Nur wenige Minuten sind nach der Abstimmung in St. Petersburg vergangen, da ist schon ein großes Banner mit der Aufschrift „Welterbe!“ an der Fassade des Markgräflichen Opernhauses Bayreuth befestigt. „Das haben wir natürlich gleich aufgehängt“, sagt Wilhelm Trat, Mitarbeiter der Bayerischen Schlösserverwaltung. Er sitzt im Foyer des barocken Schmuckstücks, gleich beginnt eine Führung. Seine Kollegin Kristin Nürnberger begrüßt die Gäste an diesem Samstagnachmittag und verkündet stolz die Entscheidung des UNESCO-Welterbe-komitees. Spontaner Beifall brandet auf. Die Besucher sitzen also nun in jenem Barockjuwel, das die UNESCO für so einzigartig hält, dass sich Bayreuth nun mit dem begehrten Prädikat Welterbestätte schmücken darf.
So reich verziert ist der Theaterraum, dass das Auge all den Putz und die innenarchitektonischen Feinheiten gar nicht auf Anhieb erfassen kann. Man könnte sich stundenlang hinsetzen und jedes Detail bewundern. Anders als etliche andere Theater aus dem 18. Jahrhundert ist dieses Haus weder von Bränden zerstört noch später umgebaut worden.
„Es ist fantastisch“, schwärmt Carlos A. Nobeschi. Er kommt aus Brasilien, einer seiner Söhne hat ein Austausch-Schuljahr in Oberfranken verbracht, der andere Sohn beginnt seinen Austausch bald in Rostock. Nun erkundet die Familie Bayreuth. Beeindruckende Architektur bewege die Menschen, sagt der Gast aus Übersee. Das sei beim Eiffelturm in Paris so – und auch hier in diesem Opernhaus in Bayreuth.
Es ist ein Nachmittag im Hochsommer. Die Sonne brennt, nur wenige Fußgänger laufen an der neuen Welterbestätte vorbei. Im schattigen Garten des benachbarten Operncafés ist deutlich mehr los. Café-Betreiber Jens Müller ist jetzt also Nachbar einer Welterbestätte. „Das ist wirklich eine gute Sache“, sagt er. Doch einen Wermutstropfen gebe es: Schließlich stehe ab Herbst die mehrjährige Sanierung des Gebäudes an, der Zugang sei dann nur noch sehr eingeschränkt möglich. „Man muss sehen, wie die touristische Aufarbeitung langfristig aussieht.“
Die Verantwortlichen der Stadt jubeln im fernen St. Petersburg. „Wir ham's!“, lässt die Bayreuth Marketing & Tourismus GmbH via Facebook auf gut Fränkisch wissen. „Das ist genial“, jubelt Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, die eigens nach Russland gereist ist. Zuvor hatte sie von einer „Jahrhundert-Entscheidung“ für Bayreuth gesprochen. Denn bislang lockt Bayreuth die Gästeströme nur im Sommer einen Monat lang an – wenn die Richard-Wagner-Festspiele stattfinden. Das einzigartige Opernhaus, die verspielte und facettenreiche Park-Anlage Eremitage, das Neue Schloss – die markgräflichen Bauten standen bisher im Schatten Richard Wagners und seiner Festspiele.
Eine Gruppe von Passanten posiert spontan unter dem „Welterbe“-Banner vor dem Opernhaus. Es sind Einheimische, wie eine ältere Frau verrät. „Der Antrag ist also endlich durchgegangen?“, versichert sie sich. „Wir kennen das Haus und freuen uns sehr.“ Das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth aus dem 18. Jahrhundert ist das einzige im Original erhaltene Barocktheater nördlich der Alpen. Im Gegensatz zu vielen anderen Bauten aus dieser Zeit wurde es nicht durch Brand oder Umbau zerstört. Es gilt daher mit seinem barocken Zuschauerraum als authentischer Repräsentant der höfischen Musik- und Festkultur. Das Logenhaus aus Holz mit illusionistisch bemalter Leinwand belegt dies eindrucksvoll. Ab September wird der Bau, der heute noch als Theater genutzt wird, für mindestens vier Jahre saniert. Der Freistaat Bayern investiert dafür knapp 19 Millionen Euro.
