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Pflege
Angestarrt und betatscht: Pflegerin wehrt sich gegen sexuelle Belästigung
Patienten machen anzügliche Kommentare oder berühren Krankenpflegerinnen unangebracht. Kaum jemand spricht über sexuelle Belästigung in der Pflege. Antonia Hecht will das ändern.
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Foto: Daniel Karmann, dpa (Symbolbild) | Berührungen gehören in der Pflege zum Alltag. Doch immer wieder überschreiten Patienten auch Grenzen und Pflegerinnen fühlen sich sexuell belästigt.
Laura Gastl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:47 Uhr

Da war dieser eine Patient, der jedes Mal demonstrativ den Playboy las, wenn Antonia Hecht zum Blutdruckmessen ins Zimmer kam. Andere Patienten, die den Körper der Gesundheits- und Krankenpflegerin anstarrten und ein ungutes Gefühl in ihr auslösten. Patienten, die beim Umlagern ihre Brüste und ihren Hintern streiften, nicht immer unabsichtlich. Oder Bemerkungen wie "Du hast aber einen knackigen Arsch in der Hose!" fallen ließen. Situationen, die bei Hecht für Herzklopfen und Schweißausbrüche sorgten.

Im Rahmen ihres dualen Pflege-Studiums machte Antonia Hecht von 2017 bis 2020 eine Ausbildung in einem großen bayerischen Krankenhaus. Dort erlebte sie derartige Grenzüberschreitungen mehrmals in der Woche. Doch wenn sie darüber sprechen wollte, hörte niemand hin. "Ich habe mich alleingelassen gefühlt", erzählt die heute 24-Jährige. Sprach sie das Thema unter Kolleginnen und Kollegen an, taten diese das ab. Sie vermittelten der angehenden Gesundheits- und Krankenpflegerin: "Das gehört eben dazu, der Patient meint das doch nicht so. Stell dich nicht so an."

Irgendwann wurde ihr klar: Was sie da erlebt hatte, ist sexuelle Belästigung. Und ein solcher Umgang damit ist nicht richtig. Sie beschloss, das Problem zu benennen, nachzuforschen. Derzeit schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit mit dem Titel: "Prävention oder Illusion? Der Erfolg von Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung in der Pflege."

Sexuelle Belästigung gehört zum Alltag vieler Pflegerinnen

Dass Antonia Hecht mit ihren negativen Erfahrungen als Pflegekraft nicht alleine ist, belegt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2019: Fast jede dritte Person, die schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hat, kommt aus dem Gesundheits- und Sozialwesen.Meist sind es Männer, die gegenüber Pflegerinnen übergriffig werden – mal mit Gesten und Blicken, mal verbal, mal körperlich.

Beim Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Südost ist sexuelle Belästigung kein Tabuthema. Stefanie Renner ist stellvertretende Geschäftsführerin des Verbands und erzählt: "Bei Bildungsveranstaltungen sehen wir immer wieder, dass kaum jemand unter den Kolleginnen und Kollegen ist, die oder der noch nie betroffen war." Die Ausprägungen seien dabei sehr unterschiedlich und oft werde den Betroffenen erst im Gespräch bewusst, dass es sich um eine Gewalterfahrung handelt.

Dass besonders Menschen in Pflegeberufen so häufig belästigt werden, erklärt sich Antonia Hecht historisch. Früher ging man von einer "natürlichen Fürsorgefähigkeit der Frau" aus. Sie sei prädestiniert für den Beruf, müsse ihn gar nicht erst erlernen.Die "Krankenschwester" ist demnach dem Arzt – und somit dem Mann – untergeordnet. Sie macht den Dreck weg. Sie wäscht die Menschen und kleidet sie an, wobei sie in körpernahe, vulnerable Situationen gerät. Zu allem Überfluss werde der Beruf in Pornos mit "dem verruchten Engel in Weiß" sexualisiert.

