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NÜRNBERG
Ost trifft West: Reichsbahn und Bundesbahn wieder vereint
Dauerausstellung 'Im Deutschland der zwei Bahnen'       -  Ein Mitarbeiter im DB Museum putzt die Scheibe eines Schienenbusses aus den 50er Jahren in der Dauerausstellung„Im Deutschland der zwei Bahnen”.
Foto: Daniel Karmann | Ein Mitarbeiter im DB Museum putzt die Scheibe eines Schienenbusses aus den 50er Jahren in der Dauerausstellung„Im Deutschland der zwei Bahnen”.
Bearbeitet von Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:49 Uhr

Das eindrückliche Modell des Berliner Schienennetzes hängt an der Wand, in Vitrinen stehen Miniaturzüge, zwei gegenüberstehende Wagenabteile zeigen, wie ähnlich oder unterschiedlich Menschen in West- und in Ostdeutschland mit der Bahn reisten. Ein Erste-Klasse-Waggon mit grünen Kunstfaserpolstern, ein Silberling-Abteil, metallicglänzend, mit roten Plastiksitzen. Und dann ist da die Speisekarte, die zeigt, was Bahnfahrern einst während der ratternden Fahrt aufgetischt wurde: Heringsfilet nach Hausfrauen Art wird gepriesen, Soljanka mit Brot und Pichelsteiner Topf.

Doch wurden die Gerichte bei der Deutschen Bahn oder bei der Reichsbahn serviert? Und saß man im Osten auf den grünen Polstersesseln oder im Westen? Die Jahre nach 1945 teilten nicht nur Deutschland, sondern auch den Bahnverkehr: In der DDR fuhr von 1949 an die Reichsbahn weiter, in Westdeutschland wurde die Bundesbahn neu gegründet. Und das DB Museum in Nürnberg, eine weltweit ziemlich einmalige Ausstellung über 200 Jahre Eisenbahngeschichte, erzählt jetzt neu davon.

Zwei Jahre lang hatten 40 Jahre Geschichte gefehlt

Nicht dass das Museum die Zeit der deutsch-deutschen Teilung bislang ausgeblendet hätte. Im Gegenteil: Mit den 40 Jahren „Deutschland der zwei Bahnen“ hatte sich der erste Abschnitt der Dauerausstellung schon seit 2001 beschäftigt. Aber zwei Millionen Besucher sind seitdem durch das Haus gegangen – „das hat Spuren hinterlassen“, sagt Ausstellungsleiter Dr. Rainer Mertens.

Also machte sich der Historiker und stellvertretende Museumsdirektor vor zwei Jahren daran, Archive und Depots zu durchforsten und die deutsch-deutsche Verkehrsgeschichte seit 1945 neu zu erzählen und zu gestalten: „Nicht mehr strikt gegenübergestellt, sondern durchmischt“, sagt Rainer Mertens. „Denn so gegensätzlich die Systeme gewesen sein mögen, so ähnlich waren die Herausforderungen für die Eisenbahner im Alltag.“

Gegensätzliche Gesellschaftssysteme - ähnliche Probleme

Vier Jahrzehnte lang hatten sich in Deutschland zwei unterschiedliche Gesellschaftssysteme gegenüber gestanden. Ein Gegensatz, der auch die Entwicklung der beiden Staatsbahnen prägte. Das DB Museum aber rückt nun nicht die Unterschiede in den Mittelpunkt, auch nicht allein die Technik – „sondern die Lösungen, die Bundesbahn und Reichsbahn auf ähnliche gesellschaftliche Herausforderungen fanden“, sagt Museumsdirektor Dr. Oliver Götze. „Wie wurde jeweils auf die Konkurrenz der Straße, auf die Ölkrise, auf die Digitalisierung reagiert?“

Schwerfällig waren beide . . .

Als Staatsbetriebe seien beide Bahnen „relativ schwerfällig“ gewesen und „immer unter dem Druck gestanden, mit anderen Verkehrssystemen mitzuhalten“, sagt Mertens. In der DDR fehlten Ressourcen, die Infrastruktur wurde immer maroder, die defekten Strecken sorgte in den 1980er Jahren „für unhaltbare Zustände“. Die Stasi, die die Reichsbahn genau beobachtete, hätte in ihren Berichten „ein realistisches, ziemlich ungeschminktes Bild“ davon gezeichnet. Dafür gab's für die Eisenbahner für die Einhaltung von Produktionszielen Wimpel und Urkunden.

