Mit einem breiten Grinsen in die Kamera begrüßt Estephania Ha ihre Abonnenten und Abonnentinnen auf ihrem Onlyfans-Kanal. 7,99 Dollar zahlen ihre Follower jeden Monat, um intime Einblicke in das Leben der Bambergerin zu bekommen. Intim kann man dabei wörtlich nehmen: Nackte Brüste, laszive Videoclips in eindeutigen Posen und "einen erweiterten Blick in mein Privatleben" erwarten ihre Follower.
Ein Einblick bleibt ihren Fans aktuell noch verwehrt: "Ich lasse mir nicht zwischen die Beine filmen", erklärt sie. Ob sie diese Grenze irgendwann überschreiten wird? Die Frage beantwortet die Ende 20-Jährige, die ihr genaues Alter für sich behalten will, mit einem Schulterzucken.
Was bei Instagram verboten ist, ist bei Onlyfans erlaubt
2016 wurde Onlyfans in London gegründet mit dem Anspruch, anderen sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook und Co. Konkurrenz zu machen. Der Gedanke dahinter: Den Nutzerinnen und Nutzern mehr Freiheiten schenken. Onlyfans entwickelte sich daraufhin schnell zu einer Plattform, auf der Menschen, hinter einer Bezahlschranke, viel mehr preisgaben als auf anderen Portalen – von freizügigen Fotos bis hin zu pornografischen Videoclips.
Frei bestimmen können die sogenannten Content-Creator (deutsch: Inhalts-Entwickler) auch den monatlichen Abo-Preis, den Nutzerinnen und Nutzer zahlen müssen, um ihre Inhalte zu sehen. Hinzu kommen die freiwillige Trinkgeldfunktion und weitere Bezahlschranken für besonders freizügige Bilder. Doch die Einnahmen fließen nicht vollständig auf das Konto der Creator: 20 Prozent behält Onlyfans ein.
1,6 Millionen Creator-Konten sind laut einer Recherche des Magazins Spiegel auf Onlyfans angemeldet. Die erfolgreichsten Kanäle verdienen monatlich mehrere tausend Dollar. Auch Stars wie die Rapperin Cardi B, DJ Khaled oder Model Amber Rose haben einen Kanal auf der Plattform. Zwangsläufig nackte Inhalte posten muss man auf Onlyfans allerdings nicht, betonen Fans des Sozialen Netzwerkes immer wieder.
Vom Job im Krankenhaus zu Erotik-Inhalten auf Onlyfans
Im Dezember 2020 hat Estephania_HA, wie sie auf Instagram und Onlyfans heißt, das erste Mal darüber nachgedacht, ihren Job in einem Bamberger Krankenhaus aufzugeben und ihr Geld hauptberuflich mit freizügigen Inhalten im Internet zu verdienen. "Nachdem es mit Instagram plötzlich aufwärts ging, hat mir irgendwann die Zeit für den Krankenhaus-Job gefehlt", sagt Estephania Ha. Die Entscheidung, den sicheren Job aufzugeben, sei ihr nicht unbedingt leicht gefallen.
Rückblickend bezeichnet die Bambergerin ihren Entschluss als "absoluten Life-Changer". Ihr Leben habe sich seitdem komplett verändert. Sie spricht von charakterlicher Festigung, Selbstbewusstsein und freier Zeiteinteilung. Doch wie viel Freiheit steckt dahinter, wenn der Lebensunterhalt daran geknüpft ist, dass Menschen im Internet für nackte Brüste und erotische Videoclips bezahlen?
Sexualforscher: Onlyfans ist keine Ausbeutung einsamer und trauriger Männer
Auf Onlyfans angesprochen findet der Sozialwissenschaftler und Sexualforscher Dr. Sven Lewandowski deutliche Worte: "Was die Creator bei Onlyfans machen, ist eine semiprofessionelle Art, Pornografie zu vertreiben. Es geht ganz offensichtlich darum, Geld zu verdienen." Der ökonomische Aspekt werde jedoch gekonnt in den Hintergrund gerückt. Ehemals an der Universität Würzburg tätig, forscht Lewandowski aktuell an der Universität Bielefeldüber private Amateurpornografie.
Dass Onlyfans vor allem während der Corona-Pandemie einen extremen Zulauf genoss, lässt sich laut dem Wissenschaftler bei nahezu allen andern Online-Angeboten beobachten. "Sexueller Konsum ist aber nicht zwangsläufig ein Ausdruck von Einsamkeit", betont er. Den häufig geäußerten Vorwurf, dass die Content-Creator bei Onlyfans finanziellen Nutzen aus der Einsamkeit anderer Personen ziehen, hält er für undifferenziert.
Vielmehr machen sich neue Creator bei Onlyfans ihren Neuigkeitswert zu Nutzen und haben daraus ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt. "Der Neuigkeitswert schleift sich jedoch schnell ab. Sie müssen immer etwas Neues bieten", sagt Lewandowski.
Für die Content-Creator bedeute das oft: "Mehr Inhalt, Ausweitung des sexuellen Angebots oder mehr persönlicher Kontakt." Die Plattform ist laut dem Sexualforscher strukturell darauf ausgelegt, dass die Creator früher oder später ihre selbst gesteckten Grenzen überschreiten müssten, um weiterhin interessant zu sein.
Wer bezahlt für Onlyfans, wenn Pornos im Internet kostenlos sind?
