ist aufgeheizt. Ach, das waren noch Zeiten, als das Buch „Urin - ein ganz besonderer Saft“ ein Bestseller war!
Immerhin galt Urin jahrtausendelang als Reinigungsmittel. In Rom gab es sogar eine „Urinsteuer“. Und aus einem Streit über den stinkenden, faulen Urin entsprang auch der beliebte Satz: „Pecunia non olet – Geld stinkt nicht.“ Eben. Und deswegen dürfen die Miltenberger das Geschenk ja wohl ruhig annehmen.
MfG