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Pilgerort im Allgäu
Gedenkort oder Müllhalde? Grabkreuze müssen entsorgt werden
Wegen einer anstehenden Sanierung werden rund um eine Allgäuer Kapelle tausende Kreuze entsorgt. Befürworter sprechen von Sondermüll – das sehen nicht alle so.
Kerstin Futschik
 |  aktualisiert: 17.05.2024 02:45 Uhr

Gschnaidt im Allgäu, südwestlich von Altusried gelegen, ist ein besonderer Ort. Seit vielen Jahren bringen Menschen aus der Region und weit darüber hinaus die Grabkreuze ihrer Angehörigen dorthin. 7000 Kreuze stehen inzwischen im Umfeld der Wallfahrtskirche Heilig Kreuz. Die kleine Kapelle nebenan muss nun dringend restauriert werden - der Putz bröckelt von der Decke. Die Kirchenverwaltung hat deshalb entschieden, die Grabkreuze nach Pfingsten zu entsorgen. Zunächst geht es um die Kreuze im unmittelbaren Umfeld der Kapelle.

Altusried: Am Gedenkort in Gschnaidt müssen die Kreuze weg

Die Restaurierungsarbeiten beginnen am Montag, 27. Mai, sagt Annette Dorn, Verwaltungsleiterin der Pfarreiengemeinschaft (PG) Altusried im Landkreis Oberallgäu, zu der Gschnaidt gehört. Dach, Fassade, Eingangstür, Altar und Mauerwerk werden erneuert oder aufgearbeitet. Das Bistum Augsburg beteiligt sich an den Kosten von 180.000 Euro zu 60 Prozent. In der Woche nach Pfingsten werden die Kreuze entsorgt, voraussichtlich ab Samstag, 25. Mai. Bis dahin können die Angehörigen ihre Kreuze abholen. "Wir wollen deren Bedürfnissen entgegenkommen", betont Dorn. Deshalb finde am Freitag vor Pfingsten, 17. Mai, ein Gedenkgottesdienst für die Verstorbenen statt. Beginn ist um 17 Uhr in der Wallfahrtskirche, auch große Kapelle genannt.

Die Grabkreuze in Gschnaidt stehen schon seit Jahren in der Diskussion. Auf einer Bürgerversammlung im vergangenen Jahr sagte ein Bürger: „Die lackierten Kreuze sind Sondermüll. Wahrscheinlich ist die Deponie sogar illegal.“ Tatsächlich seien die Kreuze Sondermüll, sagt Pfarrer Manfred Gromer. "Weil sie lackiert sind, dürfen sie nicht verbrannt oder vergraben werden." Eine Fachfirma müsse die Kreuze abholen und fachgerecht entsorgen. Hinzu komme, dass die Stoffe aus den Lacken mit dem zunehmenden Verfall der Kreuze und durch die Witterung in den Boden gelangen.

Zu viele Kreuze bei Altusried? Das Gelände in Gschnaidt soll geräumt werden

Das gesamte Gelände in Gschnaidt soll deshalb geräumt werden. Ein weiterer Grund sei die Menge der Kreuze. 7000 seien es inzwischen, jedes Jahr kommen laut Gromer 1000 weitere hinzu. "Wir verkraften die Menge nicht", sagt Verwaltungsleiterin Dorn. Immer wieder müssten Kreuze entfernt werden, etwa weil die Stationen des Kreuzweges nicht mehr zugänglich oder die Sitzbänke am Eingang zur großen Kapelle zugestellt seien. Diese Aufgabe übernehmen Ehrenamtliche. Allein 2023 hätten 1000 Kreuze entsorgt werden müssen, sagt Gromer. Kämen dann die Angehörigen zu Besuch und ihr Kreuz sei weg, führe das zu Konflikten, die die Ehrenamtlichen, aber auch die Wirte des Gasthauses Kreuz, das sich um die Ecke befindet, austragen. "Auf diese Menschen müssen wir auch Rücksicht nehmen", sagt der Pfarrer.