Während ihrer Ausbildung hat Antonia Hecht, die im Landkreis Augsburg aufgewachsen ist, sexuelle Belästigung am eigenen Leibe erfahren. Für ihre wissenschaftliche Arbeit hat sie Interviews mit vier weiteren betroffenen Frauen geführt. Eine der Krankenpflegerinnen habe sich darin an einen Patienten erinnert, der zu ihr gesagt habe: "Früher wurde mir der Intimbereich mit dem Mund gewaschen." Eine andere habe einen Brief von einem Patienten erhalten, in dem er beschrieb, was er im Bett mit ihr machen würde. Schockierende Berichte und eine traurige Erkenntnis für die Studentin: Die Frauen wussten nur wenig darüber, wie sich solche Übergriffe verhindern lassen, oder dass Belästigung dem Arbeitgeber gar gemeldet werden kann.

So können sich Pflegerinnen gegen sexuelle Belästigung wehren

Doch genau das sollten Betroffene tun. Denn im Moment sei die Dunkelziffer viel zu groß. "Erst, wenn die Fälle nicht mehr bagatellisiert und stattdessen offiziell gemeldet werden, könnten Statistiken mit verlässlichen Zahlen entstehen und die Vorgesetzten würden merken, dass etwas getan werden muss", sagt die 24-Jährige. Und zwar jetzt. "Die jüngeren Generationen sind aufgeklärter als die älteren. Aber es kann trotzdem nicht die Lösung sein, dass wir jetzt nichts tun und fünf Generationen warten, bis das Bewusstsein in der gesamten Gesellschaft angekommen ist."

Dass sich das Bewusstsein ändert, scheint jedoch noch ein weiter Weg, dennPflegekräfte bekämen oft vermittelt, dass sexuelle Belästigung ein Berufsrisiko sei – "zu Unrecht", sagt Sebastian Bickerich von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Derartige Grenzüberschreitungen können schwere Folgen haben, sich auf die Gesundheit auswirken, Energie kosten und die Motivation für die Arbeit enorm verringern. "Aus unserer Sicht sind weniger die Betroffenen gefragt, 'richtig' zu reagieren, als ihre Vorgesetzten und Arbeitgeber", so der Sprecher der ADS. "Arbeitgeber haben eine Schutzpflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Wenn jemand sexuelle Belästigung erlebt, muss der Arbeitgeber bestimmte Maßnahmen ergreifen und dafür sorgen, dass die Belästigung aufhört." Das sei im Gesetz so verankert. Komme ein Betrieb dieser Pflicht nicht nach, haben Beschäftigte die Möglichkeit, ihn zu verklagen.

Patienten belästigen Pflegerinnen mal mit Blicken, mal verbal, mal körperlich

Wie genau Kliniken ihre Angestellten schützen, liegt jedoch in ihrer eigenen Verantwortung. Denn es handele sich um eine innerbetriebliche Angelegenheit, teilt eine Sprecherin des Bayerischen Ministeriums für Gesundheit und Pflege mit. Dass Betriebe eine Beschwerdestelle einrichten müssen, ist laut Sebastian Bickerich vom ADS jedoch verpflichtend. Die muss erreichbar und bekannt sein. Darüber hinaus könnte es Betriebsvereinbarungen und -versammlungen geben, in denen sexuelle Belästigung thematisiert werde. Für Mitarbeitende könnten Schulungen zu dem Thema angeboten, für Patientinnen und Patienten Informationen herausgegeben werden. Konkret schlägt Antonia Hecht vor: "Dann gibt's zum Beispiel zum Speiseplan einen Flyer: 'Sexuelle Belästigung wird hier nicht toleriert.'"

Aber was, wenn es den Pflegekräften geht, wie Antonia Hecht? Wenn sie schon belästigt wurden? Sebastian Bickerich sagt: Für solche Fälle müsse der Arbeitgeber vorsorgen. Er müsse klare Regeln aufstellen, was in solchen Fällen passiert. Es sei so etwa möglich, dem übergriffigen Patienten ein Hausverbot oder ein Ende der Behandlung anzudrohen. Der ADS-Sprecher ergänzt, dass Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Rolle spielen: "Sie können sich zum Beispiel als Zeuginnen und Zeugen anbieten, wenn sie einen Vorfall beobachtet haben. Auf gar keinen Fall sollten sie solche Erfahrungen in irgendeiner Weise abtun und verharmlosen."

