Heute haben sie offensichtlich keine Lust, sich zu zeigen. Nun ja, es ist wieder ziemlich warm. Darum spazieren auch nur wenige Leute den Erlebnispfad „Nationales Naturerbe Aschaffenburg“ entlang. Acht Heckrinder sollen sich auf dem Gelände verlustieren. „Da sind sie auch auf jeden Fall“, meint eine Spaziergängerin, die, dem Dialekt nach, aus Aschaffenburg stammt und hier wohl schon oft entlangspaziert ist. Vielleicht, meint sie, halten sich die Rinder heute im kühlen Wäldchen auf.
Auch wenn sich die Heckrinder nicht blicken lassen und es die zehn Przewalski-Pferden vorziehen, heute unter dem Holzdach zu stehen und einen auf Gemütlich zu machen – knapp drei Kilometer langen Pfads zu schlendern, lohnt sich dennoch. Zum einen hält die Frage, ob die urtümlichen Rinder vielleicht doch noch irgendwo auf der wilden Weide zu sehen sein werden, in Spannung. Aber das Anfang Mai eröffnete Areal ist auch ohne diese Tierattraktionen einfach wunderschön.
Die Bahn hat ein kleines Paradies geschaffen
Es zwitschert, zirpt, summt und brummt: Die Deutsche Bahn hat hier zusammen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), der Regierung von Unterfranken und der Stadt Aschaffenburg tatsächlich ein kleines Paradies geschaffen. Amphibien wie die Gelbbauchunke tummeln sich in den Teichflächen und im Sangenbach, der den ehemaligen Exerzierplatz der bayerischen Armee durchplätschert. Wer Glück hat, kann sie bis in den November hinein sehen. Danach verabschiedet sie sich erst mal bis Februar in den Winterschlaf.
Den Laubfrosch gibt es nur noch hier. Weitere Territorien hat er in Aschaffenburg nicht mehr. In ganz Westunterfranken existieren, inklusive des Naturerbes, nur noch zwei Laubfroschvorkommen. Auch für Reptilien wurde gesorgt. Sie haben in Felsbändern und Lesesteinhaufen ein neues Refugium gefunden. Der ehemalige Steinbruch auf dem Exerzierplatz wurde freigestellt, so dass die geschützte Zauneidechse einen optimalen Platz zum Sonnen vorfindet. Im Totholz an den Waldrändern des ehemaligen Übungsplatzes kann die „Lacerta agilis“, so der lateinische Name des Reptils, unterschlüpfen.
Soldaten, Wildbienen und Libellen
Für Wildbienen wurde eine Sandböschung geschaffen. Schon damals, als noch Panzer über das Gelände rollten, waren Wildbienen auf dem Übungsplatz zu Hause. Über 80 Arten soll es auf der „Local Training Area“ der US-amerikanischen Truppen gegeben haben. Auch Libellen finden im Naturerbe ein neues Zuhause. 17 Arten leben inzwischen an den Tümpeln – so viele wie nirgends sonst auf einem Fleck im Stadtgebiet Aschaffenburg.
Entstanden ist das Naturerbe auf einem ehemaligen Militärgelände namens „Schweinheimer Exe“. Seit Ende des 2. Weltkriegs und bis zum Jahr 2007 nutzten US-Soldaten den Truppenübungsplatz. Seitdem wurde das Gebiet von der BImA gepflegt und verwaltet.
Heute zeugen nur noch wenige Bauwerke von der einstigen militärischen Nutzung. Das meiste wurde abgerissen, um Platz für seltene Tier- und Pflanzenarten zu schaffen. Schon vor zwei Jahren begann die Renaturierung des Areals. „Wir haben das Projekt gemanagt, die Bahn hat es mit 2,7 Millionen Euro finanziert“, sagt BImA-Bundesförster Matthias Pollmeier.