Das Verständnis für die Gefühle der Angehörigen sei da, betont Dorn. Sie selbst kenne Gschnaidt aus ihrer Kindheit, habe den Ort mit ihrer Großmutter besucht. "Es ist ein toller Ort." Im kleinen Rahmen habe man auch nichts gegen das Abstellen der Grabkreuze. "Aber irgendwann kippt es, auch bei mir." Die Kirchenverwaltung wolle den Angehörigen die Chance geben, ihr Kreuz abzuholen. Alle Kreuze, die nicht im unmittelbaren Umfeld der kleinen Kapelle stehen, können noch ein Jahr vor Ort bleiben. Wer nach einem Jahr das Kreuz nicht abgeholt hat, müsse damit rechnen, dass es entsorgt wird. Dorn bittet die Angehörigen um Verständnis. "Wir brauchen deren Hilfe, denn so wie jetzt kann es nicht weitergehen."

Aus kirchlicher Sicht spreche nichts gegen das Entsorgen der Kreuze

Gromer erklärt, dass die Grabkreuze liturgisch keine große Bedeutung hätten und bei der Bestattung nicht gesegnet würden. "Sie geben nur so lange ein Signal, bis der Grabstein gesetzt ist." Es spreche daher aus kirchlicher Sicht nichts dagegen, die Kreuze zu entsorgen - oder sie abzuschleifen und das Holz zu recyceln.

Hinsichtlich des künftigen Umgangs mit den Grabkreuzen sind Gromer und Dorn offen für Gespräche. "Wir wollen Ideen sammeln, wie ein Gedenken an die Verstorbenen in Zukunft stattfinden kann", sagt Dorn. Beispielsweise wäre es für Angehörige jederzeit möglich, in Absprache mit der PG eine Andacht in der Kapelle zu halten. Fest steht bereits, dass der Gedenkgottesdienst am Freitag vor Pfingsten jährlich wiederholt werden soll. " Um den Angehörigen die Gelegenheit zu geben, abzuschließen", sagt die Verwaltungsleiterin.

Es sei auch denkbar, die Kreuze regelmäßig abräumen zu lassen - sofern sich eine Gruppe Ehrenamtlicher findet, die das übernehmen würde. Natürlich müsse sich die Kirchenverwaltung darauf verlassen können, sagt Gromer. Und auch über die Finanzierung der Entsorgung müsse gesprochen werden. Er weist darauf hin, dass während der Restaurierungsarbeiten keine Grabkreuze aufgestellt werden dürfen. Gottesdienste und andere Veranstaltungen sowie das Gelände selbst könnten aber weiterhin besucht werden.

Dass ist die Geschichte von Gschnaidt

Pest: Im Gedenken an die Toten aus der Gemeinde sind in Gschnaidt Kreuze aufgestellt worden, sagt Pfarrer Manfred Gromer. Begraben liegt dort aber niemand, bis heute nicht.

Legenden: Viele Geschichten um den Ort haben dazu geführt, dass Gschnaidt ein Wallfahrtsort wurde. Etwa jene um einen Kemptener Mönch, der sich dort niedergelassen haben soll.

Kapellen: Die ersten Kapellen aus dem 18. Jahrhundert erhielten kein Patrozinium eines Heiligen, sondern "Heilig Kreuz". Deshalb habe die Wallfahrt nach Gschnaidt aus kirchlicher Sicht eine untergeordnete Bedeutung, erklärt Gromer. Aber es habe sich eine volkstümliche Verehrung entwickelt. Nach dem Abriss seien die Kapellen 1848 und 1865 auf den Wunsch der Bevölkerung neu errichtet worden.

Pilger: Pilger stellten in Gschnaidt Pilgerkreuze ab. Etwa zu Beginn der 1980er Jahre stand ein Grabkreuz dabei. Seiter wurden es immer mehr.

 
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