Markgräfin Wilhelmine, die Schwester von Friedrich dem Großen, ließ das Opernhaus ab 1744 erbauen, um aus Bayreuth eine Kulturmetropole zu machen. Sie engagierte mit dem kaiserlichen Theaterarchitekten Giuseppe Galli Bibiena (1696-1757) einen der namhaftesten Theaterarchitekten der damaligen Zeit. Eröffnet wurde es 1748 anlässlich der Hochzeit der Tochter von Wilhelmine, Elisabeth Friederike Sophie von Brandenburg-Bayreuth. Das Theater lässt auch die Opernkultur der Barockzeit und deren Beziehung zum Absolutismus erfahren.
In der sogenannten „Opera seria“ wurde anhand von ausgewählten Handlungen aus Geschichte und Mythologie fürstliches Leben und Intrigen dargestellt. Neben Opern wurden in dem Barocktheater aber auch Feste und Tanzveranstaltungen gefeiert. Später lockte das Bauwerk auch Richard Wagner (1813-1883) nach Bayreuth. Die Festspiele zu seinen Ehren werden jedoch im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel veranstaltet.
Deutschlands Welterbe
Die UNESCO hat mehr als 900 Kultur- und Naturstätten in mehr als 150 Ländern als Welterbe anerkannt. Deutsche Stätten mit dem Jahr ihrer Aufnahme in die Liste – (K steht für Kulturerbe, N für Naturerbe, GÜ für grenzüberschreitend):
1. Aachener Dom (K/1978)
2. Speyerer Dom (K/1981)
3. Würzburger Residenz (K/1981)
4. Wallfahrtskirche „Die Wies“ im bayerischen Pfaffenwinkel (K/1983)
5. Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl (K/1984)
6. Dom und Michaeliskirche von Hildesheim (K/1985)
7. Römische Baudenkmäler, Dom und Liebfrauenkirche in Trier (K/1986)
8. Hansestadt Lübeck (K/1987)
9. Schlösser und Parks von Potsdam-Sanssouci und Berlin (Glienicke und Pfaueninsel) (K/1990,1992,1999)
10. Kloster Lorsch (K/1991)
11. Bergwerk Rammelsberg und Altstadt von Goslar (K/1992, 2010)
12. Altstadt von Bamberg (K/1993)
13. Kloster Maulbronn (K/1993)
14. Stiftskirche, Schloss und Altstadt von Quedlinburg (K/1994)
15. Völklinger Hütte (K/1994)
16. Fossilienlagerstätte Grube Messel (N/1995)
17. Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar und Dessau (K/1996)
18. Kölner Dom (K/1996)
19. Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg (K/1996)
20. Klassisches Weimar (K/1998)
21. Wartburg (K/1999)
22. Berliner Museumsinsel (K/1999)
23. Gartenreich Dessau-Wörlitz (K/2000)
24. Klosterinsel Reichenau im Bodensee (K/2000)
25. Industriekomplex Zeche Zollverein in Essen (K/2001)
26. Altstädte von Stralsund und Wismar (K/2002)
27. Oberes Mittelrheintal (N/2002)
28. Rathaus und Rolandstatue in Bremen (K/2004)
29. Muskauer Park (K/GÜ/2004)
30. Obergermanisch-rätischer Limes – deutscher Teil der grenzüberschreitenden Welterbestätte „Grenzen des Römischen Imperiums“ (K/GÜ/2005)
31. Altstadt von Regensburg (K/2006)
32. Buchenurwälder der Karpaten und alte Buchenwälder Deutschlands (N/GÜ/2007; 2011 um fünf Buchenwaldgebiete in Deutschland erweitert)
33. Berliner Siedlungen der Moderne (K/2008)
34. Wattenmeer (N/GÜ/2009; 2011)
35. Fagus-Werk in Alfeld, Niedersachsen (K/2011)
36. Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen (K/GÜ/2011)
37. Markgräfliches Opernhaus Bayreuth (K/2012).