Als Antonia Hecht als Pflegerin belästigt wurde, traute sie sich nicht, etwas dagegen zu sagen. Sie lächelte das unangebrachte Verhalten der Patienten einfach weg. Heute würde sie es anders machen, verbal und körpersprachlich zeigen: "Ich akzeptiere Ihr Verhalten nicht. Wenn Sie die Hände nicht wegnehmen, verlasse ich den Raum." Besonders schwierig sei es, wenn etwa ein Patient mit Demenz Grenzen überschreite. Die Situation sei dann noch unberechenbarer. Antonia Hecht rät, trotzdem konsequent zu handeln. Denn: "Die Krankheit ist keine Entschuldigung."

Sexuelle Belästigung in der Pflege ist noch zu oft ein Tabuthema

Und die Studentin hat nochweitere Vorschläge zur Prävention. "In der Berufsschule sollte mehr und öfter darüber gesprochen werden." Vermittelt das Personal Gruppenstärke und Zusammenhalt, sei das ebenfalls ein wichtiges Signal. Eine Möglichkeit wäre außerdem eine gleichgeschlechtliche Pflege– Männer pflegen nur Männer, Frauen nur Frauen. Doch Antonia Hecht ist bewusst, dass das in einer Branche, in der 80 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, nicht umsetzbar ist.

Doch wie konnte es in dem Krankenhaus, in dem Hecht ihre Ausbildung gemacht hat, so weit kommen, dass sich die junge Frau so ausgeliefert fühlte? Gab und gibt es dort keine Maßnahmen, die vor sexueller Belästigung schützen oder sie im Nachhinein auffangen? Auf Nachfrage unserer Redaktion teilt eine Pressesprecherin mit: "Leider ist es tatsächlich so, dass Fälle wie der geschilderte in einem so großen Haus wie unserem immer wieder vorkommen. Wir nehmen so etwas sehr, sehr ernst." Mitarbeitende, denen sexuelleBelästigung durch Patienten widerfahre, fänden zahlreiche Ansprechpartner: den direkten Vorgesetzten, die Zentrumsmanager, die Stationsleitungen, den Berufsschullehrer, die Akademieleitung, den Personalrat. Man reagiere mit direkter Konfrontation und Gesprächen. Darüber hinaus werden Mitarbeitende zum Schutz vor sexuellen Übergriffen geschult. "Natürlich muss man unterscheiden: Hat der Patient bewusst den Körperkontakt gesucht oder war dieser einer Pflegesituation geschuldet?", ergänzt die Sprecherin. "Und natürlich haben wir auch Patienten, die sich ihrer Handlung nicht bewusst sind. In keinem Fall wird sexuelle Belästigung geduldet, verharmlost oder ignoriert."

Die Krankenpflege ist eine körpernahe Tätigkeit – häufig kommt es zu sexueller Belästigung

Von all diesen Bemühungen hat Antonia Hecht während ihrer Zeit dort nichts gespürt. Inzwischen hat sie Konsequenzen aus ihren Erfahrungen gezogen. In dem großen Krankenhaus, in dem sie ihre Ausbildung absolviert hat, arbeitet sie nicht mehr. Das hat mehrere Gründe – der Umgang mit sexualisierten Grenzüberschreitungen ist nur einer davon. Die 24-Jährige lebt inzwischen in Berlin und ist dort in einer betreuten WG für Seniorinnen und Senioren tätig. Sie ist für die ärztliche Kommunikation zuständig, für das Verteilen der Medikamente, für Spritzen und Verbände. Nur selten übernimmt sie pflegerische Tätigkeiten – die Intimpflege für Männer versucht sie zu vermeiden. "Das ist mir einfach zu nah, ich möchte dem nicht mehr ausgesetzt sein."

Die Studentin würde sich wünschen, dass das Sprechen über sexuelle Belästigung in der Branche endlich enttabuisiert wird. "Ich bekomme Herzklopfen, wenn ich daran denke, wie viele Menschen da draußen in diesem Moment irgendwo in der Pflege arbeiten und diesen schlimmen Grenzüberschreitungen ausgesetzt sind. Es mit sich selbst ausmachen müssen, weil kein System besteht, das sie auffängt. Weil es dazugehört."

Wer von sexueller Belästigung betroffen ist, kann sich telefonisch oder per Mail und Kontaktformular an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden.

 
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