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Würzburg
Wie in Würzburg Missbrauch unter Mitbrüdern verharmlost wurde
Eine unabhängige Untersuchung lässt in Abgründe bei den Würzburger Franziskaner-Minoriten blicken. Übergriffe wurden nur als "Verstoß gegen das Ordensgelübde verstanden".
Franziskanerkloster Würzburg.jpeg       -  Ein Schatten lastet nun auf der Ordensgemeinschaft. Im Bild: Der Kreuzgang des Klosters in Würzburg.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa | Ein Schatten lastet nun auf der Ordensgemeinschaft. Im Bild: Der Kreuzgang des Klosters in Würzburg.
Daniel Wirsching
 |  aktualisiert: 16.06.2024 02:36 Uhr

Seit dem Jahr 1221 leben und wirken die Brüder des Heiligen Franz in Würzburg, wie sich die katholische Ordensgemeinschaft auf ihrer Internetseite vorstellt. Man fühle sich der Armut verpflichtet, der "Vorliebe für ein Leben unter denen, die am Rand stehen", der "Geschwisterlichkeit, die nichts und niemanden ausschließt". In der deutschen Provinz der Franziskaner-Minoriten mit Sitz in Würzburg leben nur 40 Brüder, aufgeteilt auf sechs Konvente, also Niederlassungen. Sie verantworten etwa die Seelsorge in der Wallfahrtskirche "Käppele", einem Wahrzeichen der unterfränkischen Stadt, oder das Projekt Straßenambulanz.

Nun liegt der Abschlussbericht einer unabhängigen Untersuchung vor. Er ermöglicht auf 152 Seiten einen immer noch seltenen Einblick in die Problematik der sexualisierten Gewalt durch und in Ordensgemeinschaften. Dabei geht es neben Kindern und Jugendlichen, die in Internaten der Franziskaner-Minoriten Opfer wurden, insbesondere um den Missbrauch von Mitbrüdern.

Missbrauch: Bruder JB galt als "schillernde Person"

Da ist vor allem der Fall von "Br. JB". Der 1953 Geborene hatte 1978 sein Noviziat in Kloster Schwarzenberg im mittelfränkischen Scheinfeld auf dem Gebiet des Erzbistums Bamberg begonnen. Er war zuvor aus dem Priesterseminar entlassen worden, über den Grund habe der Orden "offensichtlich keine Erkundigungen" eingeholt. JB, so sein erfundenes Kürzel im Bericht, kam herum in der deutschen Provinz der Franziskaner-Minoriten. Und galt als "schillernde Person", als jemand mit Ausstrahlung, der gleichsam aggressiv werden konnte. Im Würzburger Kloster soll er versucht haben, einen Mitbruder am Ohr zu küssen. Als er zurückgewiesen wurde, soll er gesagt haben, die vom heiligen Franz von Assisi geforderte Brüderliebe finde erst in der körperlichen Liebe zweier Brüder ihre Erfüllung. Es gibt eine Reihe weiterer geschilderter mutmaßlicher Übergriffe durch ihn, betroffen davon waren auch Jugendliche unter 18. JB selbst habe in einem Fall von einer Beziehung zu einem Schüler gesprochen, er habe dreimal mit ihm geschlafen.

Erste Mitteilungen über sexuelle Übergriffe durch JB seien folgenlos geblieben, heißt es in dem Bericht. 2011 sei erstmalig die Glaubenskongregation eingeschaltet worden, seit 2012 habe man Versuche unternommen, ihn aus dem Orden auszuschließen. Dem 2021 angekündigten Ordensausschluss sei JB dann mit der Bitte um Entbindung zuvorgekommen.

Würzburger Orden und "Vertuschung, Verharmlosung, Fehler, Hilflosigkeit und Desinteresse"

Die Untersuchung hat zum Ergebnis, dass ab Ende der 1960er-Jahre neun Brüdern sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird. Allein in Würzburg seien unter den Betroffenen sechs Minderjährige zwischen zwölf und 17 Jahren gewesen. Zwei der neun Beschuldigten konnten bis zu 30 Jahre aktiv bleiben. Zusammengefasst sei der Umgang der Verantwortlichen bis ins Jahr 2010 mit konkreten Hinweisen auf sexualisierte Gewalt bis auf zwei Ausnahmen "durch Vertuschung, Verharmlosung, Fehler, Hilflosigkeit und Desinteresse gekennzeichnet", schreiben die Rechtsanwältinnen Petra Ladenburger aus Köln und Martina Lörsch aus Bonn. Sie schreiben auch, dass Übergriffe an jungen Ordensbrüdern "als ausgelebte Homosexualität und – folgenloser – Verstoß gegen das Ordensgelübde verstanden" wurden, "nicht jedoch als sexueller Übergriff".

Die Provinzleitung der Ordensgemeinschaft gab die Untersuchung im Frühjahr 2022 bei den Rechtsanwältinnen in Auftrag – aus "der Überzeugung heraus, dass Betroffene sexualisierter Gewalt durch Ordensbrüder ein Recht auf die Wahrheit haben", wie sie in einer Pressemitteilung erklärte. Sie bat darin Betroffene, die sich noch nicht gemeldet haben, dies zu tun: "Wir stellen uns weiter unserer Vergangenheit".

Vor knapp vier Jahren hatte die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) Zahlen genannt, die das Ausmaß sexualisierter Gewalt in ihrem Bereich erahnen ließ. Demnach hätten sich 1412 Personen als Betroffene bei den katholischen Ordensgemeinschaften gemeldet; als Täter beschuldigt worden seien 654 Ordensmitglieder. Die Zahlen basierten auf einer freiwilligen Mitgliederbefragung der DOK.

Ordensobernkonferenz: "Eine ordensübergreifende Studie ist nicht vorgesehen"

Die Deutsche Bischofskonferenz dagegen hatte bei unabhängigen Wissenschaftlern eine bistumsübergreifende Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben und diese 2018 vorgestellt. Für die Orden ist so etwas nicht mehr zu erwarten. "Eine ordensübergreifende Studie ist nicht vorgesehen", erklärte am Dienstag DOK-Sprecher Arnulf Salmen auf Anfrage. 2022 hatte sich ein "Ausschuss unabhängige Aufarbeitung" konstituiert, zu dessen Aufgaben die Beratung der Ordensgemeinschaften im Prozess der unabhängigen Aufarbeitung zählt. Zu dem Ausschuss gehört Robert Köhler, Mitgründer des Vereins Ettaler Miss­handlungs- und Miss­brauchs­opfer. Ausdrücklich festgehalten wurde, dass jede Ordensgemeinschaft die Verantwortung für ihren Aufarbeitungsprozess selbst trage.

Der Abschlussbericht zu den Franziskaner-Minoriten ist die erste Untersuchung, die den Kriterien der "Gemeinsamen Erklärung" zwischen der Deutschen Ordensobernkonferenz und dem damaligen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung entspricht. Sie trat im Mai 2021 in Kraft. Begleitet wurde die Untersuchung von dem Ausschuss, der derzeit nach eigenen Angaben 16 Ordensgemeinschaften im Aufarbeitungsprozess berät.

 
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