Trauriges Kapitel Zwangsarbeit

Die Neugestaltung sei auch notwendig gewesen, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen zu lassen, sagt Museumsleiter Götze – zum Beispiel zur „Entnazifizierung“ der Bahngesellschaften: „Das verlief bei beiden deutschen Bahnen sehr schleppend.“ Ein kleines Stück Stacheldraht gehört für Rainer Mertens deshalb auch zu den wichtigsten „und traurigsten“ Exponaten der neuen Dauerausstellung. Gespendet wurde es von einem Zeitzeugen, der als Häftling – abgetrennt von den anderen Bahnarbeiten – zur Zwangsarbeit für die Reichsbahn in der DDR abgeordnet war. „Er hatte den Draht abgerissen und rausgeschmuggelt“, sagt Mertens. Aus einer Studie, die der DB-Konzern in Auftrag gegeben hat, geht hervor, dass jedes Jahr im Schnitt etwa 500 Häftlinge gezwungen wurden, für die Reichsbahn Streckenabschnitte zu bauen oder Güterwagen zu zerlegen.

Zwei Vorzeige-Züge kommen noch

Zwei wichtige Ausstellungsstücke werden am 26. Juli noch eintreffen: der Schnellzug TEE, der im Westen fuhr, und der Ostzug „Vindobona“. Bisher waren die beiden Dieseltriebzüge, die als maßgeblich für die Entwicklung des Schienenverkehrs in den 1950er und 1960er Jahren hüben und drüben gelten, immer nur kurz gemeinsam zu sehen gewesen. Jetzt kommen die Fernverkehrszüge in Nürnberg zusammen.

Und wo gab es nun den „Pichelsteiner Topf“ und „Setzei mit Garnitur“ im Speisewagen? Bitte raten: In einem interaktiven Spiel können die Museumsbesucher die Mahlzeiten den Betreibern Mitropa (DDR) oder DSG (BRD) selbst zuordnen. Für Götze ist der Höhepunkt der neuen Dauerausstellung das Architekturmodell vom „Knoten Grünau“ in Ost-Berlin: „ein Jahrtausendfund“. Weil sich die meisten Bahnhöfe im Westen Berlins befanden, musste die DDR-Führung neue Strecken bauen. „Man war nur autark, wenn man rund um Berlin einen Ring errichtet hat.“ An diesem Ring mit seinen Brücken und Stellwerken, die auch heute noch in Betrieb seien, könne man gut erkennen, wie der Kalte Krieg das Verkehrssystem Eisenbahn doch beeinflusste.

In Nürnberg liegt die Wiege der Bahn in Deutschland: 1835 verbanden sechs Kilometer Gleis Nürnberg mit Fürth. Die Dampflokomotive „Adler“ fuhr damals als erste Eisenbahn auf deutschem Boden. Das Bahn-Museum gibt es seit 1899 – es wirbt damit, das älteste Eisenbahnmuseum der Welt zu sein. Zusammen mit dem neuen Teil der Dauerausstellung „Im Deutschland der zwei Bahnen“ werden nun wieder fast 200 Jahre Eisenbahngeschichte gezeigt.

Das Museum, Lessingstraße 6 in Nürnberg, hat geöffnet von Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Eintritt: Erwachsene 6 Euro, ermäßigt 5 Euro, Kinder von sechs bis 17 Jahren 3 Euro, Familienkarte: 12 Euro. Infos: www.dbmuseum.de

Modern präsentiert: die neue Dauerausstellung im DB Museum.
Foto: DB Museum / Uwe Niklas | Modern präsentiert: die neue Dauerausstellung im DB Museum.
Dauerausstellung 'Im Deutschland der zwei Bahnen'       -  Im Führerstand eines Schienenbusses aus den 50er Jahren.
Foto: Daniel Karmann | Im Führerstand eines Schienenbusses aus den 50er Jahren.
Zeitreise: Blick in den Führerstand eines Schienenbusses aus den 50er Jahren.
Foto: Uwe Niklas | Zeitreise: Blick in den Führerstand eines Schienenbusses aus den 50er Jahren.
„Im Deutschland der zwei Bahnen“ heißt die neue Präsentation im DB Museum.Fotos: DB Museum / Uwe Niklas
Foto: Uwe Niklas | „Im Deutschland der zwei Bahnen“ heißt die neue Präsentation im DB Museum.Fotos: DB Museum / Uwe Niklas
Dauerausstellung 'Im Deutschland der zwei Bahnen'       -  Ein Eigentumsschild der „Deutschen Bundesbahn” neben einer DDR-Grenzsäule von der innerdeutschen Grenze im DB Museum.
Foto: Daniel Karmann | Ein Eigentumsschild der „Deutschen Bundesbahn” neben einer DDR-Grenzsäule von der innerdeutschen Grenze im DB Museum.
Der berühmte TEE – aus dem Westen.
Foto: DB Museum / Uwe Niklas | Der berühmte TEE – aus dem Westen.
 
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