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Oktoberfest
"In ihrer Lidl-Discounter-Tracht": Manche lieben die Wiesn, andere hassen sie
Von den einen geliebt, von den anderen verachtet: die Wiesn. Zwei Fans erzählen, was sie am Oktoberfest lieben. Und zwei Gegner, warum sie nicht (mehr) hingehen.
Wiesn Wirte präsentieren ihren Krug.jpeg       -  Für manche Menschen bedeutet die Wiesn: Endlich wieder alte Freunde treffen, endlich wieder Blasmusik zur Maß. Andere halten das Oktoberfest für reinen Kommerz und ein Massenbesäufnis. Die Wiesn polarisiert ungemein.
Foto: Lennart Preiss, dpa | Für manche Menschen bedeutet die Wiesn: Endlich wieder alte Freunde treffen, endlich wieder Blasmusik zur Maß. Andere halten das Oktoberfest für reinen Kommerz und ein Massenbesäufnis. Die Wiesn polarisiert ungemein.
Lara Voelter
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:25 Uhr

Als größtes Volksfest weltweit hatte die Wiesn 2023 bereits zur Halbzeit mehr Besucher als im Jahr vor Corona. Manche Menschen schlüpften schon Monate vorher voller Vorfreude ins Dirndl oder in die Lederhose: Sitzt alles noch? Andere ekelten sich schon Wochen vorher vor bierverklebten Münchner U-Bahnsitzen – oder Schlimmerem. Riesengaudi oder sinnloses Massenbesäufnis? Wir haben nachgefragt. 

Lucas Filoni, 25, aus München: "Wenn ich über die Wiesn gehe und das Magenbrot und die Zuckerwatte rieche, versetzt mich das wieder direkt in meine Kindheit"

Vor allem meine Mutter und meine Großeltern haben mir die bayerische Tradition vermittelt. Ich war schon als kleines Kind jedes Jahr zum Spazierengehen auf der Wiesn. Wir hatten immer eine Reservierung im Löwenbräu-Zelt, da war ich dann auch dabei. 

Sobald ich eine Tracht anziehe, fühle ich mich heimisch. Momentan habe ich sechs Lederhosen, 18 Westen, mehrere Paar Haferlschuhe und mehrere Janker. Ich habe immer in Trachten-Läden eingekauft, nicht in einem Großhandel. Mein nächstes Ziel für kommendes Jahr: Mit einem Spezl an den Chiemsee fahren und uns dort eine Tracht schneidern lassen.

Für mich bedeutet die Wiesn pure Euphorie! Den Weg mit der U-Bahn zur Theresienwiese, im Sonnenschein Richtung Zelt laufen, all die Gerüche strömen in die Nase. Das löst bei mir eine ganz tiefe Freude aus. Und ich liebe es, wenn die Blasmusik spielt, man hin- und herschunkelt. Auch wenn die Wiesn inzwischen leider kein so traditionsreiches Fest mehr ist, finde ich es schön, dass wenigstens noch etwas Heimat dabei ist. 

Die Jahre vor Corona war ich bis zu zwölfmal pro Jahr dort. Inzwischen hat sich mein Freundeskreis sehr zerstreut durchs Studium und die Arbeit. Aber zur Wiesn kommen dann fast alle wieder zurück ins Nest. Das ist richtig toll!

Wenn ich über die Wiesn gehe und Magenbrot und Zuckerwatte rieche, versetzt mich das wieder direkt in meine Kindheit – so viele Erinnerungen kommen hoch. Ein richtig schönes Gefühl. Meine Großeltern sind 2012 gestorben und die Wiesn ist auch ein Erinnerungsstück an sie: Ich war früher so oft mit ihnen dort. 

Am ersten Anstichtag bin ich immer mit meinem Vater dort, das ist dann ein Vater-Sohn-Tag. Meine Mutter liebt die Wiesn auch, aber mehr zum Spazierengehen. Sie tut sich das Bierzelt nicht mehr an. Da sind mein Vater und ich etwas simpler gestrickt (lacht)

Was sich geändert hat: Ich gehe nicht mehr hin, um fünf Maß runterzukippen, sondern um einen schönen Abend zu haben. Natürlich trinke ich noch gerne was, aber meine Freunde und ich messen uns nicht mehr darin, wer am meisten trinken kann. Wir rennen auch nicht mehr möglichst früh los, um noch einen Tisch zu ergattern. Wir gehen nur hin, wenn wir eine Reservierung haben. 

Andrea Erber, 60, aus Gersthofen: "Fragt man nach dem Ursprung des Fests, kennen ihn viele sicher nicht"

Ich bin in Bayern geboren, aber die bayerischen Traditionen liegen mir nicht wirklich in den Genen. Ich kann nicht viel mit Volksfesten und Blasmusik anfangen. Schon deshalb ist die Wiesn nichts für mich. Als Kind war ich einmal mit meinen Eltern dort und seither nie wieder. Ich merke auch immer wieder, wenn ich an meiner Nord- oder Ostsee bin: Dort fühle ich mich heimisch! 