Als Ausgleich zur Ausbaustrecke
Dass die DB Netz AG auf die Idee kam, im Aschaffenburger Stadtteil Schweinheim einen Erlebnispfad zu realisieren, hängt mit der Ausbaustrecke Hanau-Nantenbach zusammen. Die ist Teil der Main-Spessart-Bahn, die täglich von über 200 Zügen befahren wird. Eine neue Verbindung zwischen Laufach und Heigenbrücken wurde nötig, nachdem der 160 Jahre alte Schwarzkopftunnel ausgedient hatte. Die Umfahrungsspange zu bauen, ging mit erheblichen Eingriffen in die Natur einher. Das machte Ausgleichsmaßnahmen nötig.
Während der Renaturierung wurden Gehölze, die nicht bei uns beheimatet sind, entnommen, und Teile der bewaldeten Flächen in offene, lichtdurchflutete Kiefern- und Eichenmischwälder umgewandelt. Hier finden seltene Vogelarten wie Pirol, Wiedehopf, Heidelerche, Neuntöter und Steinschmätzer Unterschlupf. Auf den aufgelichteten Flächen weiden Schafe. Sicher, sagt Pollmeier, gibt es andernorts deutlich größere Naturparadiese: „Im Vergleich zur Lüneburger Heide ist unser Erlebnispfad ,Nationales Naturerbe Aschaffenburg' natürlich klitzeklein.“ Doch als „Kleinod“ sei es hochattraktiv: „Im Sommer kommen bis zu 1000 Tagesausflügler.“ Jenseits der Naturattraktionen besticht für den Bundesförster die Tatsache, dass in Schweinheim quasi symbolisch „Schwerter zu Pflugscharen“ geschmiedet wurden.
Knapp drei Kilometer Weg - mit 15 Infotafeln
Infotafeln geben Auskunft darüber, welche auf den ersten Blick nicht sichtbaren Geheimnisse der Erlebnispfad birgt. An einigen interaktiven Stationen werden die Infos sogar kindgerecht aufgearbeitet. Natürlich wird auf die urtümlichen Heckrinder eingegangen, die seit wenigen Wochen als „tierische Landschaftspfleger“ dafür sorgen, dass das Gelände offen gehalten wird.
Die Rinder, erfährt der Spaziergänger, haben ihren Namen von Heinz Heck. Der Biologe und Münchner Zoodirektor versuchte vor knapp 100 Jahren, den 1627 ausgestorbenen Auerochsen wiederzubeleben. Viele Jahrtausende lang zog der Auerochse zusammen mit Wisent und Wildpferd durch Europa und schuf eine abwechslungsreiche Landschaft aus Wäldern und steppenartigen Grasfluren.
In seine Kreuzungsversuche bezog Heinz Heck das Korsische Rind, das Schottische Hochlandrind und das Ungarische Steppenrind mit ein. Heraus kam das Heckrind. Meist werden sie, wie in Aschaffenburg, zur extensiven Beweidung verwendet. Dazu eignen sie sich auch hervorragend, weil ein einzelnes Tier täglich bis zu 50 Kilo frisst.
Der Erlebnispfad
Auf dem ehemaligen Militärgelände ist ein knapp drei Kilometer langer Rundweg entstanden. 15 Infotafeln bieten Einblicke in Flora und Fauna. Die DB Netz AG hat das Gebiet als Ausgleichsmaßnahme für den Ausbau der Strecke Hanau–Nantenbach für rund 2,7 Millionen Euro weiterentwickelt zum „Nationalen Naturerbe“.
Der Erlebnispfad befindet sich direkt neben der Aschaffenburger Umweltstation (Ebersbacher Straße 137) im Stadtteil Schweinheim. Von Würzburg kommend, nimmt man auf der A3 die Ausfahrt 62 (Bessenbach-Waldaschaff). Der Weg führt über Keilberg, Bessenbach und Grünmorsbach. Direkt neben dem Erlebnispfad gibt es einen öffentlichen Grillplatz. Wenige Gehminuten entfernt lädt der Biergarten des „Ristorante Pizzeria La Campana“ ein, sich zu erfrischen.
Ergänzt wird der Weg durch eine neue Umweltstation der Stadt Aschaffenburg. Vereine und Institutionen, die mit Umwelt und Natur zu tun haben, Schulen und Kindergärten können sie von März bis Oktober zur Umweltbildung nutzen.
Aljoscha Labeille, VCD Mainfranken-Rhön e.V.