Diese Gefahr sieht die 24-jährige Anne H. aus Würzburg nicht. Anders als Estephania Ha betreibt sie ihren Onlyfans-Kanal nur nebenberuflich. Ihr Haupteinkommen verdient sie als Kosmetikerin und als Angestellte im Einzelhandel. Irgendwo zwischen "einem hohen dreistelligen und einem niedrigen vierstelligen Bereich", pendelt sich ihr monatlicher Verdienst mit der Plattform ein. Der Traum vom schnellen Geld bei Onlyfans ist laut der Würzburgerin eine naive Idee. "Du musst bereits eine große Reichweite auf anderen Plattformen haben." Denn auf die Onlyfans-Kanäle komme man nur über einen personalisierten Link.
Mit einer großen Reichweite bei Instagram hat auch Anne H. angefangen. Als ein befreundeter Fotograf ihr empfahl, die Bilder ihrer Dessous-Shootings bei Onlyfans hochzuladen, um Geld damit zu verdienen, erstellte sie sich einen Account. "Oft fragen mich Leute, wer bezahlt dafür, wenn es Pornos im Internet kostenlos gibt?" Die Antwort darauf gibt die Würzburgerin selbst. "Ich spiele mit der Fantasie der Männer. Ich könnte ja ihre Nachbarin sein." Sie bezeichnet sich als Business-Frau und erklärt: "Ich denke, die Männer holen sich das so oder so, warum soll ich damit dann nicht Geld verdienen?"
Geleakte Fotos und Datenschutz: Exklusivität gibt es im Internet nicht
Obwohl Anne H. auf ihrem Kanal fast alles zeigt, möchte sie in dieser Berichterstattung anonym bleiben. Nicht, weil sie sich schämt, wie sie selbst sagt, sondern weil ihre Eltern von ihrem Nebenberuf nichts wissen. Wie lang kann das gut gehen? Immer wieder landen – vermeintlich hinter der Bezahlschranke - "sichere" und exklusive Bilder auf anderen Plattformen wie Reddit. Leaken, nennt es sich, wenn zahlungspflichtige Inhalte auf Drittanbieter-Webseiten kostenlos veröffentlicht werden.
Diese Erfahrung musste auch Estephania Ha machen. Immer wieder tauchen ihre Onlyfans-Inhalte auf anderen Internetseiten auf. Rechtlich dagegen vorgehen wolle sie aber nicht. "Das ist ein Fass ohne Boden. Ich komme gar nicht hinterher, alles zu löschen." Auch Forscher Lewandowski kennt die Gefahr und warnt davor, zu glauben, dass die Bilder hinter der Bezahlschranke sicher sind: "Im Internet wird alles kopiert und taucht am Ende irgendwo anders wieder auf." Und so bekommt man über die Google-Bildersuche einen ziemlich guten Eindruck von Estephania Ha's Onlyfans-Account, ohne die Seite selbst überhaupt besuchen zu müssen.
Hauptzielgruppe von Onlyfans sind Männer in jeder Altersklasse
Schön findet das die Bambergerin zwar nicht, hat sich mittlerweile allerdings damit arrangiert, denn schämen würde sie sich für ihre Inhalte nicht - im Gegenteil: "Ich stehe zu 100 Prozent hinter meinem Content. Das bin einfach ich." Auf der Plattform habe sie die Möglichkeit, ihre verrückte Seite voll auszuleben. Dass ihre Fans beim Anblick der Bilder ihre Gedanken wandern lassen, störe sie dabei nicht. "Ich muss mich tatsächlich eher bremsen, damit ich nicht zu viel Gas gebe."
Ganz so locker sieht Anne H. das nicht. Sie versucht den Gedanken, dass Menschen sich zu ihren Inhalten möglicherweise befriedigen, auszublenden. Onlyfans ist für sie ein Geschäftsmodell. Ihre Follower? Hauptsächlich Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren. Und auch unter Estephania Ha's Abonnenten befinden sich hauptsächlich Männer aus allen Teilen der Welt. So kommt es auch mal vor, dass die beiden Frauen von Abonnenten auf der Straße angesprochen werden.
Onlyfans ist eine Plattform mit Licht und Schatten
Während Estephania betont, bisher nur positive Erfahrungen gemacht zu haben, lässt Anne H. die Schattenseite ihrer Offenherzigkeit durchblicken. Aufgrund ihres freizügigen Internetauftritts werde sie häufig schnell abgestempelt. "Dann heißt es: Wieso triffst du dich nicht mit mir, Onlyfans machst du doch auch?", erinnert sie sich an ein Erlebnis mit einem Abonnenten im echten Leben. Oft wird von erfolgreichen Influencern betont, dass die Plattform ein sogenannter Safe-Space sei, ein sicherer Ort, wo Creator deutlich weniger negative Kommentare aushalten müssten. Dass die Darstellung im Internet Auswirkungen auf das Leben abseits der Plattform haben kann, scheint dabei oft in Vergessenheit zu geraten. Ebenso wie die Tatsache, dass das Zurschaustellen des nackten Körpers keine Einladung zu ungefragten, übergriffigen Bemerkungen und Handlungen ist.
Trotz der negativen Auswirkungen, die ein Account bei Onlyfans mit sich bringen kann, möchte Estephania Ha nicht zurück in ihren alten Job. "Meine Selbstständigkeit möchte ich nur ungern aufgeben." Von jedem Ort der Welt aus arbeiten zu können, die freie Zeiteinteilung und hohe Flexibilität, damit könne ihr alter Job nicht mithalten. "Ich brauche nicht wie bei Instagram auf Richtlinien achten, kann jede Musik über meine Videos legen und wenn Fotos gelöscht werden, wird meine Reichweite nicht eingeschränkt." Onlyfans bedeutet für sie vor allem eines: Freiheit.