Wenn ich lese, was die Rettungsdienste auf der Wiesn leisten müssen, nur weil sich viele für ein Heidengeld die Birne wegbrummen, kann ich nur den Kopf schütteln. Auch die abgehobene Einstellung mancher Menschen, die die Wiesn besuchen, mag ich nicht. Ich habe das Gefühl, viele gehen hauptsächlich dorthin, um sich mit teuren Klamotten zu profilieren. Das finde ich oberflächlich und es hat nichts mit der bayerischen Tradition zu tun.

Fragt man nach dem Ursprung des Fests, kennen ihn viele sicher nicht. Da ging viel Kultur verloren. Was noch zünftig ist: Der Umzug, wenn die Brauereiwagen einfahren. Ansonsten ist das aber nur ein riesiges Business, für das Menschen von Japan oder sonst wo herfliegen. 

Und die extremen Preise! Wie viel kostet eine Maß inzwischen? 14 Euro? Dafür kaufe ich mir einen ganzen Kasten günstiges Bier – hat denselben Effekt: Da ist einem am nächsten Tag auch schlecht (lacht).

Da hocke ich mich lieber in einen Biergarten, das hat mehr Tradition, als wenn alles so kommerzialisiert ist. Ich muss jedenfalls nicht zu den Millionen Menschen gehören, die auf die Wiesn rennen. 

Rita Modl, 40, aus der Nähe von Weilheim: "Ich mag das Gesellige der Wiesn sehr!"

Es ist doch was Besonderes, wenn das größte Volksfest der Welt in München ist. Da muss man dann schon hingehen. Andere fliegen um die halbe Welt, müssen eine Woche bleiben, damit sich das lohnt. Und wir können einfach so hingehen! 

Schon seit ich sechs Jahre alt bin, gehe ich auf die Wiesn. Damals, um mit den Fahrgeschäften zu fahren. Ich hatte eine Freundin, deren Tante in der Nähe der Theresienwiese gewohnt hat. Deshalb konnten wir auch schnell mal hinlaufen. Ihre Tante hatte ein Wirtshaus und früher haben Wirtshausbesitzer immer einige Freikarten für Fahrgeschäfte bekommen. Das war für uns einfach toll! 

2020 und 2021 ist die Wiesn ja wegen Corona ausgefallen, und letztes Jahr war mir das mit all den Leuten einfach noch zu heikel. Jetzt wieder dort zu sein, war total schön! 

Ich gehe gern an die Schießstände, schlendere rum, esse gebrannte Mandeln. Ich mag es sehr, dort mit Freunden zu ratschen. Oder neue Menschen kennenzulernen, wie neulich bei einem Wiesn-Besuch. Die Leute waren super drauf. Das hat so viel Spaß gemacht – ich mag das Gesellige der Wiesn sehr! 

Ich trinke nur noch ein, zwei Radler-Maß über den Tag verteilt. Früher war das schon anders. Da habe ich auch den ganzen Tag im Zelt auf den Bänken getanzt. Jetzt ist es mir wichtiger, mich mit anderen auszutauschen. Ich finde es schöner, im Biergarten zu sitzen, wenn das Wetter gut ist. Man ist an der frischen Luft, es ist nicht so trubelig. 

Mark Habesreiter, 45, aus Augsburg: "Jetzt ist die Wiesn nur noch 100 Prozent Konsum, alles muss schnell gehen"

Früher bin ich gern auf die Wiesn gegangen – ich war auch schon als Kind dort. Gebürtig komme ich aus Nordrhein-Westfalen, aber meine Eltern hatten immer mal wieder in Bayern zu tun. Inzwischen wohne ich seit 25 Jahren in Augsburg. Bis etwa 2005 bin ich noch regelmäßig auf die Wiesn gegangen.

Da hat es dann aber angefangen mit den "modernen Fahrgeschäften". Und auch die Speisen haben sich sehr verändert. Es reizt mich nicht, wenn ich an jedem zweiten Stand Lángos essen kann. Früher hat man noch Knödel mit Soße bekommen. Die Wiesn hat ja Tradition, ist uralt, aber davon ist heute nichts mehr übrig. Und wenn ich sehe, wie viele Leute morgens auf der Wiesn losrennen und sich fast prügeln, um einen Platz zu bekommen in ihrer Lidl-Discounter-Tracht, finde ich das nur noch traurig und peinlich. 

Früher haben sie versucht, die alten Zelte und Karusselle zu integrieren, davon sieht man nichts mehr. Damals gab es auch noch Bühnen, auf denen Schuhplattler aufgeführt wurden. Jetzt ist die Wiesn nur noch 100 Prozent Konsum, alles muss schnell gehen, man hat nur ein bestimmtes Zeitfenster. Und das mag ich nicht – bei den Preisen gleich gar nicht. Es interessiert mich wirklich gar nicht mehr, dort hinzugehen. Früher war es einfach anders: Kleiner und man konnte ohne Security ins Zelt laufen. 

Ich habe lange in München gearbeitet, bin gependelt und dann waren die S- und U-Bahnen vollgekotzt, ich musste morgens oft über Alkoholleichen steigen. Auch deshalb mag ich die Wiesn nicht mehr. 

 
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